Liebesleid
In den vergangenen Jahren war es ruhiger geworden um die "Skandalkünstlerin" der BritArt. Nun aber ist Tracey Emin wieder da: Mit "Those Who Suffer Love" präsentiert die inzwischen 45-Jährige in London ihre erste Solo-Ausstellung seit vier Jahren. Darin geht es, wie sie selbst sagt, um die Liebe, wie sie kommt und wieder geht, Leidenschaft und Leiden, Lust und Verlust.
Das Timing sei perfekt, sagt Tracey Emin. Ihre erste Solo-Ausstellung in London seit vier Jahren komme, nach zwei Jahren Vorbereitung, gerade zur rechten Zeit.
Die zeitgenössische Kunst habe momentan mal wieder eine miserable Presse, nicht zuletzt wegen der ungebrochenen Dominanz der Märkte. Da werde – Börsenkrise hin, Rezession her – auf Glitz und Glamour gemacht und mit astronomischen Summen jongliert, als sei nichts passiert. Wo es doch darauf ankomme, dass wir uns auf das Wesentliche konzentrieren.
Das Wesentliche. Emin, deren eigener Kurswert als Künstlerin auch nicht gerade gegen Null tendiert, meint damit: Kunst wird nicht auf den Märkten gemacht oder in den Auktionshäusern, sondern sie entsteht aus Ideen. Und genau darum, sagt sie, gehe es in ihrer neuen Ausstellung: um das Wesentliche und um Ideen.
Das Wesentliche im Leben von "Mad Tracey" aus Margate, das war mal Sex. Mit den bekannten Folgen: Vergewaltigung als Teenager, Abtreibungen, Kinderlosigkeit. Inzwischen ist sie Mitte 40 und über vieles hinweg. Und dennoch: Ihre Promiskuität, die Tristesse ihrer Kindheit, der Missbrauch und die Alkoholexzesse, ihre Neurosen und ihre ganze Biografie, sie sind bis heute ihr zentrales Thema und der wichtigste Rohstoff ihrer so privaten Kunst. Das beweist auch diese Ausstellung.
Das eigene gebrochene Leben als Kunstwerk betrachten: In Sachen Selbstdarstellung und Selbstentblössung ist niemand so radikal und so konsequent wie Emin. Das Wesentliche, das ist für sie immer wieder sie selbst und ihre Sexualität. Nur statt von Sex spricht sie heute von Erotik und vom Dilemma und der Ambivalenz der Liebe. Liebe ist Lust und Leidenschaft, aber auch Verlust und Liebesleid.
Ihr ganzes Leben habe sie Liebe immer nur als Konflikt erlebt. Nie sei sie einfach nur glücklich oder unglücklich gewesen. Erst spät habe sie gelernt, Psyche und Körper im Gleichgewicht zu halten. Heute verstehe sie vieles besser, damals sei sie zu verrückt gewesen.
Das Titelstück der Schau ist ein Neon-Schriftzug mit der Parole – oder ist es einer ihrer Ideen? – "Those Who Suffer Love" – "Wer Liebe empfängt oder erduldet". Darunter läuft in der Endlosschleife ein 30-Sekunden-Video: eine Art Daumenkino-Animation, angefertigt aus einigen Hundert Einzelzeichnungen. Zu sehen ist, typisch Hardcore-Emin, eine masturbierende Frau, nackt mit weit gespreizten Beinen.
Sie finde das Filmchen sehr gelungen. Aber es gehe ihr damit nicht um Provokation, sondern sie demonstriere ihr Talent als Zeichnerin. Auf ihr zeichnerisches Können sei sie sehr stolz, und gerade gutes Zeichnen sei heute besonders wichtig.
"Back to basics” – auch das meint Tracey Emin mit der Konzentration auf das Wesentliche: die Rückkehr zur schönen Kunst des Zeichnens. Nicht Videos oder Installationen, auch nicht die mit Namen und Parolen verzierten Teppichstickereien, sondern der Dialog mit dem Papier, die Linienführung, seien es Kringel oder Kritzeleien, und Zeichnen als Abdruck seelischer Vorgänge, dies sei ihr eigentliches Metier.
Zeichnungen stehen denn auch im Mittelpunkt dieser ebenso selbstbewussten wie schonungslos intimen Talentschau. Viele sind hier erstmals ausgestellt, auch die bereits in den 90er-Jahren entstandenen Arbeiten. Die expliziten Darstellungen verrenkter und erregter Körper zeigen den Einfluss Egon Schieles. Sie tragen Titel wie "Wenn ich nur wieder von vorn anfangen könnte" oder "Aufgerissen". Einige enthalten kurze Begleittexte wie "Harder and better than all you fucking bastards".
Man mag Emins Bilderbeichten, die unbewältigten Krisen und Traumata und die Qual des Ringens um ihre feminine Identität als autoanalytische Selbstinszenierung abtun und, sicher, auch als ein Stück clevere Selbstvermarktung. Und man mag lachen über das mitunter infantile und sentimentale Gefasel in ihren Texten.
Eines aber belegt diese Solo-Schau allemal: die emotionale Ehrlichkeit eines autobiografischen Exhibitionismus, der mit Pornografie nichts zu tun hat, dafür umso mehr mit der Sehnsucht nach Anerkennung als Frau und Künstlerin, die ernst genommen werden will – so wie ihre großen Vorbilder Frida Kahlo, Louise Bourgeois und Käthe Kollwitz.
"Die wirklich erfolgreichen Künstler waren in der Mehrzahl Männer. Ich frage mich: Was mache ich mit 80? Ich muss mich weiter auf das konzentrieren, was ich weiß und kann. Meine Arbeit bleibt ein kontinuierlicher Dialog mit mir selbst."
Service:
Tracey Emin: Those Who Suffer Love
White Cube
29.5. – 4.7.2009
Die zeitgenössische Kunst habe momentan mal wieder eine miserable Presse, nicht zuletzt wegen der ungebrochenen Dominanz der Märkte. Da werde – Börsenkrise hin, Rezession her – auf Glitz und Glamour gemacht und mit astronomischen Summen jongliert, als sei nichts passiert. Wo es doch darauf ankomme, dass wir uns auf das Wesentliche konzentrieren.
Das Wesentliche. Emin, deren eigener Kurswert als Künstlerin auch nicht gerade gegen Null tendiert, meint damit: Kunst wird nicht auf den Märkten gemacht oder in den Auktionshäusern, sondern sie entsteht aus Ideen. Und genau darum, sagt sie, gehe es in ihrer neuen Ausstellung: um das Wesentliche und um Ideen.
Das Wesentliche im Leben von "Mad Tracey" aus Margate, das war mal Sex. Mit den bekannten Folgen: Vergewaltigung als Teenager, Abtreibungen, Kinderlosigkeit. Inzwischen ist sie Mitte 40 und über vieles hinweg. Und dennoch: Ihre Promiskuität, die Tristesse ihrer Kindheit, der Missbrauch und die Alkoholexzesse, ihre Neurosen und ihre ganze Biografie, sie sind bis heute ihr zentrales Thema und der wichtigste Rohstoff ihrer so privaten Kunst. Das beweist auch diese Ausstellung.
Das eigene gebrochene Leben als Kunstwerk betrachten: In Sachen Selbstdarstellung und Selbstentblössung ist niemand so radikal und so konsequent wie Emin. Das Wesentliche, das ist für sie immer wieder sie selbst und ihre Sexualität. Nur statt von Sex spricht sie heute von Erotik und vom Dilemma und der Ambivalenz der Liebe. Liebe ist Lust und Leidenschaft, aber auch Verlust und Liebesleid.
Ihr ganzes Leben habe sie Liebe immer nur als Konflikt erlebt. Nie sei sie einfach nur glücklich oder unglücklich gewesen. Erst spät habe sie gelernt, Psyche und Körper im Gleichgewicht zu halten. Heute verstehe sie vieles besser, damals sei sie zu verrückt gewesen.
Das Titelstück der Schau ist ein Neon-Schriftzug mit der Parole – oder ist es einer ihrer Ideen? – "Those Who Suffer Love" – "Wer Liebe empfängt oder erduldet". Darunter läuft in der Endlosschleife ein 30-Sekunden-Video: eine Art Daumenkino-Animation, angefertigt aus einigen Hundert Einzelzeichnungen. Zu sehen ist, typisch Hardcore-Emin, eine masturbierende Frau, nackt mit weit gespreizten Beinen.
Sie finde das Filmchen sehr gelungen. Aber es gehe ihr damit nicht um Provokation, sondern sie demonstriere ihr Talent als Zeichnerin. Auf ihr zeichnerisches Können sei sie sehr stolz, und gerade gutes Zeichnen sei heute besonders wichtig.
"Back to basics” – auch das meint Tracey Emin mit der Konzentration auf das Wesentliche: die Rückkehr zur schönen Kunst des Zeichnens. Nicht Videos oder Installationen, auch nicht die mit Namen und Parolen verzierten Teppichstickereien, sondern der Dialog mit dem Papier, die Linienführung, seien es Kringel oder Kritzeleien, und Zeichnen als Abdruck seelischer Vorgänge, dies sei ihr eigentliches Metier.
Zeichnungen stehen denn auch im Mittelpunkt dieser ebenso selbstbewussten wie schonungslos intimen Talentschau. Viele sind hier erstmals ausgestellt, auch die bereits in den 90er-Jahren entstandenen Arbeiten. Die expliziten Darstellungen verrenkter und erregter Körper zeigen den Einfluss Egon Schieles. Sie tragen Titel wie "Wenn ich nur wieder von vorn anfangen könnte" oder "Aufgerissen". Einige enthalten kurze Begleittexte wie "Harder and better than all you fucking bastards".
Man mag Emins Bilderbeichten, die unbewältigten Krisen und Traumata und die Qual des Ringens um ihre feminine Identität als autoanalytische Selbstinszenierung abtun und, sicher, auch als ein Stück clevere Selbstvermarktung. Und man mag lachen über das mitunter infantile und sentimentale Gefasel in ihren Texten.
Eines aber belegt diese Solo-Schau allemal: die emotionale Ehrlichkeit eines autobiografischen Exhibitionismus, der mit Pornografie nichts zu tun hat, dafür umso mehr mit der Sehnsucht nach Anerkennung als Frau und Künstlerin, die ernst genommen werden will – so wie ihre großen Vorbilder Frida Kahlo, Louise Bourgeois und Käthe Kollwitz.
"Die wirklich erfolgreichen Künstler waren in der Mehrzahl Männer. Ich frage mich: Was mache ich mit 80? Ich muss mich weiter auf das konzentrieren, was ich weiß und kann. Meine Arbeit bleibt ein kontinuierlicher Dialog mit mir selbst."
Service:
Tracey Emin: Those Who Suffer Love
White Cube
29.5. – 4.7.2009