Ein einzelner Reiter strebte auf die Burg zu. Ich wusste sofort Bescheid. Mein Herz klopfte wie verrückt und ich rannte die Stufen hinab, kam eben im Burghof an, als er wie aus einem christlichen Albtraum entwichen, sein schwarz gerüstetes Pferd anhielt. Unsere Blicke trafen sich. Er ritt auf mich zu, streckte mir die Hand entgegen und sagte: ‚Komm mit!‘
Liebe im Internet
In einem Online-Rollenspiel schreibt Andrea eine romantische Rittergeschichte. Sie entwickelt dabei tiefe Gefühle für ihren Mitspieler – den sie noch nie gesehen hat. © imago / fStop Images / Malte Müller
Mein Ritter, die Sehnsucht und ich
33:28 Minuten
In einem Onlinespiel lernt Andrea Thomas kennen. Zusammen entwickeln sie die Geschichte eines Königspaars. Andrea liebt die Geschichte, sie liebt das Paar – und irgendwann liebt sie auch ihren Mitspieler Thomas. Doch die Sache hat nicht nur einen Haken.
Andrea (Namen von der Redaktion geändert) ist Ende dreißig, als sie Thomas in einem Onlinespiel kennenlernt. Mit ihm zusammen beginnt sie eine Geschichte für das Spiel zu entwickeln – von zwei Figuren, die im Mittelalter leben und sich ineinander verlieben.
Die Fantasiewelt gibt ihr Kraft
Andrea lebt zusammen mit ihrem Freund und ihren zwei Töchtern in einer Doppelhaushälfte in Süddeutschland. Die Familie hat wenig Geld. Vormittags arbeitet Andrea, nachmittags kümmert sie sich um Kinder und Haushalt, es bleibt kaum Platz für ihre eigenen Bedürfnisse.
Die Kreativität, die das Spiel und das Schreiben in Andrea freisetzt, gibt ihr Kraft für den Alltag. Andrea und Thomas lassen ihre Charaktere wild-romantische Abenteuer erleben: Sie reisen, führen Handel und Kriege, sie heiraten, werden König und Königin und bekommen vier Kinder. Wenn sie nicht beieinander sein können, treffen sich abends ihre Blicke am Nordstern.
Im Chat kommen sie sich näher
Die Liebe ihrer Figuren hat auch Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Andrea und ihrem Mitspieler: Sie fühlt sich Thomas sehr nah. Ihr Austausch im Chat wird immer intensiver und vertrauter.
"Da fing es an. Dass ich mit großer Verblüffung vor dem PC saß und jeden Abend gemerkt habe, dass ich immer mehr vertraue und mein Herz noch mehr öffne", sagt Andrea heute.
Doch die Sache hat nicht nur einen Haken: Thomas ist erst 18. Andrea hat einen Freund und eine Familie. Sie und Thomas haben sich noch nie gesehen, nie telefoniert, nur geschrieben – und trotzdem hat Andrea Gefühle entwickelt, die sie so noch nie hatte.
"Ich konnte mit niemandem darüber reden"
"Ich bin ja jetzt nicht diese Generation, die damit aufgewachsen ist. Dass man sich verheiratet in so einem Online-Game, das kommt ja sicherlich häufiger vor. Aber ich war da so ganz hilflos. Ich bin da so ganz hilflos reingefallen. Und ich konnte auch mit niemandem darüber reden, was da eigentlich passiert."
Bis heute fragt sich Andrea, was damals mit ihr geschehen ist. Auch deswegen hat sie sich an Plus Eins gewandt, um ihre Geschichte zu erzählen – und sie vielleicht endlich zu verstehen.