Lieder von der Liebe, dem Tod, Verlust

Von Hartwig Tegeler |
Türkische Volkslieder, gesungen von Sängerinnen und Sängern, unterstützt von einem kleinen Ensemble von Instrumentalisten, das ist der "Türkische Volksmusikchor Hamburg", der jeden Freitag im Stadtteil Hoheluft probt.
Haldun Alay: "Ich bin bei der Oma groß geworden. Und die Oma hat immer türkische Volksmusik gehört. Und das hatte ich schon in meinem Ohr. Das hatte ich in meinem Blut."

Die Lieder - melancholisch …

"Ja, es ist melancholisch."

… und dazu das Instrument, das immer zu diesen Liedern gehörte: die Saz, die alte türkische Laute, traditionell das Begleitinstrument der Sänger. Der 33-jährige Betriebswirt Haldun Alay kam vor 19 Jahren aus der Türkei nach Hamburg. Er leitet nicht nur den Chor, sondern spielt auch die Saz zu den Liedern, die von Trauer, Schmerz, aber vor allem handeln von:

"Von der Liebe. Wie immer! Es geht um eine Frau, und das werden wir heute proben."

Die vier Saz-Spieler und die Percussionistin üben schon eine gute Stunde, als die Sängerinnen und Sänger - nur 20 werden es heute werden - schleppend eintreffen. Das Projekt, türkischen Migranten die Möglichkeit zu bieten, heimatliche Volksmusik zu singen, verfolgt Latif Durlanik, Turkologe an der Universität Hamburg, schon seit 1993 mit unterschiedlichen Chören:

"Es geht nicht nur um Musik, sondern einmal in der Woche zusammen sein."

1998 schloss sich Haldun Alay Latif Durlaniks Projekt an. Der "Türkische Volksmusikchor Hamburg", der im Hamburger Stadtteil Hoheluft probt, hat sich gerade neu gebildet, bringt es aber, wenn alle da sind, auf rund 40 Sängerinnen und Sänger - breit gestaffelt, was Beruf und Alter betrifft. Die Stimmen sind nicht in Sopran, Alt, Tenor und Bass, sondern nur nach Männer- und Frauenstimmen aufgeteilt. Chorleiter Haldun Alay:

"Das ist ja kein professioneller Chor. Deswegen werden wir jetzt nur eine Tonlage benutzen. Die Männer wie die Frauen."

Texte und Noten, für die, die Noten können, werden mit einem Beamer an die Wand projiziert. Die Ausrede, dass das Notenblatt zu Hause vergessen wurde, zählt im Computerzeitalter nicht mehr. Der Chor macht sich bereit.

Haldun Alay: "Das können wir lesen? Das wird alles vergrößert. Wir spielen einmal Saz, also den Refrain-Teil. Und dann werden wir versuchen, das einzusingen, und wiederholen es ein paar Mal. Bis wir das draufhaben. Okay?"

Wie ein Hauch von Orient wehen die Klänge der Saz, die den Ton der Lieder dominiert, durch das Treppenhaus des sterilen Bürogebäudes, wenn der "Türkische Volksmusikchor Hamburg" singt. Betonung auf "Volksmusik". Denn die meisten Migranten haben eher eine Verbindung zu Volksliedern, weniger zur klassischen türkischen Musik. Emine Sönmez, Mitte 30, Krankenschwester:

"Seit meiner Kindheit singe ich die türkischen Volkslieder. Und die berühren mein Herz. Also, ich höre auch andere Musik. Aber Volksmusik hat eine ganz besondere Bedeutung für mich."

Und der Saz-Spieler Oguz Gülmez, 27, Maschinenbaustudent, erklärt, was Singen und Spielen im Chor bei ihm auslöst:

"Vom Alltagsstress raus. Entspannung. Und so in (eine) Art Trance versetzt werden, um in einer anderen Welt zu leben."

Birsen Celik, 47, Medizinisch-Technische Assistentin, nickt:

"Ich identifiziere mich einfach. Weil ich einfach gerne Musik höre und diese Lieder, wenn es sich um Liebe handelt, wenn es sich um Trauer handelt, das fühle ich einfach. Deshalb bin ich hier."

Latif Durlanik, der Initiator des Projekts, nimmt sich den auf die Wand projizierten Text eines Liedes vor und erklärt mit leichtem Schmunzeln:

"Ja, eindeutig ein Liebeslied."

Sehnen. Sehnsucht. Irgendwo auf dem Lande. Und da ist Nazileh.

"Und die ist sozusagen die Hauptfigur in dem Lied."

Und der Junge geht durch die Straßen.

"In der Hoffnung, dass er sie mal sieht."

Denn das sind die Liebesgeschichten, die natürlich, so muss es sein, nicht glücklich enden.

"Weil irgendwie das Mädchen einem Anderen 'gegeben' wird."

Kurzum ...

"Diejenigen, die ihre Geliebten kriegen, machen keine Lieder."
Quod erat demonstrandum.

Haldun Alay: "Also, in der Türkei wird das tagtäglich praktiziert."

Erzählt Haldun Alay. Es gebe riesige Konzerte mit diesen Liedern. Bis dahin, bis zum Konzert, ist es für den "Türkischen Volksmusikchor Hamburg" allerdings noch einige Zeit hin, zumal Haldun Alay heute mit der Leistung seiner Sängerinnen und Sänger nicht wirklich zufrieden ist:

"Wir müssen alle zusammen das Gleiche machen. Deswegen sind wir ein Chor! Sonst wären wir bei den 'Popstars'. Einzeln. Nochmal."

So sind sie eben im Choralltag: die Mühen der Ebene. Es gilt immer wieder einen Weg zurückzulegen, der von spitzen Dornen gesäumt sein kann, um in der Metaphorik der Lieder zu bleiben, die an diesem Abend gesungen werden. Die Frage übrigens, wie man es schafft, sich nach einem anstrengenden Arbeitstag durch nasses Hamburger Schmuddelwetter zum Chorsingen zu quälen … falsche Frage! Meinen Emine Sönmez und Birsen Celik:

"'Es zwingt mich ja keiner, das ist ja mein Hobby. Das ist ja meine Liebe. Das ist für mich Freude, Liebe, hierher zu kommen.' - 'Dieser ganze Stress die ganze Woche über. Das geht uns hier verloren. In dem Moment, wenn sie hier drin sind.'"

Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.