Liebespaar des Mittelalters
Jahrhunderte vor der Aufklärung schlug Pierre Abaelard, geboren 1079, eine Klinge für die vernunftgemäße Argumentation nicht nur in der Philosophie, sondern auch in Glaubensfragen. Und zusammen mit Heloise bildete er eines der berühmtesten Liebespaare des Hochmittelalters. Unter dem Titel "Vernunft und Leidenschaft" hat Lothar Kolmer, Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität in Salzburg, Abaerlard ein würdiges Denkmal gesetzt.
"Die Bücher lagen aufgeschlagen vor uns, doch unser Gespräch bewegte sich mehr um Liebe als um Philosophie, und es kam mehr zum Austausch von Küssen als von Worten der Weisheit."
Die Kunst der Liebe statt die Kunst der Logik lehrt der 38-jährige Pierre Abaelard seiner Schülerin Heloise, knapp 20 Jahre alt. Ein Bekenntnis aus der "Historia calamitatum", Abaelards Autobiografie.
Aber Kolmer hegt (wie andere Wissenschaftler auch) Zweifel, ob Abaelard diesen Text tatsächlich selbst geschrieben hat. Das Werk ist nur in Abschriften erhalten. Möglicherweise waren spätere Autoren am Werk, die ihre Version dieser Lebens- und Leidensgeschichte unter Abaelards Namen verbreitet haben.
Kolmers Anliegen in diesem Buch ist es, Dichtung und Wahrheit über Pierre Abaelard voneinander zu scheiden.
"Die Aufgabe gleicht der, mit etlichen blassen Steinchen ein Mosaik zu rekonstruieren. Punke auf einer enormen Fläche sind das Resultat. Es bleiben Hypothesen."
Denn die Quellenlage ist spärlich. Kolmer hat viele Zeitzeugnisse herangezogen - Briefe von Freunden und Feinden des Pierre Abaelard und vor allem Prozessakten. Denn der Philosoph und Theologe war ein streitbarer Mann und hat ein Gutteil seines Lebens vor Gerichten zugebracht, geistlichen und weltlichen, auch seiner Romanze mit Heloise folgt ein juristisches Nachspiel.
Diese Liebesgeschichte ist Literatur geworden, hat Petrarca inspiriert und Jean-Jacques Rousseau genauso wie Friedrich Schlegel und die deutsche Romantik. Sie lebt bis heute von ihrer Tragik und ihrer Verklärung.
"Heloise erklärte mir, es wäre ihr lieber, meine Geliebte und nicht meine Ehegattin zu sein. 'Freundin’ oder 'Geliebte’ zu heißen, ja sogar 'Buhle’ töne soviel süßer als 'Gattin’ genannt zu werden."
So Abealard in der "Historia calamitatum". Die einzige Quelle, die uns über Helois' Gedanken berichtet. Kolmer hält sie für literarische Fantasie, die Realitäten im Hochmittelalter sahen anders aus. Die Ehe war die Versorgungseinrichtung, wie hätte Heloise verzichten können?
Historisch belegt ist nur, dass Abaelard Heloise geschwängert hat, ihre Familie ihn als Verführer betrachtete und Rache nahm. Sie ließ Abealard bei Nacht überfallen und ihm das Glied abschneiden, Abaelard hat nur mit knapper Not überlebt.
Ein barbarischer Akt der Selbstjustiz, den Kolmer recht nüchtern betrachtet. Er belegt, dass Heloises Familie mit legalen juristischen Mitteln keine Chance gehabt hätte, Abaelard zu belangen, denn seine Schülerin war ja freiwillig seine Geliebte geworden.
Heloise hat sich später in ein Kloster zurückgezogen. Auch in dieser Sache sind Kolmers Gedanken nicht eben romantisch:
"Wollte Abaelard Heloise nur in Sicherheit bringen? Oder sie nicht doch als Hindernis abschieben? Denn hinterher arbeitete Abaelard weiterhin und heftig an seiner Karriere."
Als Lehrer für Logik, Dialektik und Theologie. Abaelard lehrte am liebsten an der Domschule der Notre-Dame in Paris, geliebt von seinen Schülern, gefürchtet von seinen Feinden, vor allem wegen seiner Kunst zu disputieren.
"Die Gegner, oft genug geistig wie verbal unterlegen, waren zahlreich, stark, verbittert und erbost."
Allen voran Bernhard von Clairvaux. Abaelards kritischer Umgang mit den Bibeltexten mussten dem mächtigen Abt missfallen.
"Für Bernhard lenkte die Heilige Schrift zum Gebet hin, zur Versenkung der Seele, zur kontemplativen Betrachtung der Wahrheit. Abaelard dagegen analysierte den Text. Er sah die Wissenschaft als ein gottgegebenes Werkzeug an, mit dem gläubige Menschen Unglauben und Irrtum bekämpfen könnten."
Ein Mystiker gegen einen Analytiker. Der Mystiker Bernhard trägt schließlich den Sieg davon, nicht, weil er die Wahrheit, sondern die Macht auf seine Seite bringt: zuerst die französischen Bischöfe, später den Papst.
1141 wird Pierre Abaelard als Häretiker verurteilt, ihm Lehrverbot erteilt, seine Schriften verbrannt. Lothar Kolmer gibt seinem Leser Einblick in die Prozess-Akten und kommt zu folgendem Schluss:
"Alle Urteile gegen Abaelard waren, schon nach den Rechtsmaßstäben der eigenen Zeit, unbegründet, fehlerhaft, falsch. Abaelard war kein Häretiker! Papst Innozenz II. hat durch sein End-Urteil nicht der Gerechtigkeit zum Sieg verholfen, sondern das Unrecht bestätigt und vertieft. Doch eine Aufhebung der damaligen Urteile kirchlicherseits steht nicht zu erwarten."
Kolmer ist ein nüchtern-analytischer Geist. Er liest Texte genau, vergleicht eine Menge verschiedene Zeugnisse, bringt Ungereimtheiten zur Sprache und versucht, sich an die spärlichen Fakten zu halten. Kolmers klare Argumentation hätte seinem Protagonisten sicher gefallen. Dieses Buch ist ein würdiges Denkmal für Pierre Abaelard.
Rezensiert von Susanne Mack
Lothar Kolmer: Abaelard. Vernunft und Leidenschaft,
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2008,
122 Seiten, 22,90 Euro
Die Kunst der Liebe statt die Kunst der Logik lehrt der 38-jährige Pierre Abaelard seiner Schülerin Heloise, knapp 20 Jahre alt. Ein Bekenntnis aus der "Historia calamitatum", Abaelards Autobiografie.
Aber Kolmer hegt (wie andere Wissenschaftler auch) Zweifel, ob Abaelard diesen Text tatsächlich selbst geschrieben hat. Das Werk ist nur in Abschriften erhalten. Möglicherweise waren spätere Autoren am Werk, die ihre Version dieser Lebens- und Leidensgeschichte unter Abaelards Namen verbreitet haben.
Kolmers Anliegen in diesem Buch ist es, Dichtung und Wahrheit über Pierre Abaelard voneinander zu scheiden.
"Die Aufgabe gleicht der, mit etlichen blassen Steinchen ein Mosaik zu rekonstruieren. Punke auf einer enormen Fläche sind das Resultat. Es bleiben Hypothesen."
Denn die Quellenlage ist spärlich. Kolmer hat viele Zeitzeugnisse herangezogen - Briefe von Freunden und Feinden des Pierre Abaelard und vor allem Prozessakten. Denn der Philosoph und Theologe war ein streitbarer Mann und hat ein Gutteil seines Lebens vor Gerichten zugebracht, geistlichen und weltlichen, auch seiner Romanze mit Heloise folgt ein juristisches Nachspiel.
Diese Liebesgeschichte ist Literatur geworden, hat Petrarca inspiriert und Jean-Jacques Rousseau genauso wie Friedrich Schlegel und die deutsche Romantik. Sie lebt bis heute von ihrer Tragik und ihrer Verklärung.
"Heloise erklärte mir, es wäre ihr lieber, meine Geliebte und nicht meine Ehegattin zu sein. 'Freundin’ oder 'Geliebte’ zu heißen, ja sogar 'Buhle’ töne soviel süßer als 'Gattin’ genannt zu werden."
So Abealard in der "Historia calamitatum". Die einzige Quelle, die uns über Helois' Gedanken berichtet. Kolmer hält sie für literarische Fantasie, die Realitäten im Hochmittelalter sahen anders aus. Die Ehe war die Versorgungseinrichtung, wie hätte Heloise verzichten können?
Historisch belegt ist nur, dass Abaelard Heloise geschwängert hat, ihre Familie ihn als Verführer betrachtete und Rache nahm. Sie ließ Abealard bei Nacht überfallen und ihm das Glied abschneiden, Abaelard hat nur mit knapper Not überlebt.
Ein barbarischer Akt der Selbstjustiz, den Kolmer recht nüchtern betrachtet. Er belegt, dass Heloises Familie mit legalen juristischen Mitteln keine Chance gehabt hätte, Abaelard zu belangen, denn seine Schülerin war ja freiwillig seine Geliebte geworden.
Heloise hat sich später in ein Kloster zurückgezogen. Auch in dieser Sache sind Kolmers Gedanken nicht eben romantisch:
"Wollte Abaelard Heloise nur in Sicherheit bringen? Oder sie nicht doch als Hindernis abschieben? Denn hinterher arbeitete Abaelard weiterhin und heftig an seiner Karriere."
Als Lehrer für Logik, Dialektik und Theologie. Abaelard lehrte am liebsten an der Domschule der Notre-Dame in Paris, geliebt von seinen Schülern, gefürchtet von seinen Feinden, vor allem wegen seiner Kunst zu disputieren.
"Die Gegner, oft genug geistig wie verbal unterlegen, waren zahlreich, stark, verbittert und erbost."
Allen voran Bernhard von Clairvaux. Abaelards kritischer Umgang mit den Bibeltexten mussten dem mächtigen Abt missfallen.
"Für Bernhard lenkte die Heilige Schrift zum Gebet hin, zur Versenkung der Seele, zur kontemplativen Betrachtung der Wahrheit. Abaelard dagegen analysierte den Text. Er sah die Wissenschaft als ein gottgegebenes Werkzeug an, mit dem gläubige Menschen Unglauben und Irrtum bekämpfen könnten."
Ein Mystiker gegen einen Analytiker. Der Mystiker Bernhard trägt schließlich den Sieg davon, nicht, weil er die Wahrheit, sondern die Macht auf seine Seite bringt: zuerst die französischen Bischöfe, später den Papst.
1141 wird Pierre Abaelard als Häretiker verurteilt, ihm Lehrverbot erteilt, seine Schriften verbrannt. Lothar Kolmer gibt seinem Leser Einblick in die Prozess-Akten und kommt zu folgendem Schluss:
"Alle Urteile gegen Abaelard waren, schon nach den Rechtsmaßstäben der eigenen Zeit, unbegründet, fehlerhaft, falsch. Abaelard war kein Häretiker! Papst Innozenz II. hat durch sein End-Urteil nicht der Gerechtigkeit zum Sieg verholfen, sondern das Unrecht bestätigt und vertieft. Doch eine Aufhebung der damaligen Urteile kirchlicherseits steht nicht zu erwarten."
Kolmer ist ein nüchtern-analytischer Geist. Er liest Texte genau, vergleicht eine Menge verschiedene Zeugnisse, bringt Ungereimtheiten zur Sprache und versucht, sich an die spärlichen Fakten zu halten. Kolmers klare Argumentation hätte seinem Protagonisten sicher gefallen. Dieses Buch ist ein würdiges Denkmal für Pierre Abaelard.
Rezensiert von Susanne Mack
Lothar Kolmer: Abaelard. Vernunft und Leidenschaft,
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2008,
122 Seiten, 22,90 Euro