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"Des Abends dunkle Schleier"
Sergej Rachmaninow: Der Name des russischen Komponisten steht für höchste Klavier-Virtuosität, für schwelgerische Spätromantik. Aber er war auch ein Meister des intimen Kunstliedes, das diesen Klischees nicht unbedingt entspricht.
Schwärmerisch, schwelgerisch, schmachtend und stets ein bisschen verzweifelt: Man würde dem russischen Komponisten Sergej Rachmaninow Unrecht tun, reduzierte man ihn auf dieses häufig bemühte Bild.
Rachmaninow war mehr, konnte mehr – jene rund 80 Lieder, die er zwischen 1893 und 1916 komponierte, sind eindeutiger Beleg. Die Palette der darin verhandelten Themen und Temperamente ist Gegenstand dieser Sendung, deren Repertoire sich von den Jugendliedern ohne Opuszahl über die schwermütigen Lieder op. 14 und 21 bis hin zu den reifen, philosophisch angewehten Stücken aus op. 38 erstreckt.
Im Schutz der Nacht
Aber was heißt hier Lied? Seit jeher und mit gutem Grund werden Kunstlieder im Russischen als "Romanzen" bezeichnet – was sie auch meist sind: unverblümte, emotional aufgeschäumte, vor allem direkt zu Herz gehende Äußerungen einer verwundeten und entblößten Seele; kaum zufällig singen etliche jener lebensuntauglichen Menschen, die uns Anton Tschechow in seinen meisterhaften Novellen nahebringt, diese Romanzen – insbesondere im Schutz der Nacht, ganz allein.
Rachmaninow war einer dieser Menschen: leicht entflammbar, von Sehnsucht getrieben, von Wehmut durchströmt, kurz: ein echter Romantiker. Aber auch ein außerordentlich belesener Mensch, der wusste, wessen Verse er da in Musik setzte, und warum.
Unter den von Rachmaninow vertonten Texten finden sich Gedichte vieler bedeutender russischer Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. Sie zeigen seinen Hang zur Melancholie und bezeugen zugleich die melodische Eleganz, über die er gebot, und die vom Wesen wie vom Klang der Dichtung inspiriert wurde.
Darüber hinaus gab es noch zwei weitere Einflüsse, die auf prägenden Erinnerungen an seine Kindheit fußen und ihn sein Leben lang begleiteten: einmal die mächtigen a-cappella-Chöre in den orthodoxen Kirchen von Sankt Petersburg und dann die Altstimme seiner Schwester Elena.
Im Reich der Stimmen
Russland hat viele große Sänger hervorgebracht, und alle haben sie Rachmaninows Lieder interpretiert – von dem Bassisten Fjodor Schaljapin angefangen, der am Beginn von Rachmaninows Beschäftigung mit dieser Gattung steht, bis zu dem 2017 viel zu früh verstorbenen Bariton Dmitri Hvorostovsky. Aber selbstverständlich werden hier nicht nur dunkle russische Männerstimmen zu Wort kommen, sondern auch internationale Kräfte – und Sängerinnen, die ja vielleicht so ähnlich singen, wie es Rachmaninows Schwester einst getan hat.