Liebeserklärung an die Literatur

Goran Petrovic hat einen Roman über die imaginäre Kraft des Lesens geschrieben und wählt dazu den Kniff des "Roman im Roman". Die Geschichte ist so verschlungen und dicht komponiert wie ein Garten, dessen labyrinthischer Zauber den Leser stellenweise taumeln lässt.
"Rings umher, soweit das Auge reichte, erstreckte sich ein Garten von verschwenderischer Schönheit". So lautet der erste Satz eines Romans, den der junge Belgrader Slavistik-Student Adam Lozanić umarbeiten soll. Das Angebot ist ungewöhnlich, aber gut bezahlt. Und dieses geheimnisvolle Buch mit dem Titel "Das Vermächtnis", 1936 veröffentlicht und gebunden in edlem marokkanischen Saffianleder, liegt so warm in Adams Hand, als sei es soeben vollendet worden.

Er nimmt den Auftrag an, beginnt zu lesen und gerät mitten hinein in die Fiktion: Adam spaziert plötzlich durch einen unbekannten Garten und erkundet das edle Interieur einer prächtigen Villa, die darin versteckt liegt. Und er lernt die Figuren des Buches kennen.

Sie vermischen sich wie von Zauberhand mit Belgrader Zeitgenossen Adams, die ebenso wie er den Roman "Das Vermächtnis" lesen. Da ist vor allem die betagte Natalija Dimitrijević. Sie kannte den Verfasser Anastas S. Branica noch persönlich und widmete ihm nach dem Suizid 1936 einen Nachruf.

Natalija lebt seit ihrer Geburt in einer Wohnung voller Bücher, die nicht zufällig an die Pflanzen eines großen Gartens erinnern: "Bevor Frau Dimitrijević in die Bibliothek ging, pflegte sie sich die Füße auf einer Matte im Flur abzutreten. Elegant, wie für einen Ausflug gekleidet – mit Hut und Spitzenhandschuhen – ging sie dann hinein, um in Tagträumen zu versinken wie im geheimnisvollen Blätterschatten einer Laube. Oder um geduldig über ihre Bücherbeete und die vielblättrigen Wipfel zu wachen, um eine leere Stelle zu beklagen wie einen abgesägten Ast, um jeden neuen Spross zu entdecken, um uralte, geschützt aufbewahrte Exemplare ans Licht zu holen und zu durchforsten."

Goran Petrović hat einen Roman über die imaginäre Kraft des Lesens geschrieben. Sein Roman ist so verschlungen und dicht komponiert wie ein Garten, dessen labyrinthischer Zauber den Leser stellenweise taumeln lässt. "Die Vision ist immer stärker als die Wirklichkeit selbst, sofern Wirklichkeit für einen Künstler überhaupt existiert", sagt Anastas S. Branica, der Verfasser des "Romans im Roman" und einer der zentralen Protagonisten von Goran Petrović.

Dessen eigene Vision – sein Roman "Die Villa am Rande der Zeit" – ist ein raffinierter Irrgarten, in dem die Zeit aufgehoben ist und Belgrader Geschichte, Belgrader Architektur, Verweise auf Autoren wie den Schriftsteller Ivan Turgenev und Romanfiguren miteinander verwoben sind.

Denunziantentum und Verrat im Jugoslawien des 20. Jahrhunderts bilden zentrale Elemente des Romans. Einige der Figuren sind daneben durch überwiegend unerfüllte Liebesbeziehungen miteinander verbunden. Adam, der junge Slavist, darf am Ende des Buches mit Jelena, der Gesellschafterin von Natalija Dimitrijević, ein angedeutetes Happy End erleben. Die eigentliche Liebeserklärung aber wird in diesem Buch der Literatur gemacht. Sie ist die Hauptfigur in diesem im doppelten Sinne phantastischen Roman.

Besprochen von Olga Hochweis

Goran Petrović: Die Villa am Rande der Zeit
Aus dem Serbischen von Susanne Böhm-Milosavljević
dtv Verlag, München 2010,
400 Seiten, 14,90 Euro