„Also eins ist ähnlich oder sogar gleich, nämlich das Zueinander-Streben-Wollen. Und wenn man sich nur gegenseitig berührt. Oder sich mal durch einen kleinen Kuss riecht. Das ist ja ganz wichtig. Nicht? Das ist eigentlich immer so gewesen.“
Liebe im Alter
Hans-Ulrich und Ruth haben sich über die Jahrzehnte hinweg die Liebe bewahrt. © Deutschlandradio / Paula Schneider
"Küssen könnte man öfter"
34:34 Minuten
Ruth und Hans-Ulrich sind seit fast sechzig Jahren verheiratet, ihre Zärtlichkeit haben sie sich trotzdem bewahrt. Dann muss Ruth ins Pflegeheim. Das Paar lebt vor, wie die Liebe lebendig bleibt, wenn ein Partner an Demenz erkrankt.
Hans-Ulrich und Ruth sind beide um die achtzig. In der Nachkriegszeit haben sie drei Kinder erzogen und beide gearbeitet. 1989 sind sie in Rente gegangen, aber auch danach waren beide rührig, haben sich ehrenamtlich engagiert, sind zweimal umgezogen und Ruth hat noch lange unterrichtet.
Bei allem Stress, allen Umbrüchen und anderen Herausforderungen des Lebens haben die beiden es geschafft, nicht nur zusammen auszuharren, sondern sich ihre Liebe zu bewahren. Mal ein bisschen ungeduldiger, mal reservierter oder neckender. Aber Liebe ist eben noch da.
"Ich bin nicht mehr ich"
Dann kommt der 5. August 2010. Nach der Mittagsruhe geht es Ruth nicht gut. „Ich bin nicht mehr ich“, murmelt sie und: „Ich gehöre nach dort drüben“. „Dort drüben“, gegenüber ihrer Wohnung, das ist ein Altenheim.
Ruths Mund ist verzogen, sie kann nur schwer sprechen. Hans-Ulrich ruft die 112. Seine Frau kommt ins Krankenhaus, in die Stroke Unit, die spezielle Schlaganfall-Station. Hans-Ulrich schreibt auf: „Alles wird anders jetzt. Ich könnte nur noch weinen.“ Und er grübelt von da an, was er vielleicht hätte verhindern können.
Nach ein paar Wochen zieht Ruth tatsächlich in das Pflegeheim gegenüber ihrer gemeinsamen Wohnung. Sie ist nicht nur körperlich eingeschränkt, sondern - wegen des Schlaganfalls und einer beginnenden Demenz - auch geistig. Hans-Ulrich muss sich nun kümmern. Dabei war Ruth immer die Starke von beiden. Jetzt hat sie oft verwirrte, in-sich-gekehrte und depressive Phasen.
Jeden Tag ein Besuch im Altenheim
Hans-Ulrich geht jeden Tag rüber ins Altenheim, versucht ihre Tage gemeinsam zu gestalten. Es zieht ihn weiterhin zu seiner Frau.
Ruths Stimmungen wechseln, genau wie ihre Kräfte. Ihr Lächeln wird breiter. Vielleicht durch die Demenz. Vielleicht durch stimmungsaufhellende Mittel. Und auch die heiseren Sätze werden kürzer, mal abstrus, mal burschikos, mal charmant.
Ein richtiger Zungenkuss
"Küssen könnte man öfter", sagt sie zu Hans-Ulrich, und er erzählt: "Wir haben uns heute erst wieder 'n richtigen Kuss gegeben. Ja. Als ich sie dann hochhob. Ich muss ihr ja immer helfen, beim Aufstehen aus dem Rollstuhl, um dann an den Rollator zu kommen. Und da haben wir uns fest umarmt und haben uns einen Kuss gegeben. Einen richtigen Zungenkuss."
Die Autorin Paula Schneider erzählt bei Plus Eins die Geschichte ihrer Großeltern Ruth und Hans-Ulrich: Wie eine Beziehung weitergeht, wenn einer von beiden schneller altert oder ernsthaft krank wird. Was sind das für Gefühle? Wie viel Platz bleibt der Liebe im Alter überhaupt?