Liebesgeschichte in neuem Gewand

Nach 13 Jahren bekommt einer der großen Romane des Japaners Haruki Murakami ein neues schönes Gewand. Statt "Gefährliche Geliebte" heißt er nun "Südlich der Grenze, westlich der Sonne" - ein lesenswerter literarischer Wiedergänger und ein Lehrstück in Sachen Wertschätzung von Übersetzungen.
Sie gehört zu den meistzitierten Stunden der Literaturberichterstattung: die Szene, in der sich am 30. Juli 2000 die Mitglieder des "Literarischen Quartetts" über einen Roman des japanischen Autors Haruki Murakami zerstritten, um dann damit das Zerbersten dieser Sendung per se einzuleiten. Es wäre müßig, das Attribut des "literarischen Fastfoods", das damals fiel, nur auf die problematische Übersetzung zu kaprizieren. Und doch lässt sich feststellen, dass der Roman in der nun direkt aus dem Japanischen übertragenen Version eine völlig neue Textur hat.

"Südlich der Grenze, westlich der Sonne" ist 1992 in Japan erschienen, 1999 im englischsprachigen Raum, ein Jahr später aus dem Englischen übertragen in Deutschland. Man kann es das Prinzip der Stillen Post nennen: ein Text wird erst in die eine, dann in die andere Sprache gehoben. Natürlich hält er dies nicht aus. Denn der Raum, der sich zwischen zwei Sprachen auftut beim Übersetzen muss angefüllt werden mit Entscheidungen. Es muss gewogen und gewagt werden, eine Übersetzung ist kein Echo, sondern muss eigenständiges Sprechen werden.

Liest man die Neuübersetzung der Murakamiversierten Japanologin Ursula Gräfe beantwortet sich eine Frage bereits mit dem ersten Satz: Ja, dieses Buch lässt sich noch einmal lesen. Denn es ist ein anderes geworden. Was in der Erstübersetzung aus dem Englischen als Slang störte, ist nun der Murakami-typischen einfachen Alltagsprache gewichen, aus der einzelne Sätze herausleuchten.

Eine unaufgeregte Grammatik, eine sparsam Metaphorik: aus diesem beinahe aseptischen Klang heraus erzählt der recht unkomplex gestrickte Barbesitzer Hajime von seiner großen Liebe Shimamoto. Die er als Kind kennenlernt, mit der er Jazzplatten hört bis er mit seinen Eltern wegzieht, und der er nach fünfundzwanzig Jahren erneut begegnet - um sie wieder und wieder an ihre geheimnisvollen Lebensumstände zu verlieren.

In Armanianzug und Kaschmirjacke gewandet, mit Jeeps und Cocktails, eleganten Zigaretten und Jazzfachsimpeleien garniert entspinnt sich eine Beziehung, die von Shimamoto nach Belieben - oder durch nicht näher erläuterte Zwänge - an und aus geschaltet wird. Was als freudiges Wiedersehen beginnt wird durch Todesvorahnungen gekreuzt. Am Schluss bleibt die Frage nach Fantasie und Realität: Beweise für die Existenz Shimamotos werden unauffindbar, aus der femme fatale wird eine femme fantôme.

Die Kinder-Ichs, die sich begegnen um sich als Erwachsene durch komplizierte Umstände hindurch wieder an den Händen zu halten oder sich endgültig verlieren: diese Konstellation zieht sich durch Murakamis Romane. Doch in "Südlich der Grenze, westlich der Sonne" kulminieren nicht nur motivisch bereits alle Künste des ewigen Literaturnobelpreiskandidaten.

Es sind diese aus der Normalität entwickelten Anschläge auf den Rationalismus, die seine Texte so intensiv werden lassen. Berückend, gerade weil er es versteht, die Unschlüssigkeitsmomente der klassischen Fantastik nicht mit Schauermärchenpersonal zu besetzen, sondern durch Identifikationsfiguren aus der west-östlichen Spätmoderne. Daraus wiederum eine kunstvolle, immer wieder zu lesende Liebesgeschichte zu fertigen, ist große Literatur. Nun auch in aller Eleganz: das neue sprachliche Gewand ist ihr wie auf den Leib geschneidert.

Besprochen von Katrin Schumacher

Haruki Murakami: Südlich der Grenze, westlich der Sonne.
Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe, Dumont Verlag 2013, 224 Seiten, 16,99 Euro


Links auf dradio.de:
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