Liebe, Leid und Schmerz

Von Anette Schneider |
Im Martin-Gropius-Bau in Berlin sind rund 150 Werke der Mexikanerin Frida Kahlo zu sehen. Erweitert wird die Ausstellung um zahlreiche Fotografien, die das Leben der Künstlerin illustrieren.
Expressionisten ziehen immer. Impressionisten ebenso. Und auch Frida Kahlo ist mittlerweile ein Selbstgänger: Spielfilme haben sie und ihr Werk populär gemacht. Ein Werk, das wie kaum ein anderes um die eigene Person kreist: Um die Schmerzen, die die 1907 in Mexiko-Stadt Geborene seit einem Unfall als junges Mädchen oft an Bett und Rollstuhl fesselten. Um ihre Leidenschaft für Männer, ihre Liebe zu dem Wandmaler Diego Rivera. Um Liebeskummer, und die Flucht aus dem Kummer in gemalte Urwaldparadiese.

Für Ingried Brugger, Direktorin des Kunstforums Wien, ist genau dies der Grund für die Popularität Kahlos. Denn, so die Mitorganisatorin der Ausstellung, die nach Berlin in Wien zu sehen sein wird:

"Dieses Leiden, diesen Schmerz: Wie verarbeitet sie das in ihren Bildern. Sie malt sich selber als leidende Person ins Paradies. Ins exotische Paradies. Sie bietet sozusagen dem Betrachter eine Möglichkeit an, bei aller Schwierigkeit, bei allen Schmerzen, die das Leben bereit hält, in exotische Paradiese einzutreten, und sich darin irgendwie aufzulösen. Das sind wirklich kalkulierte Momente für mich, die eben diese breite Identifikation mit Frida Kahlo fördern."

Zahlreiche biografische Fotografien eröffnen die Ausstellung. Es folgen 60 Gemälde und 80 Arbeiten auf Papier: Porträts, die Kahlo von Freunden malte, kleine, zeichnerische Experimente und Skizzen, vor allem aber Selbstbildnisse: Man sieht sie - in der für sie typischen naiv-wirkenden Malweise - in mexikanischen Trachten. Als Kranke im Rollstuhl, gefesselt ans Bett, mit Diego Rivera, oder mit Affen vor Urwaldpflanzen. Frida Kahlos Werk und ihr Leben seien eins, erklärt Ingried Brugger.

"Sie lassen sich nicht trennen. Es ist einfach hier eine Überlappung. Das ist nicht so oft bei Künstlern. Es ist hier in einem ganz extremen Ausmaß. Und man soll's gar nicht versuchen auseinanderzudividieren. Aber eines ist sicherlich richtig: Man muss die Künstlerin einfach auch genauer anschauen. Es ist auch ihre Halbnaivität ein künstlerisches Kalkül.

Sie bedient sich hier auch einer Strategie der Moderne, die auch die Kunst der Kunstlosigkeit propagiert, und bewusst einfach hier auch volkstümliche Elemente in die Kunst hat einfließen lassen. Von Picasso bis zu den Surrealisten. Und das hat natürlich auch Frida gemacht."

Die Ausstellung erzählt davon allerdings nichts. Ganz anders vor knapp vier Jahren eine Ausstellung in Hamburg: Sie stellte das Werk Kahlos in den Kontext ihrer Zeit - und befreite es damit von der einengenden Sichtweise, es handle sich dabei um rein selbsttherapeutische Malerei. Sie konfrontierte Bilder der äußerst belesenen Mexikanerin mit Werken von Max Ernst, George Grosz und Otto Dix - Maler, deren Werke sie kannte - und plötzlich reichten einige ihrer Bildideen über das private Leid hinaus, wurde deutlich, wie souverän sie sich im Surrealismus bediente, in der Neuen Sachlichkeit, oder bei den Stillleben der alten Holländer.

All dies interessiert die Berliner Ausstellungsmacher nicht: Ein Blick in die Welt fehlt völlig. Weder Kahlos Zeitgenossen, noch die politische Situation kommen vor. Und so fragt man sich während des Rundgangs irgendwann unweigerlich, was diese Ausstellung eigentlich will.

Kuratorin Helga Priegnitz-Poda: "Ich finde das Sensationelle an der Ausstellung ist wirklich die Vielzahl der unbekannten Werke. Ich hoffe, dass das Publikum auf jeden Fall neue Aspekte zum Frida-Kahlo-Bild gewinnen kann, da bin ich mir ganz absolut sicher. Weil wir haben eben nicht nur biografisch gehängt, sondern thematisch in Komplexe. Wir haben Stolpersteine eingebaut, zum Beispiel zwischen die Selbstbildnisse Stilleben gehängt, sodass man sich unbedingt fragen muss: 'Was machen die hier?.' Und dann kommt man eben drauf, was die Bedeutung hinter der Blume ist. So ist das für mich: 'Hinter die Blumen schauen, ja.'"

Das zelebriert die Ausstellung denn auch mit Innbrunst: Keine Blume, keine Frucht, keine Sonne und kein Mond, - kein Symbol also, das in den Begleittexten nicht entschlüsselt würde: Da gleicht die - Zitat - "grelle Farbigkeit” einer Wassermelonenspalte einem "Hilfeschrei” Frida Kahlos. Früchte, die die Melone umlagern verweisen auf "die Stärke der sie umgebenden Frauen, der Krankenschwestern und Pflegerinnen”. Hinter jeder Blüte lauert ein weibliches Geschlechtsmerkmal, jeder aufragende Kaktus ist das männliche Pendant, so wie Sonne und Mond Symbole für Frida Kahlo und Diego Rivera sind.

Diese Lesart ist nicht neu, doch die in Berlin praktizierte Ausschließlichkeit scheint eine neue Innerlichkeit vorzubereiten. Und das bedeutet: Die Retrospektive fällt hinter die Erkenntnisse der Hamburger Ausstellung zurück. Auch die hatte auf den biografisch-verschlüsselten Gehalt der Kahloschen Stillleben verwiesen - vergaß darüber aber eben nicht den Blick auf die niederländischen Vorbilder.

Auch Hamburg zeigte bereits Zeichnungen. Allerdings keine rekordverdächtige Anzahl - wobei in Berlin offen bleibt, weshalb es 80 Blätter sein müssen: Viele sind lediglich flüchtige Skizzen, Aufwärmer. Andere - darunter auch Zeichnungen aus der erstmals gezeigten Serie über Gefühle - erinnern an Telefonkritzeleien. Doch wird noch der kleinste Strich interpretiert als Ausdruck ihres persönlichen Leids.

So weitet die Ausstellung nicht den Blick auf die Künstlerin und ihre Zeit, sondern sie verengt ihn, reduziert das Werk auf Biografisches. So, wie es in den frühen 80er-Jahren die Frauenbewegung tat. Mit dem Unterschied, dass die Frida Kahlo erst einmal bekannt machen musste. Längst aber gilt das Werk der Mexikanerin als Publikumsmagnet. Wer Frida Kahlo zeigt, steht immer auf der sicheren Seite. Und genau das macht das risikolose, nach innen gerichtete Ausstellungskonzept besonders ärgerlich.