Liebesschwüre im Wandel der Zeit

Von Günter Kaindlstorfer |
Liebeserklärungen und Abschiedsworte, zögerliche Bitten um ein erstes Treffen und flehentliche um ein Wiedersehen: Im Projekt "5000 Liebesbriefe" werden Briefe von Liebenden aus über 100 Jahren und jedem Lebensalter hörbar. In fünf Wiener Kaffeehäusern wurden "Hörbars" eingerichtet, in denen man die Liebesbriefe anhören kann. Die wurden zuvor im Tonstudio eingelesen.
Mats Staub sieht erschöpft aus. Kein Wunder, hat sich der Schweizer zusammen mit seiner Kollegin Barbara Pulli doch in den letzten Monaten durch Tausende von Liebesbriefen geschmökert. Für die "Wiener Festwochen" haben die beiden Künstler Liebesbriefe aus ganz Österreich gesammelt - schwülstige, lustige, banale, pathetische Geständnisse intimster Natur, geschrieben zwischen 1894 und 2006. Mats Staub hält den Liebesbrief für ein fesselndes alltagsliterarisches Genre.

"Das Spannende ist, dass jemand etwas, das man nicht ausdrücken kann, versucht doch auszudrücken, nämlich die Liebe. Spannend an unserem Projekt finde ich, dass man die Briefe ganz normaler Menschen lesen bzw. hören kann. Es sind ja nicht berühmte Schriftsteller, deren Texte wir präsentieren, sondern Leute wie du und ich."

Liebesbrief (1968):
"Meine süße, liebe Gerli!
Es ist ein herrlicher Sommerabend. Ich sitze allein auf einem großen Felsblock und denke an Dich. Das ist, seit ich Dich das erste Mal sah, meine Lieblingsbeschäftigung. Ja, Schatz, es klingt vielleicht komisch, aber ich wusste, seit ich Dich das erste Mal sah, dass ich Dich liebe."


Also schrieb ein Mann namens Thomas - Name geändert - 1968 an seine Angebetete. An Thomas' Briefen an Gerli kann man sich im Rahmen des Festwochen-Projekts "5000 Liebesbriefe" voyeuristisch ebenso delektieren wie an sehnsuchtsvollen Beschwörungen abwesender Liebhaber oder heimlich auf dem Schulhof zugesteckten Zettelchen.

Liebesbrief (1980):
"Lieber Mario!
Bevor ich Deinen Brief in der Schachtel unter meinem Bett verschwinden ließ, las ich ihn noch sehr oft in Gedanken versunken durch. Ich werde die Freundschaft mit Dir sicher nicht so schnell vergessen können, denn es war sehr schön. Ich mag Dich auch noch. Viele Bussi. Deine Miriam."


Wer will, kann sich bis 15. Juni insgesamt vierzehn Stunden lang Liebesbriefe anhören. In fünf Wiener Kaffeehäusern wurden so genannte Hörbars eingerichtet. Gegen eine Gebühr von 5 Euro kann man sich einen Walkman ausleihen und etwa einer authentischen Liebeswerbung von anno 1894 lauschen.

Liebesbrief (1894):
"Geehrtes Fräulein!
Verzeihen Sie meine Kühnheit, da ich es wage an Sie, mein Fräulein, mein Anliegen vorzubringen. Ich kann beim besten Willen nicht mehr schweigen und muss Ihnen mein Geständnis offenbaren. Schon seit dem ersten Augenblick, wo ich Sie sah, ist in meinem Herzen ein Gefühl rege geworden, das mir keine Ruhe mehr lässt. Indem ein Keim von Liebe in meinem Herzen ist, kann ich nicht mehr ruhen, bis ich Sie mein Eigen nennen kann."


Derart gewundene Liebesgeständnisse wirken in Zeiten von E-Mail und SMS faszinierend nostalgisch. Handy und Heimcomputer haben Stil und Tonfall amouröser Beschwörungen entschieden verändert, weiß Mats Staub.

"Das Schreiben hat sich wahnsinnig verändert. Was gut ist: Es wird wieder mehr geschrieben als früher, wir hatten Berge von E-Mails zu bewältigen. Das Sichten und Filtern war eine echte Herausforderung."

Auffallend: E-Mail und SMS scheinen eine gewisse Annäherung an die Sprache der Comic-Kultur mit sich zu bringen.

Liebes-SMS:
"Ich möchte Dein bester Freund sein, auch wenn du mit einem anderen schläfst - schluck. Ich vergönne es Dir - seufz. Du wirst deine Gründe dafür haben - ächz, das war schwer zu schreiben."

Aber amüsant zu hören. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt: In Wiens Kaffeehäusern wird in den nächsten Wochen geseufzt, geschwört, gesäuselt und beschworen, was das Zeug hält.

5000 Liebesbriefe