Lied an die Sonne
"O sole mio" ist ein Liebeslied an die Sonne und die Augen der Geliebten. Enrico Caruso, Elvis Presley und Juri Gagarin zählen zu der langen Liste seiner Interpreten. Der Geschichte dieses weltberühmten Liedes geht Paquito Del Bosco nach, ein großer Kenner der neapolitanischen Kanzone. Der Band ist reich an Fakten, Hintergründen, Anekdoten und Abbildungen.
Gibt es eigentlich einen Künstler, der die Kanzone "O sole mio" nicht gesungen hat? Die Liste der Interpreten liest sich wie ein "Who’s who" der Unterhaltunsgmusik-Geschichte: Enrico Caruso, Mario del Monaco, Tito Gobbi, Milva, Ray Charles, Paul McCartney, Dean Martin, Juri Gagarin - einverstanden, Letzterer ist nur bedingt Unterhaltungsmusiker, dafür aber der Erste, der das Lied im Weltall sang. Elvis Presley hat die englische Version von "O sole mio" - "It’s now or never" - den größten Single-Erfolg seiner Karriere beschert.
Pasquito del Bosco hat den Anspruch, "die Geheimnisse dieser Kanzone zu erzählen, die Merkwürdigkeiten, die kaum jemand kennt, die Geschichte der Menschen, die an diesem Erfolg beteiligt waren". Das klingt nach einem hohen Anspruch, den dieses 144 Seiten starke Bändchen jedoch problemlos einlöst. Del Bosco ist künstlerischer Leiter des "Schallarchivs des Staatlichen Rundfunks (RAI) für die neapolitanische Kanzone" in Neapel - Sachen gibt es!
Als Archivar hat del Bosco nicht nur einen vorzüglichen Überblick über die Wirkungsgeschichte des Liedes - als Neapolitaner erfasst er auch den Stimmungsgehalt der Kanzone und die Lust an der schwermütigen Sehnsucht, die dieses Lied so wunderbar bedient. So bietet das Buch eine stimmungsvolle Balance aus Fakten, Hintergründen, musikgeschichtlichen Aspekten und Einblicken in das Seelenleben der Neapolitaner.
Bei denen darf es gerne mal etwas melancholischer sein. Del Bosco erzählt ausführlich von dem Schicksal der beiden Schöpfer von "O sole mio": der Komponist Eduardo di Capua, der die Melodie im April 1898 bei einem Urlaub in Odessa schreibt, heimwehkrank und verlangend nach der Sonne von Neapel. Di Capua avanciert nach Anfängen als Musiker in Kneipen und Theatern zu einem der gefragtesten neapolitanischen Komponisten - doch dann geht es rapide bergab, er dirigiert kleine, ärmliche Orchester, die im Fiorentini-Theater mit Pausenmusik unterhalten, zuletzt begleitet er Stummfilme am Klavier – spielsüchtig, verarmt und schwerkrank.
Kaum besser ergeht es dem Textdichter, Giovanni Capurro. Nach anfänglichen Wanderjahren als Flötist und Kaufmannslehrling findet er zum Journalismus, wird Reporter bei der Zeitung "Roma" - der nebenher kleine Szenen und Verse schreibt, die einen derartigen Erfolg haben, dass ihn der renommierte Ricordi-Vertrag exklusiv unter Vertrag nimmt.
"O sole mio" ist pikanterweise in einem Konkurrenzverlag veröffentlicht worden, Capurro wurde sozusagen vertragsbrüchig, das deckt Del Sole akribisch auf. Capurros Prosa wird rasch altmodisch, nach dem Siegeszug von "O sole mio" landet er nie wieder einen Erfolg. Auch er stirbt verarmt, nachdem er von seiner Zeitung zum einfachen Verlagsangestellten degradiert wurde. Reich wurde allein der Verlag.
All das beschreibt del Bosco detailreich und stimmungsvoll. Zu philosophischer Höhe schwingt er sich gar auf, wenn er sich der Frage widmet, worin denn eigentlich das Wesen dieser Kanzone besteht? Er verweist auf Jorge Luis Borges und dessen These vom "Aleph", "dem Ort, an dem, ohne sich zu vermischen, alle Orte der Welt sind, aus allen Winkeln gesehen".
Das klingt nun etwas hochtrabend angesichts des munteren Trällerliedchens. Und die im Register hochtrabend angekündigte "Nachbemerkung" von Hans Werner Henze entpuppt sich als - zugegeben charaktervolles - Textchen des Komponisten aus dem Jahr 1958, ein atmosphärisch dichter Bericht über Neapel und die Lust am Singen - mit "O sole mio" hat das allerdings nichts zu tun
Rezensiert von Holger Hettinger
Pasquito del Bosco: O sole mio. Die Geschichte des berühmtesten Liedes der Welt
Aus dem Italienischen von Dieter Richter,
Verlag Klaus Wagenbach,
144 Seiten, 15,90 Euro
Pasquito del Bosco hat den Anspruch, "die Geheimnisse dieser Kanzone zu erzählen, die Merkwürdigkeiten, die kaum jemand kennt, die Geschichte der Menschen, die an diesem Erfolg beteiligt waren". Das klingt nach einem hohen Anspruch, den dieses 144 Seiten starke Bändchen jedoch problemlos einlöst. Del Bosco ist künstlerischer Leiter des "Schallarchivs des Staatlichen Rundfunks (RAI) für die neapolitanische Kanzone" in Neapel - Sachen gibt es!
Als Archivar hat del Bosco nicht nur einen vorzüglichen Überblick über die Wirkungsgeschichte des Liedes - als Neapolitaner erfasst er auch den Stimmungsgehalt der Kanzone und die Lust an der schwermütigen Sehnsucht, die dieses Lied so wunderbar bedient. So bietet das Buch eine stimmungsvolle Balance aus Fakten, Hintergründen, musikgeschichtlichen Aspekten und Einblicken in das Seelenleben der Neapolitaner.
Bei denen darf es gerne mal etwas melancholischer sein. Del Bosco erzählt ausführlich von dem Schicksal der beiden Schöpfer von "O sole mio": der Komponist Eduardo di Capua, der die Melodie im April 1898 bei einem Urlaub in Odessa schreibt, heimwehkrank und verlangend nach der Sonne von Neapel. Di Capua avanciert nach Anfängen als Musiker in Kneipen und Theatern zu einem der gefragtesten neapolitanischen Komponisten - doch dann geht es rapide bergab, er dirigiert kleine, ärmliche Orchester, die im Fiorentini-Theater mit Pausenmusik unterhalten, zuletzt begleitet er Stummfilme am Klavier – spielsüchtig, verarmt und schwerkrank.
Kaum besser ergeht es dem Textdichter, Giovanni Capurro. Nach anfänglichen Wanderjahren als Flötist und Kaufmannslehrling findet er zum Journalismus, wird Reporter bei der Zeitung "Roma" - der nebenher kleine Szenen und Verse schreibt, die einen derartigen Erfolg haben, dass ihn der renommierte Ricordi-Vertrag exklusiv unter Vertrag nimmt.
"O sole mio" ist pikanterweise in einem Konkurrenzverlag veröffentlicht worden, Capurro wurde sozusagen vertragsbrüchig, das deckt Del Sole akribisch auf. Capurros Prosa wird rasch altmodisch, nach dem Siegeszug von "O sole mio" landet er nie wieder einen Erfolg. Auch er stirbt verarmt, nachdem er von seiner Zeitung zum einfachen Verlagsangestellten degradiert wurde. Reich wurde allein der Verlag.
All das beschreibt del Bosco detailreich und stimmungsvoll. Zu philosophischer Höhe schwingt er sich gar auf, wenn er sich der Frage widmet, worin denn eigentlich das Wesen dieser Kanzone besteht? Er verweist auf Jorge Luis Borges und dessen These vom "Aleph", "dem Ort, an dem, ohne sich zu vermischen, alle Orte der Welt sind, aus allen Winkeln gesehen".
Das klingt nun etwas hochtrabend angesichts des munteren Trällerliedchens. Und die im Register hochtrabend angekündigte "Nachbemerkung" von Hans Werner Henze entpuppt sich als - zugegeben charaktervolles - Textchen des Komponisten aus dem Jahr 1958, ein atmosphärisch dichter Bericht über Neapel und die Lust am Singen - mit "O sole mio" hat das allerdings nichts zu tun
Rezensiert von Holger Hettinger
Pasquito del Bosco: O sole mio. Die Geschichte des berühmtesten Liedes der Welt
Aus dem Italienischen von Dieter Richter,
Verlag Klaus Wagenbach,
144 Seiten, 15,90 Euro