Liebe zu Afrika
Auf der Berlinale erhielt "Schlafkrankeit" den Silbernen Bären. Der Film zeigt das Leben eines schon etwas älteren Entwicklungshelfers, der seine Liebe zum schwarzen Kontinent entdeckt. Nebenbei räumt er mit etlichen Klischees über Afrika und die angeblichen Segnungen der Entwicklungshilfe auf.
Frank Meyer: In dieser Woche kommt der Film in unsere Kinos, und Ulrich Köhler ist jetzt hier im Studio – seien Sie herzlich willkommen!
Ulrich Köhler: Ja, hallo!
Meyer: Herr Köhler, Ihre Eltern haben als Entwicklungshelfer im damaligen Zaire gearbeitet, in den 70er-Jahren, da waren Sie und Ihr Bruder mit dabei, dort in Afrika – wie nah ist Ihnen diese Zeit heute noch, wie nah ist Ihnen Afrika?
Köhler: Na ja, sie ist mir durch den Film natürlich sehr viel näher gerückt. Ich war auch tatsächlich wieder in Langa, in dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, und konnte leider mich mit sehr vielen Menschen überhaupt nicht mehr unterhalten, weil ich mein Kikongo, was ich als Kind wie meine Muttersprache Deutsch gesprochen habe, komplett vergessen hatte. Insofern ist es schon sehr nah durch die Dreharbeiten, und es ist natürlich auch eine prägende Zeit und eine sehr glückliche Zeit gewesen, vor allen Dingen einfach ein sehr freies Leben, eine Kindheit an einem großen Fluss, nicht zur Schule gehen, weil unsere Mutter uns unterrichtet, was ungefähr fast nie länger als eine Stunde am Tag gedauert hat. Und den Rest der Zeit waren wir halt in unseren Einbäumen auf dem Fluss oder mit unseren Freunden im Wald.
Meyer: Und Ihre Eltern haben nun dort lange Zeit als Entwicklungshelfer gearbeitet. Wenn man sich anschaut, wie dieses Thema Entwicklungshilfe in dem Film auftaucht und die Praxis der Entwicklungshilfe, dann taucht das eigentlich vor allem als ziemlich große Geldverschwendung in dem Film auf, oder?
Köhler: Ich wollte gerne ganz bewusst dieses idealisierte Bild, was man zum Beispiel von Bono und Bob Geldof kennt, die eben sagen, man müsste einfach nur mehr Geld nach Afrika schicken und dann würden die Probleme gelöst, also dieses Bild wollte ich eben in gewisser Weise infrage stellen, weil ich glaube, dass es doch ein sehr paternalistischer Ansatz ist, den wir Europäer immer noch haben, das sozusagen von außen eine Struktur in ein Land hineintragen lässt, das nicht immer gut geht. Und es ist auch wirklich so, dass die meisten Entwicklungshelfer, denen ich begegne, die glauben zwar sehr an das Projekt, in dem sie arbeiten, und halten ihre eigene Arbeit für sinnvoll, aber wenn man sich mit ihnen über Entwicklungshilfe im Allgemeinen unterhält, dann sind die Zweifel groß.
Meyer: Es gibt auch einen Moment in dem Film, da schaut man nur mal so kurz in einen Vortrag hinein, der offenbar irgendwo in Europa gehalten wird, und da sagt jemand, ein dunkelhäutiger Mann spricht da und sagt: All diese Entwicklungshilfe – von 500 Milliarden Dollar spricht er, glaube ich – in den letzten Jahrzehnten, die nach Afrika geflossen seien und die wenig gebracht hätten, sagt er. Ist das so etwas wie Ihre Meinung, die da in diesem Vortrag im Film auftaucht?
Köhler: Ja, bei meinem Recherchen bin ich einigen afrikanischen Ökonomen begegnet, die genau diese These vertreten eigentlich, die die These vertreten, dass wenn man die Entwicklungshilfe abschafft, dass alle Probleme Afrikas gelöst werden könnten durch den Markt. Und natürlich glaube ich nicht daran, dass der Markt Probleme löst, aber ich glaube schon, dass diese Menschen in der Kritik etwas treffen, allein schon, was das Selbstbewusstsein der Afrikaner betrifft. Ich bin jetzt vielen auch jüngeren akademischen Menschen aus der Mittelschicht begegnet in Afrika, die einfach sagen, dieses Bild von Afrika, das die Europäer aufrechterhalten, indem sie zu Spendenaktionen aufrufen – wie zum Beispiel die Aktionen von Bono und Bob Geldof oder Autoren wie Henning Mankell, der ja auch zum Teil in Afrika lebt –, dieses Bild, das trägt einfach nicht dazu bei, dass wir selbstbewusste Nationen werden, und das lässt uns in so einem doch irgendwie postkolonialen Verhältnis stecken bleiben und das führt nicht dazu, dass wir Afrikaner die Dinge selbst in die Hand nehmen. Und insofern hat das auf jeden Fall zwei Seiten, die Entwicklungshilfe.
Meyer: Vor allem zeigen Sie ja, wie zwei Entwicklungshelfer eigentlich leben mit dieser Situation, auch zwischen Europa und Afrika und Kamerun vor allem, dem Land, in dem sie sind. Einen haben wir schon kennengelernt eben in unserem Beitrag, Ebbo. Das ist ein Mann, der hat eine Familie in Deutschland, er bleibt aber in Afrika hängen. Was für ein Typ Entwicklungshelfer ist dieser Mann?
Köhler: Ja, Ebbo gehört zu einer Generation – er ist schon ein bisschen älter, er ist 55 –, er gehört zu einer Generation, die mit einem gewissen Idealismus und einer Abenteuerlust aufgebrochen ist nach Afrika, weil er einfach gehofft hat, dass er dort sinnvollere Arbeit leisten kann und vielleicht auch ein bisschen spannenderes Leben hat als in Europa, und der dann natürlich im Laufe der Zeit, die er dort verbracht hat, eher zu einem Realisten geworden ist und gesehen hat, dass die Dinge doch nicht so einfach sind, wie man sie sich vielleicht von außen vorstellt, und dass es einfach große Probleme gibt mit Korruption und mit der Nachhaltigkeit der Projekte und so weiter. Das heißt, er ist kein naiver Mensch, aber er liebt seine Arbeit. Und dann trifft er eine Lebensentscheidung, die sein Verhältnis zu Afrika dann doch auch sehr verändert, nämlich er entscheidet sich zu bleiben und seine Frau zu verlassen, und das ändert die Bedingungen seiner Existenz dort doch fundamental.
Meyer: Was führt zu dieser Entscheidung, warum kommt dieser Mann nicht mehr los von Afrika?
Köhler: Also wenn man sich einfach vorstellt, in Afrika arbeitet er im Ministerium mit wichtigen Menschen zusammen, er fährt einen Geländewagen, er hat Hausangestellte, er hat eine große Autonomie, die er so in Europa nicht haben würde, ja, davor hat er Angst, er kann sich einfach nicht vorstellen, jetzt in einer kleinen Praxis in einer deutschen Kleinstadt zu sitzen. Und andererseits ist es schon seine Liebe zu Afrika und zu der Arbeit dort.
Meyer: Wenn Sie sagen, seine andere Autorität in Afrika – der hat ja auch so zwei Seiten, er ist so innerhalb seines europäischen Kontextes, den er auch dabei hat, also seine Familie, ist ja so ein normaler, liberaler Gatte und Vater, wenn man ihn dann mit Afrikanern erlebt, lässt er auch öfter mal den Macho raushängen und so, hat so Kolonialherrenattitüden – wir haben die Szene gerade gehört, wie er seinen Nachtwächter da herunterputzt. Genießt er das auch, diese größere Autorität, diese Rolle, die er in Afrika hat?
Köhler: Ich möchte das gar nicht bewerten. Ich glaube einfach, dass es ein strukturelles Problem ist oder dass das ganz automatisch entsteht. In dem Moment, wo man sehr viel mehr Geld hat als die Menschen in unserem Umfeld, in dem Moment, wo man sehr vielen Menschen begegnet, die abhängig von einem sind, in dem Moment, wo man auch sehr vielen Erwartungen ausgesetzt ist, verändert sich einfach das Verhalten eines Menschen. Ein Europäer in Afrika kann ganz viel tun für die Menschen vor Ort. Wenn ein Mann eine Frau heiratet, dann ändert sich ihr Leben fundamental, wenn er jemandem einen Studienplatz in Europa besorgt oder auch einfach nur einen Job in einem Hilfsprojekt, dann macht das vielleicht einen riesigen Unterschied in dessen Leben. Und so eine Macht hat man eben in Deutschland nicht, und gleichzeitig sind damit auch enorme Erwartungen der Menschen verbunden, und die muss man sehr oft enttäuschen, weil man eben nicht jeden glücklich machen kann.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem Regisseur Ulrich Köhler über seinen Film Schlafkrankheit. Sie haben ja diesen Film zum allergrößten Teil auch in Afrika gedreht, mit einem sehr großen Team, 60 Leute, und als Regisseur ist man ja dann auch Chef eines solchen Teams, das da in Afrika arbeitet. Was war das für eine Erfahrung, hat Sie das auch in vielleicht unangenehme Situationen gebracht?
Köhler: Wir hatten überhaupt nicht die Absicht, ein 60-Leute-Team auf die Beine zu stellen, das ließ sich einfach unter den Umständen dort nicht vermeiden, weil einfach jeder Job, der in Europa von zwei, drei Leuten gemacht würde, dort von sehr viel mehr Menschen gemacht wird. Allein schon das Catering waren zehn Leute. Plötzlich hatten wir dieses Riesenteam, und das ist für mich schon eine sehr zwiespältige Sache gewesen, vor allen Dingen, als wir den zweiten Teil des Films gedreht haben und in einem sehr kleinen Dorf gearbeitet und gelebt haben. Das kann man sich ja leicht vorstellen, wenn da 60 Leute, ein Filmteam einfällt, …
Meyer: Da krempelt man das Dorf um.
Köhler: … dann verändert man das Dorfleben fundamental, zumindest in dieser Zeit, und weckt vielleicht auch Sehnsüchte, die man so nicht befriedigen kann und die einfach nicht gut sind. Es ist natürlich auch eine sehr viel größere Last, wenn 60 Leute darauf warten, dass man endlich eine Szene abgedreht hat, als wenn es nur fünf oder zehn sind.
Meyer: Das afrikanische Land, das Sie zeigen, das ist ein sehr alltägliches, es ist eben überhaupt keine schöne Fototapete, wie man sie öfter sieht, es ist aber auch nicht nur das dunkle, gewalttätige Afrika, das man auch kennt aus anderen Filmen. Es gibt aber so ein paar Momente, wo wiederum ein alternatives anderes magisches Afrika aufscheint. Wir haben ja vorhin diese Szene gehört, diese Erzählung von dem Apotheker, der sich in ein Nilpferd verwandelt, geglaubt wird, dass er sich so verwandelt – wie sind Sie zu so einer Geschichte gekommen?
Köhler: Das ist wirklich eine komplett autobiografische Geschichte. An diesem Fluss, an dem ich als Kind aufgewachsen bin, dem Kouilou, in dem Fluss gab es Nilpferde, und es hieß eben, dass sich bestimmte Menschen, Dorfälteste in Nilpferde verwandeln können und dass diese Tiere sehr gefährlich sind. Das hat mein Vater nicht so richtig geglaubt und ist oft mit uns Kindern hinter den Tieren her gepaddelt. Und dann, einige Jahre später, als wir Langa verlassen hatten, ist eine amerikanische Medizinstudentin, die im Fluss geschwommen ist, von einem Nilpferd getötet worden. Und dann hieß es eben, das sei aus Neid geschehen, weil der Chefarzt im Krankenhaus Angst gehabt hätte, seine Position zu verlieren, und deswegen sich in ein Nilpferd verwandelt hätte, um sie zu töten. Und natürlich waren sehr viele animistische Erzählungen für mich als Kind sehr prägend.
Meyer: Der ganze Film heißt ja "Schlafkrankheit", das hat einen sehr nachvollziehbaren Grund, weil es um eine Schlafkrankheitsepidemie geht in dem Film, aber gibt es noch einen weiteren Grund, warum der Film so heißt?
Köhler: Ja, ich meine, da will ich jetzt auch nicht zu viel sagen. Natürlich kann man da metaphorisch etwas hineinlesen, ich denke trotzdem, dass es schwerer ist, seine Freundin zu überreden, in einen Film zu gehen, der "Schlafkrankheit" heißt, als in einen Film, der "Kill Bill 2" heißt.
Meyer: "Schlafkrankheit", der dritte Spielfilm von Ulrich Köhler, bei der Berlinale ausgezeichnet mit einem Silbernen Bären, und ab Donnerstag können Sie sich diesen Film in unseren Kinos anschauen. Herr Köhler, vielen Dank für den Besuch und viel Glück mit dem Film!
Köhler: Ja, vielen Dank!
Ulrich Köhler: Ja, hallo!
Meyer: Herr Köhler, Ihre Eltern haben als Entwicklungshelfer im damaligen Zaire gearbeitet, in den 70er-Jahren, da waren Sie und Ihr Bruder mit dabei, dort in Afrika – wie nah ist Ihnen diese Zeit heute noch, wie nah ist Ihnen Afrika?
Köhler: Na ja, sie ist mir durch den Film natürlich sehr viel näher gerückt. Ich war auch tatsächlich wieder in Langa, in dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, und konnte leider mich mit sehr vielen Menschen überhaupt nicht mehr unterhalten, weil ich mein Kikongo, was ich als Kind wie meine Muttersprache Deutsch gesprochen habe, komplett vergessen hatte. Insofern ist es schon sehr nah durch die Dreharbeiten, und es ist natürlich auch eine prägende Zeit und eine sehr glückliche Zeit gewesen, vor allen Dingen einfach ein sehr freies Leben, eine Kindheit an einem großen Fluss, nicht zur Schule gehen, weil unsere Mutter uns unterrichtet, was ungefähr fast nie länger als eine Stunde am Tag gedauert hat. Und den Rest der Zeit waren wir halt in unseren Einbäumen auf dem Fluss oder mit unseren Freunden im Wald.
Meyer: Und Ihre Eltern haben nun dort lange Zeit als Entwicklungshelfer gearbeitet. Wenn man sich anschaut, wie dieses Thema Entwicklungshilfe in dem Film auftaucht und die Praxis der Entwicklungshilfe, dann taucht das eigentlich vor allem als ziemlich große Geldverschwendung in dem Film auf, oder?
Köhler: Ich wollte gerne ganz bewusst dieses idealisierte Bild, was man zum Beispiel von Bono und Bob Geldof kennt, die eben sagen, man müsste einfach nur mehr Geld nach Afrika schicken und dann würden die Probleme gelöst, also dieses Bild wollte ich eben in gewisser Weise infrage stellen, weil ich glaube, dass es doch ein sehr paternalistischer Ansatz ist, den wir Europäer immer noch haben, das sozusagen von außen eine Struktur in ein Land hineintragen lässt, das nicht immer gut geht. Und es ist auch wirklich so, dass die meisten Entwicklungshelfer, denen ich begegne, die glauben zwar sehr an das Projekt, in dem sie arbeiten, und halten ihre eigene Arbeit für sinnvoll, aber wenn man sich mit ihnen über Entwicklungshilfe im Allgemeinen unterhält, dann sind die Zweifel groß.
Meyer: Es gibt auch einen Moment in dem Film, da schaut man nur mal so kurz in einen Vortrag hinein, der offenbar irgendwo in Europa gehalten wird, und da sagt jemand, ein dunkelhäutiger Mann spricht da und sagt: All diese Entwicklungshilfe – von 500 Milliarden Dollar spricht er, glaube ich – in den letzten Jahrzehnten, die nach Afrika geflossen seien und die wenig gebracht hätten, sagt er. Ist das so etwas wie Ihre Meinung, die da in diesem Vortrag im Film auftaucht?
Köhler: Ja, bei meinem Recherchen bin ich einigen afrikanischen Ökonomen begegnet, die genau diese These vertreten eigentlich, die die These vertreten, dass wenn man die Entwicklungshilfe abschafft, dass alle Probleme Afrikas gelöst werden könnten durch den Markt. Und natürlich glaube ich nicht daran, dass der Markt Probleme löst, aber ich glaube schon, dass diese Menschen in der Kritik etwas treffen, allein schon, was das Selbstbewusstsein der Afrikaner betrifft. Ich bin jetzt vielen auch jüngeren akademischen Menschen aus der Mittelschicht begegnet in Afrika, die einfach sagen, dieses Bild von Afrika, das die Europäer aufrechterhalten, indem sie zu Spendenaktionen aufrufen – wie zum Beispiel die Aktionen von Bono und Bob Geldof oder Autoren wie Henning Mankell, der ja auch zum Teil in Afrika lebt –, dieses Bild, das trägt einfach nicht dazu bei, dass wir selbstbewusste Nationen werden, und das lässt uns in so einem doch irgendwie postkolonialen Verhältnis stecken bleiben und das führt nicht dazu, dass wir Afrikaner die Dinge selbst in die Hand nehmen. Und insofern hat das auf jeden Fall zwei Seiten, die Entwicklungshilfe.
Meyer: Vor allem zeigen Sie ja, wie zwei Entwicklungshelfer eigentlich leben mit dieser Situation, auch zwischen Europa und Afrika und Kamerun vor allem, dem Land, in dem sie sind. Einen haben wir schon kennengelernt eben in unserem Beitrag, Ebbo. Das ist ein Mann, der hat eine Familie in Deutschland, er bleibt aber in Afrika hängen. Was für ein Typ Entwicklungshelfer ist dieser Mann?
Köhler: Ja, Ebbo gehört zu einer Generation – er ist schon ein bisschen älter, er ist 55 –, er gehört zu einer Generation, die mit einem gewissen Idealismus und einer Abenteuerlust aufgebrochen ist nach Afrika, weil er einfach gehofft hat, dass er dort sinnvollere Arbeit leisten kann und vielleicht auch ein bisschen spannenderes Leben hat als in Europa, und der dann natürlich im Laufe der Zeit, die er dort verbracht hat, eher zu einem Realisten geworden ist und gesehen hat, dass die Dinge doch nicht so einfach sind, wie man sie sich vielleicht von außen vorstellt, und dass es einfach große Probleme gibt mit Korruption und mit der Nachhaltigkeit der Projekte und so weiter. Das heißt, er ist kein naiver Mensch, aber er liebt seine Arbeit. Und dann trifft er eine Lebensentscheidung, die sein Verhältnis zu Afrika dann doch auch sehr verändert, nämlich er entscheidet sich zu bleiben und seine Frau zu verlassen, und das ändert die Bedingungen seiner Existenz dort doch fundamental.
Meyer: Was führt zu dieser Entscheidung, warum kommt dieser Mann nicht mehr los von Afrika?
Köhler: Also wenn man sich einfach vorstellt, in Afrika arbeitet er im Ministerium mit wichtigen Menschen zusammen, er fährt einen Geländewagen, er hat Hausangestellte, er hat eine große Autonomie, die er so in Europa nicht haben würde, ja, davor hat er Angst, er kann sich einfach nicht vorstellen, jetzt in einer kleinen Praxis in einer deutschen Kleinstadt zu sitzen. Und andererseits ist es schon seine Liebe zu Afrika und zu der Arbeit dort.
Meyer: Wenn Sie sagen, seine andere Autorität in Afrika – der hat ja auch so zwei Seiten, er ist so innerhalb seines europäischen Kontextes, den er auch dabei hat, also seine Familie, ist ja so ein normaler, liberaler Gatte und Vater, wenn man ihn dann mit Afrikanern erlebt, lässt er auch öfter mal den Macho raushängen und so, hat so Kolonialherrenattitüden – wir haben die Szene gerade gehört, wie er seinen Nachtwächter da herunterputzt. Genießt er das auch, diese größere Autorität, diese Rolle, die er in Afrika hat?
Köhler: Ich möchte das gar nicht bewerten. Ich glaube einfach, dass es ein strukturelles Problem ist oder dass das ganz automatisch entsteht. In dem Moment, wo man sehr viel mehr Geld hat als die Menschen in unserem Umfeld, in dem Moment, wo man sehr vielen Menschen begegnet, die abhängig von einem sind, in dem Moment, wo man auch sehr vielen Erwartungen ausgesetzt ist, verändert sich einfach das Verhalten eines Menschen. Ein Europäer in Afrika kann ganz viel tun für die Menschen vor Ort. Wenn ein Mann eine Frau heiratet, dann ändert sich ihr Leben fundamental, wenn er jemandem einen Studienplatz in Europa besorgt oder auch einfach nur einen Job in einem Hilfsprojekt, dann macht das vielleicht einen riesigen Unterschied in dessen Leben. Und so eine Macht hat man eben in Deutschland nicht, und gleichzeitig sind damit auch enorme Erwartungen der Menschen verbunden, und die muss man sehr oft enttäuschen, weil man eben nicht jeden glücklich machen kann.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem Regisseur Ulrich Köhler über seinen Film Schlafkrankheit. Sie haben ja diesen Film zum allergrößten Teil auch in Afrika gedreht, mit einem sehr großen Team, 60 Leute, und als Regisseur ist man ja dann auch Chef eines solchen Teams, das da in Afrika arbeitet. Was war das für eine Erfahrung, hat Sie das auch in vielleicht unangenehme Situationen gebracht?
Köhler: Wir hatten überhaupt nicht die Absicht, ein 60-Leute-Team auf die Beine zu stellen, das ließ sich einfach unter den Umständen dort nicht vermeiden, weil einfach jeder Job, der in Europa von zwei, drei Leuten gemacht würde, dort von sehr viel mehr Menschen gemacht wird. Allein schon das Catering waren zehn Leute. Plötzlich hatten wir dieses Riesenteam, und das ist für mich schon eine sehr zwiespältige Sache gewesen, vor allen Dingen, als wir den zweiten Teil des Films gedreht haben und in einem sehr kleinen Dorf gearbeitet und gelebt haben. Das kann man sich ja leicht vorstellen, wenn da 60 Leute, ein Filmteam einfällt, …
Meyer: Da krempelt man das Dorf um.
Köhler: … dann verändert man das Dorfleben fundamental, zumindest in dieser Zeit, und weckt vielleicht auch Sehnsüchte, die man so nicht befriedigen kann und die einfach nicht gut sind. Es ist natürlich auch eine sehr viel größere Last, wenn 60 Leute darauf warten, dass man endlich eine Szene abgedreht hat, als wenn es nur fünf oder zehn sind.
Meyer: Das afrikanische Land, das Sie zeigen, das ist ein sehr alltägliches, es ist eben überhaupt keine schöne Fototapete, wie man sie öfter sieht, es ist aber auch nicht nur das dunkle, gewalttätige Afrika, das man auch kennt aus anderen Filmen. Es gibt aber so ein paar Momente, wo wiederum ein alternatives anderes magisches Afrika aufscheint. Wir haben ja vorhin diese Szene gehört, diese Erzählung von dem Apotheker, der sich in ein Nilpferd verwandelt, geglaubt wird, dass er sich so verwandelt – wie sind Sie zu so einer Geschichte gekommen?
Köhler: Das ist wirklich eine komplett autobiografische Geschichte. An diesem Fluss, an dem ich als Kind aufgewachsen bin, dem Kouilou, in dem Fluss gab es Nilpferde, und es hieß eben, dass sich bestimmte Menschen, Dorfälteste in Nilpferde verwandeln können und dass diese Tiere sehr gefährlich sind. Das hat mein Vater nicht so richtig geglaubt und ist oft mit uns Kindern hinter den Tieren her gepaddelt. Und dann, einige Jahre später, als wir Langa verlassen hatten, ist eine amerikanische Medizinstudentin, die im Fluss geschwommen ist, von einem Nilpferd getötet worden. Und dann hieß es eben, das sei aus Neid geschehen, weil der Chefarzt im Krankenhaus Angst gehabt hätte, seine Position zu verlieren, und deswegen sich in ein Nilpferd verwandelt hätte, um sie zu töten. Und natürlich waren sehr viele animistische Erzählungen für mich als Kind sehr prägend.
Meyer: Der ganze Film heißt ja "Schlafkrankheit", das hat einen sehr nachvollziehbaren Grund, weil es um eine Schlafkrankheitsepidemie geht in dem Film, aber gibt es noch einen weiteren Grund, warum der Film so heißt?
Köhler: Ja, ich meine, da will ich jetzt auch nicht zu viel sagen. Natürlich kann man da metaphorisch etwas hineinlesen, ich denke trotzdem, dass es schwerer ist, seine Freundin zu überreden, in einen Film zu gehen, der "Schlafkrankheit" heißt, als in einen Film, der "Kill Bill 2" heißt.
Meyer: "Schlafkrankheit", der dritte Spielfilm von Ulrich Köhler, bei der Berlinale ausgezeichnet mit einem Silbernen Bären, und ab Donnerstag können Sie sich diesen Film in unseren Kinos anschauen. Herr Köhler, vielen Dank für den Besuch und viel Glück mit dem Film!
Köhler: Ja, vielen Dank!