Liebesroman

Showdown in den Bergen

Schneebedeckte Berge vor einem grauen Himmel
Die Landschaft bildet bei Charles Frazier den stimmungsmächtigen Hintergrund für eine dramatische Geschichte. © afp/ Joseph Eid
Von Wolfgang Schneider |
Charles Frazier erzählt von einer aufgeschobenen Liebe zu Zeiten sozialer Verwahrlosung. Luce kümmert sich um die traumatisierten Kinder ihrer ermordeten Schwester. Dann taucht der Kindsvater – der Mörder – auf, Luces drogensüchtiger Vater mischt sich ein und ein alter Verehrer auch. Frazier tut sich dabei mit literarischer Feinzeichnung hervor, aber nicht mit einer originellen Handlung.
Mit seinem ersten Roman "Unterwegs nach Cold Mountain" (1997) gelang Charles Frazier, wovon Autoren träumen: ein Millionen-Bestseller, dazu Kritiker-Lob und der National Book Award. Und eine Verfilmung mit Nicole Kidman und Jude Law. Auf diesem Erfolg ruhte er sich offenbar ein wenig aus; sein zweiter Roman "Dreizehn Monde" erschien erst 2007. Fraziers dritter Roman "Ins Dunkel hinein" aus dem Jahre 2011 liegt jetzt in deutscher Übersetzung vor.
Während "Cold Mountain" im 19. Jahrhundert spielte und von einer aufgeschobenen Liebe zu Zeiten des amerikanischen Bürgerkriegs erzählt, führt "Ins Dunkel hinein" in das Jahr 1960 und erzählt von einer aufgeschobenen Liebe zu Zeiten sozialer Verwahrlosung und dysfunktionaler Familien. Luce ist eine Frau in mittleren Jahren, die sich in die Einöde der Wälder zurückgezogen hat - die Menschenwelt tut ihr nicht gut. Sie passt auf ein leer stehendes altes Haus am See auf, das sich unverhofft mit beschädigtem Leben füllt, als ihr ein Sozialarbeiter die beiden Kinder ihrer Schwester bringt und zur Fürsorge überlässt. Die Geschwister sprechen kein Wort, starren ungut vor sich hin und spielen gern mit Feuer: Sie haben mitangesehen, wie ihre Mutter ermordet wurde. Mit viel Langmut nimmt sich Tante Luce der beiden Zündler an, bis sich ihre verschlossenen Seelen ein wenig öffnen.
Unterdessen wird der Mörder - Bud, der Stiefvater der Kinder - vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen: ein äußerlich cooler, innerlich überhitzter Desparado mit Südstaaten-Charme, der noch eine Rechnung offen hat. Er glaubt fest daran, dass die beiden Kinder ein paar Details zu viel von dem Mord mitbekommen haben und außerdem wissen, wo ihre tote Mutter eine Menge Geld versteckt hat. Also macht sich Bud, sichtlich mit der Apokalypse im Bunde, auf den Weg zu dem Haus am See.
Wie in "Cold Mountain" bildet die Landschaft der Appalachen den stimmungsmächtigen Hintergrund für eine dramatische Geschichte, die ein dunkles Gegenbild zu den strahlenden Jahren des amerikanischen Imperiums um 1960 entwirft. Der Zweite Weltkrieg ist nicht in Erinnerung als Triumph einer Weltmacht, sondern als Trauma eines Drogensüchtigen, der nicht wegkommt von seinen Amphetaminen: Luces Vater Lit, ein körperlich unscheinbarer, aber wegen seiner Gewaltbereitschaft gefürchteter Polizist, Typ bad lieutenant. Bud freundet sich bald mit dem fatalen Vater an und besorgt ihm Drogen - eine bedrohliche Allianz. Dass der Vater den Schwiegersohn nicht erkennt, ist kein Lapsus des Autors, sondern der Bindungslosigkeit innerhalb der Familie geschuldet.
Damit es zum lange vorbereiteten Showdown in den winterlichen Bergen kommen kann, fehlt noch eine Figur: Stubblefield, ein alter Verehrer von Luce. Jetzt sieht er die zweite Chance für seine Liebe gekommen, kämpft für sie und die Kinder. Weder die Handlung noch die Figuren dieses Romans, wie "Cold Mountain" eine Mischung aus Thriller und Liebesromanze, sind sonderlich originell, aber die literarische Feinzeichnung und die sorgfältigen Beschreibungen Fraziers heben das Buch über das Mittelmaß. Ein Unterhaltungsroman mit literarischem Mehrwert.

Charles Frazier: Ins Dunkel hinein
Aus dem Englischen von Anette Grube
Zsolnay Verlag, Wien 2014
352 Seiten, 19,90 Euro