Lieferdienste in der Kritik

Der Dienstbote bringt Popcorn

07:49 Minuten
Zwei Lieferanten von "Wolt" steigen auf E-Roller.
Das US-amerikanische Unternehmen Doordash hat angekündigt, den finnischen Essenslieferdienst Wolt für sieben Milliarden Euro übernehmen zu wollen. © imago / Lehtikuva
Ulrike Guérot im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
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Lieferdienste wie Gorillas stehen in dem Ruf, ihre Mitarbeitenden miserabel zu behandeln. Der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot sind diese Unternehmen zuwider: Sie böten den perfekten Service für eine "Bequemlichkeitsgesellschaft".
Sie sind immer in Eile und transportieren Essen oder Supermarkteinkäufe in sperrigen, grellfarbenen Rucksäcken. Wer sich in Großstädten bewegt, kommt an den radelnden Mitarbeitern von Lieferdiensten wie Wolt , Lieferando, Gorillas oder Flink nicht vorbei. Sie scheinen allgegenwärtig, vor allem seit der Coronakrise mit ihren Lockdowns.
Einige der Unternehmen tauchen regelmäßig unrühmlich in Medienberichten auf: Meist geht es um die schlechten Arbeitsbedingungen der Lieferantinnen und Lieferanten. So versuchte etwa Gorillas, die Gründung eines Betriebsrates zu verhindern.

Dienstbotengleich an der Wohnungstür

Der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot sind die Unternehmen allesamt zuwider: Jemand bringe dienstbotengleich das Essen vor die Tür – das habe etwas von „Refeudalisierung“.
Jetzt schickt sich mit dem US-Unternehmen Doordash noch ein weiterer Anbieter an, den deutschen Markt zu erobern. Zum Start ist der Dienst nur in Stuttgart unter eigenem Namen aktiv, bald vielleicht auch anderenorts – und nicht nur mit der Lieferung von Essen, sondern auch mit der Lieferung weiterer Zutaten für einen romantischen Abend wie Blumen oder Sekt. Außerdem steht Doordash vor der Übernahme des Konkurrenten Wolt und hat in Flink investiert.
Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot.
Ulrike Guérot ist Professorin für Europapolitik an der Uni Bonn.© imago/IPON
Doch sind die Lieferdienste nicht bloß einfach eine normale Weiterentwicklung der Marktwirtschaft? „Ich antworte dann immer mit Erich Kästner: ‚Die Katastrophe ist, dass es weitergeht‘“, formuliert Guérot ihrer Ablehnung gegenüber dem Liefertrend.

Zu bequem zum vor die Tür gehen

Besonders unangenehm findet sie die Plakate von Flink, denen sie allerorten in der Stadt begegne. Diese werben damit, dass Flink den gehfaulen Städterinnen und Städtern auch einfach nur ihr Popcorn vorbeibringe.
„Das heißt, wir gehen in eine Gesellschaft, die nicht einmal mehr fünf Minuten Bedürfnisunterdrückung hat, und Leute, die nicht einmal mehr aufstehen, Schuhe anziehen und sich um das Ihre kümmern." Und die nicht darüber reflektierten, "wer denn eigentlich der Lieferant ist, der dir das Ding vorbeibringt." Mehr an "Bequemlichkeitsgesellschaft" sei kaum möglich.
Sie selbst habe Lieferservices noch nie in Anspruch genommen und findet außerdem: „Ein Typ, der mir die Spaghetti selbst kocht, ist mir allemal lieber, als einer, der mir einen Korb mit Rotwein und Champagner hinstellt.“
Auch wenn Guérot ins Restaurant geht, fällt ihr auf: Priorität hätten fast immer die Bestellungen für den Lieferservice – die Gäste vor Ort würden ihr Essen erst ganz zuletzt bekommen. So erlebe sie das regelmäßig.

Liefern lassen ächten

Hinzu kommen die schlechten Arbeitsbedingungen. Diese seien eine Zumutung. Immer wieder sei in den zurückliegenden Jahren beispielsweise über Markenunternehmen wie Nike und deren Ausnutzung von schlecht bezahlten Arbeitskräften in Asien die Rede gewesen und wie man sie dafür ächten könne. „Aber hier bekommen wir es als Gesellschaft nicht hin zu sagen: Wie, du bestellst bei Amazon? Wie, du lässt es dir ‚flinken‘?“

Ulrike Guérot ist Politikwissenschaftlerin und war bis Sommer 2021 Professorin für Europapolitik und Demokratieforschung an der Donau-Universität Krems. Seit Herbst 2021 hat sie die Professur für Europapolitik an der Universität Bonn inne und ist Co-Leiterin des Centre Ernst Robert Curtius (CERC) an dieser Universität. Sie hat zudem den Thinktank „European Democracy Lab“ in Berlin gegründet und leitet ihn.

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