Lieder, die aus Stille entstehen

Von Camilla Hildebrandt |
Der Fado ist in Portugal eine Musik, die so selbstverständlich ist wie der Kaffee am Morgen. Deutschlands einziger männlicher Fado-Sänger Telmo Pires macht ihn langsam auch hierzulande bekannt. Gerade hat er seine fünfte CD produziert.
Fado - natürlich ist das Schmerz, Trauer, Sehnsucht. Aber Fado ist auch alles Andere, sagt Telmo Pires, der seit ein letztem Jahr zwischen Lissabon und Berlin hin- und herpendelt. Fado ist auch Glück, Freude und bringt einen sehr oft zum weinen.

Wenn man den drahtigen 39-jährigen Fado singen erlebt, wenn er sich durch seine tiefschwarzen Haare fährt und sich ganz der Musik überlässt, dann meint man, ihn als Kind in einer Hafenbar in Lissabon zu sehen, wie er fasziniert die Erwachsen beobachtet und den Gesang der Fadistas in sich aufsaugt. Aber genauso ist es nicht gewesen.

1974 zogen seine Eltern von Nordportugal nach Deutschland, mit dem Ziel, viel Geld zu verdienen, bald wieder zurückzukehren und in der Heimat vielleicht ein Haus zu bauen:

"Ich bin die ersten drei Jahre in einem winzigen Dorf aufgewachsen, und dann plötzlich innerhalb eines Tages der Schlag: Ruhrgebiet. Große Fabriken, grau, stinkend, 70er Jahre, das war nicht schön. Und ich hab mich immer, seit ich klein war, danach gesehnt zurückzugehen. Dann hab ich mich an die Sprache gewöhnt, an die Kultur, aber es war immer eine große Sehnsucht in mir."

Abends, erzählt Pires, hätten er und seine Eltern immer im Radio den portugiesischen Sender gehört, Nachrichten und dann Musik. Und dort habe er zum ersten Mal diese Stimme gehört:

"Man fragt mich oft, warum ich auf Fado gekommen bin, weil ich bin ja zum größten Teil in Deutschland aufgewachsen, ich sag immer: nicht aus großer Liebe und Leidenschaft für den Fado an sich, sondern aufgrund von zwei Stimmen: Amalia Rodrigues und Dulce Pontes. Ich hab als Kind überhaupt nicht verstanden, um was es ging in den Texten, sondern kannte nur die Stimmen, die aus dem untersten der Seele an die Oberfläche schreit. Und diese Stimme hab ich dann mit 19, 20 wiederentdeckt, und war einfach hin und weg!"

Telmo Pires gründet als Jugendlicher seine erste Rockband, schreit sich in ehemaligen Kriegsbunkern die Seele aus dem Leib - und wird immer heiser dabei. Er nimmt Gesangsunterricht, entdeckt das französische Chanson, und seine Lehrerin rät ihm: "Wenn du auf die Bühne willst, nimm Sprechunterricht, um deinen Ruhrpott-Slang loszuwerden." So gelangt er zum Direktor des "Kleinen Theater am Essener Gänsemarkt", wo er 1995 zum ersten Mal als Schauspieler auftreten wird. Kurze Zeit später steht er dort auch als Musiker auf der Bühne:

"Ich hab ihm vorgesprochen, er fand das ganz gruselig, sagte aber trotzdem: Irgendwo wäre ein Funken Talent, und er würde mir das beibringen, ob ich denn einverstanden wäre. Ich sagte, natürlich ich wollte ganz viel lernen, mit Zwanzig war das. Im Gegenzug würde er mir Schauspiel- und Sprechunterricht geben, wenn ich in seinem Theater mal spielen würde für umsonst. Ich hab natürlich sofort eingewilligt."
Telmo Pires bringt sich autodidaktisch die Kunst des Fado-Singens bei, nimmt später Meisterklassen, gibt seine ersten großen Konzerte auf internationalen Bühnen.

Aus seiner Sehnsucht, wieder nach Portugal zu gehen und dort womöglich Fado zu singen, ist heute Realität geworden. Vor zwei Jahren traf er sich mit einem Produzenten in einer Lissaboner Kneipe und begann spontan zu singen:

"In dieser Nacht kam der Musiker, Produzent rein, hat mich gehört, und wir haben uns ein paar Mal getroffen. Und dieser Musiker, David Zaccaria, ist der langjährige Musikalische Leiter von einer Künstlerin, die ich sehr verehre: Dulce Pontes. Das war eine unglaublich große Ehre, dass er an mir interessiert war. Und die CD, die wir aufgenommen haben, die Band ist die Crème de la Crème des portugiesischen Fado."

Der Fado in seinem neuen Gewand, befreit von der Last des Militärregimes - das ihn für seine Zwecke benutzte - und interpretiert von jungen Frauen und Männern, ist heute wieder sehr populär. Ehemals war er die Musik der Prostituierten und Seeleute. Später funktionierte er wie ein Stadtmagazin, das die Neuigkeiten in Umlauf brachte. Dieser Aspekt wäre heute wieder notwendig, sagt Pires. Denn seitdem er regelmäßig in Lissabon ist, weiß er wie es den Menschen dort wirklich geht:

"Das Gesundheitssystem geht den Bach hinunten, das Bildungssystem, das Kulturministerium wurde abgeschafft, also Kultur ist jetzt mit Sport zusammengefasst worden. Niemand hat Geld, um Neues auszuprobieren. Es geht den Leuten sehr schlecht, und ich glaube schon, dass da viele Themen einen Fado, ein Gedicht oder einen Text wert wären."

Pires schreibt keine politischen Fados. Noch nicht. Aber vielleicht wird er bald die politischen Zeilen eines portugiesischen Lyrikers vertonen. Seine Lieder erzählen von der Liebe, den Umwegen des Lebens, den seltsamen Gewohnheiten. Fado, erklärt Telmo Pires, ist keine Musik, die man planen kann. Der Fado entsteht in der Stille:

"Wenn man wirklich Stille in sich hat, hört man die Seele. Und das ist es, was wir suchen, diese Stille wirken zu lassen, die Seele singen zu lassen."
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