Liedermacherin Bettina Wegner

„Das Schreiben hat mir viele Stunden beim Psychiater erspart“

36:37 Minuten
Die Liedermacherin Bettina Wegner lehnt an einem Türrahmen und blickt gedankenverloren nach rechts.
Lieder über die verlorene Heimat: Bettina Wegner im Kulturforum Görlitzer Synagoge. © picture alliance / dpa / Geisler-Fotopress / Matthias Wehnert
Moderation: Katrin Heise |
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„Sind so kleine Hände“: Diese kurze Liedzeile hat die Popularität von Bettina Wegner mitbegründet, den Rest ihres Werks manchmal aber auch überdeckt. Das Leben und das reiche Repertoire der Liedermacherin werden nun in einem Film gewürdigt.
„Ich musste mich mit dem Lied vertragen“, sagt Bettina Wegner über ihren bekanntesten Song „Kinder“. Lange wollte sie ihn nicht mehr singen. Es sei ärgerlich, wenn man viele verschiedene Lieder geschrieben habe, aber immer nur auf diesen einen Titel angesprochen werde, sagt die Sängerin.
Erst als ihre Söhne mit einer Platte nach Hause kamen, auf der eine Punk-Band ihren Text auf Bierflaschen umgedichtet hatte, versöhnte sich die heute 74-Jährige mit dem Song. Später zog sie vor Gericht, weil eine Berliner Rechtsrock-Band die Liedzeilen für ihre Zwecke umgeschrieben hatte – und gewann.

Den Nerv getroffen

„Sind so kleine Hände / winzige Finger dran / darf man nicht drauf schlagen / die zerbrechen dann“: Diese Zeilen waren in Ost wie West bekannt. Wegner hatte offenbar einen Nerv getroffen.
Doch Auftritte in der DDR waren der gebürtigen Westberlinerin, die wegen der Arbeit des Vaters als Kind mit der Familie in den Ostteil der Stadt umgesiedelt war, bald kaum mehr möglich. Die DDR-Führung gab der kritischen Liedermacherin „einen Pass für drei Jahre“, mit dem sie zwischen Ost und West hin- und herreisen konnte, verbunden mit dem „unausgesprochenen Wunsch“, sie möge in dieser Zeit im Westen bleiben. Doch das habe sie nicht interessiert, erzählt die Liedermacherin. „Ich habe den Pass dankbar als Arbeitspass angenommen und nie für etwas anderes verwendet.“
Ein Schwarz-Weiß-Porträtfoto von Bettina Wegner, aufgenommen Anfang 1979.
Ein Leben zwischen Ost und West: Wegner 1979.© picture alliance / dpa / CBS
Nach Konzerten im Westen fuhr sie „mit einem riesigen Seesack“ voll Kleidung und Essen für ihre Kinder zurück nach Ostberlin. Urlaub im Westen, den ihr der Pass ermöglicht hätte, hat sie nie gemacht.

Der lange Arm der Staatsmacht

Als junge Frau, gerade Mutter geworden, hatte Bettina Wegner den langen Arm des Staats schon einmal zu spüren bekommen. Nach einer Ausbildung zur Bibliotheksfacharbeiterin begann sie ein Studium an der Schauspielschule Berlin - bis sie 1968 verhaftet wurde, weil sie Flugblätter mit Parolen gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei verteilt hatte.
Thomas Brasch, der Vater ihres damals erst wenige Monate alten Sohnes, hatte selbst Flugblätter verteilt, Wegner aber davor gewarnt – dem Kind zuliebe. Doch sie habe es dann „auch wegen des Kindes gemacht“, sagt Wegner. Sie wollte ihrem Sohn später einmal sagen können: „Nee, ich habe nicht den Mund gehalten!“

Erzwungener Umzug in den Westen

Den Mund hielt Bettina Wegner auch danach nicht, als sie eine Strafe auf Bewährung hinter sich gebracht hatte. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Sängerin und wurde schließlich mit ihren Friedens-, Protest- und Liebesliedern in der DDR und der Bundesrepublik bekannt. Das alles zeigt auch Lutz Pehnerts Film „Bettina“, der auf der diesjährigen Berlinale zu sehen ist.

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1983 musste die Musikerin die DDR schließlich verlassen, um dem Gefängnis zu entgehen. „Es war ein Loch“, sagt sie über die erste Zeit im Westen. Auch wenn sie den Westen schon lange als Musikerin bereist und kennengelernt hatte, blieb der für sie „ein anderes Land“.

Der Filmkritiker Oliver Schwesig war von Lutz Pehnerts Film "Bettina" sehr beeindruckt. Am 19. Mai 2022 soll er in die deutschen Kinos kommen.

Den Mauerfall erlebte Bettina Wegner mit einer Mischung aus Erleichterung und dem Gefühl, es sei „ein Stück von einem selber" weggenommen worden. Sie lag zu der Zeit im Krankenhaus und war darüber froh, denn so „musste ich das Getümmel nicht ertragen, vielleicht wäre ich da verrückt geworden“.

Auf die Bühne statt auf die Couch

In den 1990ern schrieb Bettina Wegner dann Songs über die verlorene Heimat und „die unterschiedlichen Deutschländer“. Heute tritt sie weiterhin auf, neue Lieder schreibt sie aber nicht mehr, „weil ich alles gesagt habe“. Über alles, was sie auch heute noch umtreibe, habe sie schon Texte verfasst, „und es kann nur schlechter werden“.
Alltägliche Probleme seien immer die Grundlage ihrer Texte gewesen, sagt Wegner. Das Dichten war für sie auch therapeutisch: „Ich glaube, das Schreiben hat mir viele Stunden beim Psychiater erspart.“
(era)
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