Liebe im Banlieue

Von Guylaine Tappaz · 23.09.2008
"Mein Buch ist ein Schrei aus Wut und Liebe", sagt der französische Autor Wilfried N’Sondé über seinen Debütroman. "Das Herz der Leopardenkinder" erzählt von einer dramatischen Liebe in den Pariser Banlieues. Das Umfeld ist N’Sondé vertraut: Als Sohn kongolesischer Eltern ist er in Frankreich aufgewachsen. Seit 17 Jahren lebt der Schriftsteller in Berlin. Sein Roman wurde mit dem renommierten "Prix des cinq continents de la Francophonie" ausgezeichnet.
"Ich mag mich, wie ich bin, und ich mag mich, wie ich spreche. Und das reicht."

Aus dem Mund von Wilfried N’sondé klingt dieser Satz selbstverständlich. Dabei ist er es gar nicht. Denn N’Sondé hat eine "Sprachspezifität", wie er es selbst nennt: Er stottert. Mal mehr, mal weniger. Das hindert aber diesen großen schlanken Mann - in Jeans und lockerem, gestreiftem Hemd - nicht daran, aus seinem Buch vor Publikum vorzulesen, ins Mikro zu sprechen, - ja sogar vor der Kamera. Irgendwann hatte es N’Sondé satt mit der "Sprachtyrannei" - sprich mit der Sprecherziehung.

"Ich war in der Lage, stotterfrei zu sprechen. Nur, ich musste mich da so umstellen, dass ich mich nicht mehr erkannt habe. So habe ich gesagt, das ist nichts für mich."

N’Sondé, 40 Jahre alt, will sich nicht durch den Blick der anderen beeinflussen lassen. Das gilt für seine Art zu sprechen genauso wie für sein Aussehen: Er ist schwarz. Mit fünf Jahren kam er aus dem Kongo nach Frankreich. Sein Vater, ein Künstler, hatte ein Stipendium bekommen.

Die ganze Familie ließ sich Anfang der 70er Jahre in einer Vorstadt von Paris nieder. In seinem ersten Roman "das Herz der Leopardenkinder" erzählt N’Sondé vom Alltag afrikanischer Einwandererkinder in den Banlieues.

"Die Verkäuferin hat uns angelächelt - wie süß sie sind mit ihren Löckchen, Streichelbäckchen, Krausköpfchen - und uns Naschwerk geschenkt. Danke, Frau Bäckerin. Erst später, mit dreizehn, vierzehn, prüft und erkennt sie uns auf den ersten Blick als Problem, als Gefahr. Warum kommt ihr hierher, was wollt ihr?"

"Plötzlich mit der Pubertät wurde ich verdächtigt von der Polizei. Man wird zum Ausländer, man wird fremd. Und das ist ein Schock. Ich wusste, dass ich derselbe war. Nur für den Blick des Betrachters wurde ich zur Gefahr, zur Störung."

Viele junge Migranten stürzen dann in eine Identitätskrise - wie N’Sondés Figuren in seinem preisgekrönten Buch. Der junge Held soll ein Verbrechen begangen haben, kann sich aber nicht erinnern.

Noch im Rausch überfällt ihn eine Flut von Bildern und Stimmen: die Ahnen aus dem Kongo - ein Land, das er noch nie betreten hat. Und immer wieder die wilde, verlorene Liebe zu Mireille, die sich für ein besseres Leben außerhalb der Banlieues entschieden hat.

"Die Hauptidee war, eine dramatische Liebesgeschichte zu schreiben. Das war mir wichtig, zu sagen, was Menschen in den Banlieues bewegt. Das sind Gefühle. Wir sind doch keine Phänomene, keine Zahlen."

Mitte der 80er Jahre träumt auch N’Sondé von der großen Liebe - und davon, Musiker zu werden. Er singt seine eigenen Gedichte, erfindet darin eine neue, gerechtere Welt, in der es nicht auf die Hautfarbe ankommt.

Seine ersten Mitmusiker und Fans sind seine Geschwister: neun insgesamt. Mit ihnen lebt er auf engstem Raum in einem Hochhaus - und genießt den Trubel der Großfamilie.

"Wozu sich zurückziehen? Da gibt es die Nächte, um sich zurückzuziehen. Das brauche ich nicht. Ich konnte Schularbeit im Krach machen. Das ging."

Später beim Studium in Paris teilt er sich ein Zimmer mit nur noch einem seiner Brüder: ein Dienstmädchenzimmer unter dem Dach, 15 Quadratmeter für zwei - fast ein Luxus.

Jeden Cent umdrehen, Jura und Politik büffeln, mindestens einmal in der Woche in eine Passkontrolle geraten - das ist sein Alltag. Bis N’Sondés Leben Ende der 80er Jahre richtig losgeht - in Berlin.

"Silvester 1989 habe ich in Kreuzberg Oranienstraße verbracht, und ich habe mich sofort in Berlin verliebt. Berlin war damals - und ist jetzt noch - tolerant, friedlich, preiswert."

"Ich habe in Berlin gelernt: Ich sage, dass ich Franzose bin. Ob der Polizist oder sonst wer damit ein Problem hat, das ist sein Problem, nicht meines."

Auf den Bühnen der Berliner Kneipen klingt N’Sondés Emanzipation dann so:

"Ich hatte ein Konzert gemacht. Im Publikum, da waren Frauen aus Mali, die zu der Musik 'Le Ventilateur' getanzt haben. Ein traditioneller Tanz in Westafrika. Und neben dieser Frau hat ein junger Mann, ein Punker, Pogo getanzt zu der gleichen Musik. Das ist Afro Punk."

Selbstwertgefühl - das vermittelt Wilfried N’Sondé jetzt seinen beiden Kindern, die er zusammen mit seiner deutschen Frau hat. Und auch jungen Türken in Berlin. Denn er arbeitet eigentlich als Sozialarbeiter. Dazu kam er das ganze letzte Jahr kaum. Dank des Preises, den er erhalten hat - "le Prix des cinq continents de la Francophonie" - reiste er um die halbe Welt. Auch in seine Heimatstadt Brazzaville im Kongo - zum ersten Mal nach 35 Jahren.

"Ich habe gesagt: Ich habe kein Geld, aber ich habe ein Buch geschrieben. Das ist nicht schlecht."