Lieder aus einer anderen Welt

Der Musiker Josef Brustmann und die Schauspielerin Marianne Sägebrecht haben eine CD mit Liedern und Gedichten über das Sterben zusammengestellt. Sie stammen von gänzlich unbekannten Provinzdichtern, aber auch von sehr berühmten wie Rilke, Trakl oder Gernhardt.
Jetzt wo’s da ist, wird klar: Eigentlich hat man schon lange auf dieses Hörbuch gewartet.

Obwohl, zunächst hätte man es sich anders vorgestellt. Dem Anlass entsprechend: großartig, weihevoll, so was ähnliches wie grundstürzend. Aber es ist eher: klug, kläglich und simpel - als ging‘s um Kinderkram.

Und die Vöglein, die ziehen und fliegen wieder her. Nur der Mensch, bald er fortgeht, nachher kommt er nicht mehr.

Außerdem: Streng genommen ist diese CD voller Fehler. Der Josef Brustmann kommt kaum an die höheren Töne und taumelt stimmlich auch manchmal bei den tieferen. Und: Die Marianne Sägebrecht schnauft und krächzt sich durch die Zeilen eines gewissen G.K. Pfeffer.

Lern sterben!
Sprach im Hospital ein Mönch zu einem kranken Greise
Was lernen? – rief der graue Weise
Man kann es gleich beim ersten Mal.


All diese Fehler – unter anderen Umständen wären die an dieser Stelle näher zu beleuchten, zu tadeln, die Platte wäre zu verreissen. Unter anderen Umständen. Diese CD ist aber ein Hinweis auf einen Irrtum: Fehler sind genau das, was wir brauchen. Zum Teufel mit dem Tadel. Hier geht’s nicht um Perfektion. Hier geht es um Tod. Und wo der Tod Thema und Maßstab ist, gibt’s neue Relationen. Unzulänglichkeiten verlieren an Bedeutung. Oder besser: Sie lassen uns eigentlich so recht erst verstehen, was vorgeht.

Wir hier auf Erden stecken derzeit nämlich in einer Fehlervermeidungsmaschine fest. Und: Krankheit, Schwäche, Tod – das sind überhaupt die größten Fehler, die wir machen können. Deshalb unsere panische Angst davor. Deshalb: Knäckebrot, Leistungs-Pillen und die vielen öden Stunden auf dem Laufband.

Diese Sterbelieder aber, zusammengestellt, vertont, gesungen oder gesprochen vom 56-jährigen Josef Brustmann und der 65-jährigen Marianne Sägebrecht, kommen aus einer anderen Welt. Einer Welt, in der der Tod immer ein Wörtchen mitzureden hat. Weil er, wie schon Hegel wusste, dem Menschen erst die Augen für die Flüchtigkeit des Daseins öffnet. Was das Leben in einem ganz anderen Licht zeigt. Der Tod gehört dazu. Ihn zu akzeptieren, das ist eine Kunst. Ein Trostgedicht:

Lass sterben, was sterben will
Und schleppe dich mit ihm nicht müde.
Du zwingst es doch nicht mehr zum Leben
Und zu der Freude eines Sommers

Es hat die Kraft nicht mehr,
Dein Mitleid, Deine Liebe Dir zu danken
Und zerrt Dich selber nur in seinen Herbst
Lass sterben drum, was sterben will –
Und ohne Klage


Dieses Ratgeber-Gedicht des Schwaben Cäsar Flaischlen hat etwas verblüffend Patentes. Etwas kühl Lebenspraktisches. Es gilt, eine kluge Abwägung zu treffen zwischen Abwehrkampf und Dreinfügen. Das Gedicht ist an die hundert Jahre alt. Damals waren der Himmel und das ewige Leben noch eine Option. Das ist jetzt für die meisten nicht mehr der Fall. Das hat das Leben sehr viel kostbarer gemacht und das Sterben, wie Elias Canetti einmal sagte, zu einem Skandal.

Wenn ich tot bin, singt mir ein schönes Lied.
Bin nicht gern gegangen, ging nur weils geschieht
Bin nicht gern gegangen, ging nur weils geschieht


Josef Brustmann macht uns mit Poberniks Lied des Dichters Peter Maiwald fast glauben, es könnte einfach sein.

Wie überhaupt jedes Lied, jedes Wort eine Milderung bedeutet, wenn‘s um Gevatter Tod geht. Josef Brustmann, der Münchner Multiinstrumentalist, hat deutsche Gedichte aus den letzten hundert Jahren vertont oder von Marianne Sägebrecht lesen lassen. Seine Auswahl ist unorthodox und subjektiv. Auf der CD "Sterbelieder fürs Leben" finden sich, um ein paar der bekannteren Namen aufzuzählen, Texte von Rilke, über Heine, Trakl, Eichendorff bis zu Maiwald und Gernhardt.

Am Schluss ist Untergang. Glücklich, wer den in Würde hinter sich bringen darf. Die Sterbelieder fürs Leben, gelesen und gesungen von Josef Brustmann und Marianne Sägebrecht, geben einen Eindruck davon, wie das klingen könnte.

Besprochen von Brigitte Neumann

Josef Brustmann, Marianne Sägebrecht: Sterbelieder fürs Leben
50 Minuten gelesene und zur Zither gesungene Gedichte von Eichendorff, Rilke, Trakl u.a.
Kunstmann Verlag
14,90 Euro