"Ukraine in die Lage versetzen, sich selbst zu verteidigen"
Ist die NATO in der Lage und willens, der Ausweitung der russischen Machtsphäre entgegenzuwirken? Sollten die NATO-Staaten Waffen an die Ukraine liefern? Lieutenant General Ben Hodges stellt sich den Fragen von Burkhard Birke.
Die Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine läuft in die falsche Richtung. Dies betonte Lt. Gen. Ben Hodges in der Sendung Tacheles. Wenn man eine Ausweitung des Konfliktes befürchte, gäbe es wichtige Gründe keine Waffen zu liefern, sagte Hodges auf einer Gemeinschaftsveranstaltung des Aspen Institutes und von Deutschlandradio Kultur.
"Die Politiker … sollten mehr in Kategorien von Angriff und Verteidigung denken und die Ukrainer in die Lage versetzen, sich selbst verteidigen zu können. Das würde den Konflikt nicht verschärfen", sagte der Kommandeur der US Army in Europa. Hodges äußerte die Befürchtung, dass Russland Waffenlieferungen durch NATO Staaten propagandistisch ausschlachten und die USA als Kriegstreiber bezichtigen würden.
NATO und EU müssen zusammenhalten - Sanktionsdruck aufrechterhalten!
NATO und EU müssten zusammenhalten, der wirtschaftliche Druck auf Putin und die Oligarchen sollte aufrechterhalten, bzw. erhöht werden, forderte Lt. Gen. Ben Hodges. Ziel des russischen Präsidenten Putin seien unstabile Verhältnisse an der Peripherie, die Spaltung von NATO und EU, so der Kommandeur der US Armee in Europa.
Hodges äußerte die Befürchtung, dass Putin früher oder später, vielleicht jetzt, vielleicht in fünf Jahren versuchen werde, Mariupol zu erobern und die Ukraine vom Schwarzen Meer zu trennen, denn es sei sehr, sehr teuer die 25 000 Soldaten und ihre Ausrüstung auf der Krim auf dem Seeweg zu versorgen.
Peinlich, dass Deutschland nicht genügend Flugzeuge und Hubschrauber in die Luft bekommt
Der Kommandeur der US Armee in Europa, Lt. Gen. Ben Hodges, forderte die NATO Partner auf, die Vorgabe von 2 Prozent des Bruttosozialproduktes für den Verteidigungsetat zu erfüllen. Deutschland gibt zur Zeit 1,3 Prozent des BSP für Verteidigung aus. Großbritannien sei im Begriff, die Verteidigungsausgaben unter 2 Prozent zu kürzen, äußerte sich Hodges besorgt.
Deutschland käme eine besondere Führungsrolle nicht nur wirtschaftlich, sondern auch diplomatisch und militärisch zu. "Deutschland hat diese Verantwortung und ich denke, 70 Jahre nach dem Krieg ist es Zeit, etwaige Vorbehalte über Bord zu werfen und auch militärisch zu führen", sagte Hodges.
Den Zustand des deutschen Heeres bezeichnete Hodges als ausgezeichnet. Peinlich sei jedoch, dass eine der größten Wirtschaftsnationen der Erde nicht in der Lage sei, genügend Flugzeuge und Hubschrauber in die Luft zu bekommen. Das sei unakzeptabel, er sei aber sicher, dass sich dies ändere.
Die ungekürzte englische Fassung des Gesprächs können Sie hier nachhören.
Das Gespräch im Wortlaut:
Burkhard Birke: General Hodges, Sie waren im Laufe Ihrer herausragenden Karriere bei der US Army und der NATO auf zahlreichen Auslandsposten in Deutschland, im Irak, in Afghanistan, Korea, Belgien und der Türkei. Sie haben auch zahlreiche Positionen innerhalb der amerikanischen Streitkräfte bekleidet, von denen ich zwei hervorheben möchte: Sie waren Director der Pakistan Afghanistan Koordinierungszelle und Leiter des Verbindungsbüros der US Army zum Kongress.
Am 23. Oktober letzten Jahres haben Sie das Kommando der US Army Europe in Wiesbaden übernommen, zu einer Zeit gestiegener Spannungen zwischen der NATO und Russland infolge der Situation in der Ukraine.
Herzlich Willkommen Lieutenant General Hodges und vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit uns über das Thema: "Ein starkes Europa: Amerikas Beitrag zu Zeiten einer neuen Geopolitik Russlands" zu sprechen.
General Hodges, ich möchte Sie bitten einen besonderen amerikanischen Beitrag zu leisten: Können Sie sich in Russlands Präsident Putin hineinversetzen und uns sagen, was Sie an seiner Stelle tun würden?
General Hodges: Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich mich entschuldigen und sofort sämtliche Truppen nach Russland zurückbeordern, aber ich bin nicht an seiner Stelle.
Er hat die Grenzen eines souveränen europäischen Staates verletzt, deshalb glaube ich, dass sein Hauptziel ist, an seinen Außengrenzen unstabile Verhältnisse zu schaffen, damit Länder wie die Ukraine und andere sich nicht dem Westen anschließen, wie sie es wollen.
Sein zweites Ziel ist, unser großartiges Bündnis zu spalten. Die NATO ist das erfolgreichste Bündnis der Geschichte und er will einen Keil zwischen Nordamerika und Europa treiben und einzelne Länder aus der Allianz lösen, indem er Zweifel nährt, dass sie im Angriffsfall Beistand bekämen.
Burkhard Birke: Rechnen Sie in naher Zukunft mit einem Ende der Aggression in der Ukraine oder wird sich die Lage erst beruhigen, wenn eine Landbrücke zwischen der Krim und dem Donezbecken geschaffen ist?
General Hodges: Drei Voraussetzungen müssen allesamt erfüllt sein, um dies zu verhindern.
Erstens: Das Bündnis muss zusammenhalten - so wie wir das auf dem Gipfeltreffen in Wales gesehen haben. Trotz unterschiedlicher Einschätzungen und Gefährdungspotentiale haben alle 28 NATO Länder an einem Strang gezogen und sich auf Zusicherungs- und Anpassungsmaßnahmen im Rahmen des Aktionsplans zur Reaktionsfähigkeit verständigt. Jetzt muss das Bündnis zusammenhalten und die in Wales getroffen Beschlüsse umsetzen.
Zweitens: Die EU muss zusammenhalten. Deutschland verdient große Anerkennung dafür, dass dies bisher gelungen ist und Sanktionen gegen Präsident Putin und die Oligarchen verhängt wurden, die die Aktionen finanzieren.
Drittens: Der Westen muss die Ukraine weiterhin wirtschaftlich unterstützen. Die Situation ist sehr angespannt und wir wollen keinesfalls, dass die ukrainische Regierung gestürzt wird.
Wenn alle drei Bedingungen erfüllt sind, also die NATO und die EU zusammenhalten und wir die Ukraine weiterhin unterstützen, dann wird Präsident Putin erkennen, dass er von der internationalen Staatengemeinschaft isoliert ist. Und früher oder später wird die Unterstützung für ihn zu Hause bröckeln, aber wir müssen den Preis extrem hochtreiben!
Burkhard Birke: Den Preis hochtreiben: Sind die bisherigen Maßnahmen ausreichend?
General Hodges: Noch nicht! Natürlich wollen wir alle, dass die beiden Minsker Abkommen eingehalten werden. Jeder Soldat, den ich kenne, würde sich eine diplomatische Lösung wünschen, aber diese diplomatische Lösung muss die Wiederherstellung der territorialen Souveränität der Ukraine beinhalten. Bevor die Tinte unter dem zweiten Minsker Abkommen trocken war, haben die Rebellen schon erklärt, dass Debalzewe nicht unter das Abkommen falle. Das ist grotesk, zeigt aber die wahren Absichten. Die Rebellen haben nicht zugelassen, dass die OECD – 58 Länder gehören zur OECD! - den Waffenstillstand kontrolliert. Das war eine der Grundvoraussetzungen für das Abkommen! Und wenn es heißt, der Waffenstillstand wird teilweise eingehalten, heißt das: Die Waffen schweigen nicht überall.
Wir müssen deshalb alle extrem wachsam sein und die Bedrohung verstehen.
Russland darf nicht provoziert werden, aber das heißt doch nicht, dass unvermeidbar ist, dass sie einfach weiter machen.
Die Allianz muss zusammenhalten, die Beschlüsse von Wales umsetzen, die EU muss zusammenhalten, den Druck auf die Oligarchen aufrechterhalten und die Ukraine unterstützen.
Burkhard Birke: Sie sagen, es sei wichtig die territoriale Integrität der Ukraine zu erhalten, ist es aber nicht illusorisch zu glauben, dass die Krim jemals wieder ukrainisch wird?
General Hodges: Ich glaube, das hängt vom Westen ab. Kann der Westen zulassen, dass zum ersten Mal in 70 Jahren ein Land mit Gewalt die Grenzen eines europäischen Staates verändert? Ich glaube nicht, dass dies westlichen Vorstellungen entspricht. Und ich bin froh, dass Präsident Obama die Besetzung der Krim als illegal bezeichnet hat, auch die deutsche Regierung spricht von der illegalen Besetzung der Krim. Wir müssen weiterhin klar machen, dass wir das nicht akzeptieren.
Burkhard Birke: Sie haben die OECD erwähnt: Ist die überhaupt in der Lage, einen Waffenstillstand zu überwachen oder sollte man nicht überlegen, Blauhelme reinzuschicken, wie es der ukrainische Präsident Poroschenko vorgeschlagen hat?
General Hodges: Die OECD ist eigentlich nicht dafür gedacht: Sie hat keine Möglichkeit kriegsführende Parteien gewaltsam auseinanderzubringen. Am Anfang dachte ich jedoch, die OECD sei am besten geeignet, bei der Überwachung zu helfen. Man kann jedoch nicht überwachen, wenn die Konfliktparteien dies nicht zulassen und man nicht über die Mittel verfügt, um die Überwachung durchzusetzen.
Es liegt auf der Hand, dass die Rebellen einen Stellvertreterkrieg für die russische Regierung führen. Sie sind der verlängerte Arm des russischen Militärs.
Eine Miliz verfügt nicht über solche technischen Möglichkeiten wie wir sie auf der Krim und in der Ostukraine beobachtet haben. Solches Gerät kannst Du nicht in Deinem Keller zusammenbauen! Zwei OSZE Drohnen wurden mit Hilfe von elektronischem Kriegsgerät aus Russland abgeschossen. Im Grunde verhindert also das russische Militär die OSZE Beobachtungsmission. Das ist sehr besorgniserregend und zeigt uns, mit wem wir es wirklich zu tun haben.
Burkhard Birke: General Hodges Sie haben sehr plausibel erklärt, dass es sich beim eingesetzten Militärgerät um russisches handelt, aber haben Sie tatsächlich Beweise für das direkte Eingreifen auch russischer Soldaten, vielleicht ohne ihre offiziellen Abzeichen?
General Hodges: Natürlich. Es gibt Satellitenbilder des amerikanischen Außenministeriums, auf denen Militärgerät erkennbar ist. Wenn jemand auch nur ein bisschen Ahnung vom Militär hat und die Menge an Artillerie und Raketenmunition sieht, die Methoden elektronischer Kriegsführung analysiert, die Luftabwehrraketen…
Präsident Putin hat doch neulich erst nach dem Abzug der ukrainischen Truppen aus Debalzewe Witze gerissen und gesagt: Es sei wirklich schade gegen eine Horde von Traktorfahrer und Bergleute zu verlieren.
Die Tatsache, dass er so etwas sagt, ohne dass die internationale Presse oder andere das hinterfragen, halte ich für ein Problem.
Traktorfahrer oder Bergleute können nie im Leben das militärische Gerät bedienen, das im Osten der Ukraine im Einsatz war.
Wenn es also Leute gibt, die nicht glauben, dass Russland beteiligt ist und die Rebellen nur der verlängerte Arm Russlands sind, dann wollen sie es nicht glauben.
Burkhard Birke: Das ist auch ein Propagandakrieg: Gewinnt ihn die russische Seite?
General Hodges: Im Grunde gibt es vier Möglichkeiten, wie Staaten Macht ausüben und andere beeinflussen können: Durch Diplomatie, Information, wirtschaftlich und militärisch. Ich glaube die Diplomatie funktioniert momentan sehr gut. Wirtschaftlich haben wir die richtige Richtung eingeschlagen: Der Druck muss jedoch aufrechterhalten werden, denn es dauert, bis Wirtschaftsmaßnahmen greifen. Die Informationspolitik ist eine Herausforderung für den Westen, weil Präsident Putin nicht damit belastet wird, die Wahrheit zu sagen.
Er unterliegt keiner ständigen, strikten Kontrolle durch die Medien wie ein Bundestagsabgeordneter, die Kanzlerin oder Präsident Obama – eine Kontrolle, die ja auch richtig ist!
Präsident Putin hat diese Last nicht zu tragen!
Es ist schon möglich, dass wir bei der Information den Kürzeren ziehen, aber es bedarf umfangreicher und fundierter Informationen, um die andere Seite zu widerlegen.
Jedes Mal, wenn Präsident Putin oder Außenminister Lawrow etwas ganz offensichtlich Falsches sagen, etwa behaupten, dass der Westen an allem schuld sei und nur die russische Bevölkerung im Osten der Ukraine geschützt werden soll, dann müssen wir das jedes Mal in Frage stellen.
Zum Glück haben bei der Münchner Sicherheitskonferenz einige im Publikum laut gelacht, als Außenminister Lawrow einige solcher Behauptungen aufgestellt hat. Ich glaube, das ist sehr wichtig: Wir müssen in solchen Situationen jedes Mal laut lachen.
Burkhard Birke: Einige Militärexperten in Moskau vertreten die Auffassung, dass die russischen Streitkräfte erst durch die Kooperation mit der NATO in die Lage versetzt wurden, solche geheimen Operationen wie in der Ukraine durchzuführen!?
General Hodges: 2007 haben die Russen entschieden, ihre Streitkräfte zu modernisieren. Die waren heruntergekommen, es gab Probleme mit der Disziplin, Ausbildung, keine hochwertige Ausrüstung. Was wir jetzt einige Jahre später sehen ist das Ergebnis von Investitionen in der Größenordnung von einer Billion Dollar!
Als die russischen Streitkräfte 2008 in Georgien kämpften, waren sie zwar erfolgreich, aber ihr Auftritt war alles andere als beeindruckend. Obwohl Georgien so ein kleines Land ist, haben sie viele Fehler gemacht. Wenn man das mit dem Einsatz auf der Krim, wenn man die Ausrüstung mit der von heute vergleicht, gibt das Anlass zu Sorge. Sie verfügen wie der Westen über hochtechnologisierte verschlüsselte Kommunikationssysteme, die sie auch rangniederen Offizieren geben.
Ich glaube, dass sie im Begriff sind, ihre Kapazitäten so anzupassen, dass sie 2020 an mehreren Stellen gleichzeitig intervenieren können.
Zurzeit reichen die Kapazitäten für die Operationen in Russland, Transnistrien z.B. und Abchasien. In ein paar Jahren werden sie auch in der Lage sein, parallel Druck im Baltikum aufzubauen.
Burkhard Birke: Vor allem wenn Frankreich die beiden Hubschrauberträger liefert?
General Hodges: Bisher hat unser Bündnispartner Frankreich noch nicht geliefert. Das ist eine komplexe Situation. Jedes Land, auch die USA, stehen unter enormem finanziellem Druck. Deshalb ist es keineswegs eine leichte Entscheidung für die Franzosen, einen derart großen Auftrag zu stornieren.
Burkhard Birke: Einen 1,2 Milliarden Euro Auftrag…
General Hodges: Deutschland zahlt infolge der Wirtschaftssanktionen einen hohen Preis. Was ist uns wichtiger: Der Respekt vor den Grenzen souveräner Staaten oder das Geschäft – darum geht es doch letztlich!
Burkhard Birke: General Ben Hodges, der Kommandeur der US Army Europe ist heute Gast auf Deutschlandradio Kultur, Tacheles, dem Aspen Forum.
Wie weit, General Hodges, glauben Sie wird Präsident Putin gehen? Wird er versuchen, stärker nach Georgien, Moldawien oder in die baltischen Staaten vorzudringen?
General Hodges: Er will so viel Unruhe wie möglich bei seinen Anrainerstaaten schüren, davon bin ich überzeugt, damit Länder wie Georgien, die Ukraine, Moldawien nicht auf die Idee kommen, der EU, dem Westen beizutreten. Einer der Führer der ukrainischen Streitkräfte sagte neulich in Kiew zu mir: "Wir haben uns für Europa entschieden!"
Das ist wichtig, aber es ist das Letzte, was Präsident Putin hören will. Wenn die EU und die NATO weiterhin Geschlossenheit zeigen, wenn wir weiterhin die ukrainische Wirtschaft stützen, dann gibt es Grenzen für Präsident Putin.
Sollte es ihm jedoch gelingen, die Allianz, die EU zu spalten, dann wird er weiter Druck machen. Ich bin sicher, dass er die Ukraine vom Schwarzen Meer trennen möchte. Für mich ist klar, dass er früher oder später, vielleicht jetzt, vielleicht erst in fünf Jahren, versuchen wird Mariupol zu erobern, denn es ist sehr, sehr teuer, die 25 000 Soldaten und ihre Ausrüstung auf der Krim auf dem Seeweg zu versorgen. Aus praktischen Gründen brauchen die Russen also eine Landverbindung…
Burkhard Birke: Putin wird also nicht aufhören, bis er diese Landverbindung bekommt?
General Hodges: Das kommt darauf an. Die ukrainische Armee hatte die Rebellen fast besiegt, bis die Russen eingriffen. Das ist bekannt. Die Rebellen allein können Mariupol nicht erobern. Das ginge nur mit russischer Unterstützung, würde aber endgültig die Maske runterreissen.
Wenn Mariupol angegriffen würde, müssten selbst die größten Unterstützer Russlands zugeben, dass Russland beteiligt ist.
Ich weiß nicht, ob Putin so weit gehen wird, aber ich bin mir sicher, dass das sein Ziel ist.
Burkhard Birke: Momentan wird in Washington und anderen Bündnisstaaten über Waffenlieferungen an die ukrainischen Streitkräfte diskutiert. Wäre das in der aktuellen Situation nicht ein Fehler? Würde man Putin damit nicht einen Vorwand für eine Invasion liefern?
General Hodges: Als Amerikaner in Deutschland habe ich die Debatte über die Ukraine hierzulande genau verfolgt. In den Vereinigten Staaten sagen wir: Man kann seine eigene Meinung haben, aber nicht seine eigenen Fakten.
Einige sehen die USA in der Rolle des Provokateurs, wegen der Truppenpräsenz beispielsweise in Estland und anderen unabhängigen Staaten. Deshalb möchte ich noch einmal betonen: Wenn amerikanische Soldaten in einem Land stationiert sind, dann nur, weil dieses Land dies wünscht.
Estland, Lettland, Litauen und Polen sind NATO und EU Mitglieder und haben die USA und andere gebeten, Präsenz zu zeigen. Das sind Fakten, über die wir reden sollten.
Waffenlieferungen: Da läuft die Debatte läuft in die falsche Richtung: Es sollte nicht um tödliche und nicht-tödliche Waffen gehen, sondern wir sollten von Angriffs- und Verteidigungskapazitäten sprechen.
Wenn wir der Ukraine 500 Panzer liefern würden, könnte sie niemals Russland besiegen. Das ist nicht die Anforderung und auch nicht das Ziel. Es geht darum, dass die Ukraine Zeit gewinnt und der Preis für Präsident Putin steigt.
Burkhard Birke: Vom militärischen Standpunkt aus wären Waffenlieferungen also von Vorteil?
General Hodges: Für die Ukrainer ja. Aber das ist keine einfache Frage. Ich kenne niemanden, der die ukrainische Regierung stürzen und Russland vorwärts marschieren sehen will. Es gibt wichtige Gründe dafür keine Waffen zu liefern, wenn man eine Ausweitung des Konflikts befürchtet. Russland braucht keine Provokation, aber in ihrer Informationskampagne würden sie jeden Vorwand nutzen, um die USA anzuprangern. Deshalb ist die Sorge berechtigt, dass behauptet würde, russische Soldaten sind durch amerikanische Waffen getötet worden. Die Russen würden mit Sicherheit die USA als Kriegstreiber bezichtigen.
Das ist eine Farce, aber so wird es dargestellt. Die Politiker in Amerika, Frankreich und Deutschland sollten mehr in Kategorien von Angriff und Verteidigung denken, und die Ukrainer in die Lage versetzen, sich selbst verteidigen zu können. Das würde den Konflikt nicht verschärfen. Letztlich wird mein Präsident die Richtung festlegen und wir werden unser Bestes geben, diese Politik umzusetzen.
Burkhard Birke: Herr General ich verstehe, dass Sie Ihrem Präsident, dem Oberbefehlshaber dienen, aber ich möchte Sie befördern: Wenn Sie der Oberbefehl habende wären, welche Strategie würden Sie verfolgen?
General Hodges: Als allererstes würde ich mich befördern!
Ich würde dafür sorgen, dass das Bündnis das erfolgreichste in der Welt bleibt, ich würde an der Stationierung amerikanischer Truppen in Europa im derzeitigen Umfang festhalten, würde unseren Verbündeten mit Führung und Unterstützung zur Seite stehen: Das hätte für mich höchste Priorität.
Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Europa stellen alles andere in der Welt in den Schatten. Die wirtschaftlichen Bindungen sind acht Mal so umfangreich wie irgendwo sonst auf der Welt, größer als im pazifischen Raum. Deshalb liegen unsere strategischen Interessen in Europa. Natürlich ist der Pazifik wichtig, aber das Wohlergehen der US Wirtschaft ist direkt mit dem Europas verbunden.
Burkhard Birke: Und ist jetzt durch die Ukrainekrise bedroht…Welche Ukrainestrategie würden Sie an Obamas Stelle verfolgen?
General Hodges: Ich würde den diplomatischen Druck auf Russland aufrechterhalten, es isolieren, ich würde die Sanktionen aufrechterhalten und sie ausweiten, sollten die Rebellen als Stellvertreter Russlands gegen Mariupol oder Lugansk marschieren. Ich würde das, was wir momentan militärisch tun können, fortführen, würde gezielter informieren.
Nicht einmal hypothetisch würde ich eine andere Strategie als mein Präsident fahren.
Burkhard Birke: Dennoch möchte ich gerne aus einem Artikel des britischen Historikers Timothy Garton Ash im Guardian zitieren. Der gebrauchte ein polnisches Sprichwort: Wir spielen Schach mit denen, und sie treten uns in den Hintern. Wie lange können die NATO, die EU, können die USA noch zugucken, wie man ihnen in den Hintern tritt?
General Hodges: Weder den USA noch der NATO tritt man in den Hintern, die ukrainischen Soldaten kriegen die Tritte ab. Das sollten wir bedenken. Der Westen muss entscheiden, was er sich gefallen lässt. Wenn Politiker im Westen die Augen Verschließen und vielleicht glauben, die USA hätten das Ganze provoziert, dann werden weiter Ukrainer umgebracht und ein europäisches Land wird destabilisiert. Ist der Westen, ist Europa bereit, das hinzunehmen?
Das sehe nicht!
Burkhard Birke: Auf dem NATO Gipfel in Bukarest haben die NATO Mitglieder der Ukraine eine Beitrittsperspektive eröffnet. Ist das realistisch und wären Sie froh über einen NATO Beitritt der Ukraine?
General Hodges: Die Allianz hat ein großartiges Verfahren dafür: Ein Land muss eine lange Liste an Voraussetzungen erfüllen, um zu beweisen, dass es einen Beitrag zur kollektiven Sicherheit leisten kann.
Aktuell stehen russische Soldaten in der Ukraine, deshalb ist es unmöglich, auch über einen NATO Beitritt auch nur zu sprechen.
Die Ukraine muss letztendlich entscheiden, ob sie NATO Mitglied werden will.
Seit mehr als 20 Jahren ist die Ukraine jedoch Teil der Partnerschaft für den Frieden, ukrainische Soldaten waren im Irak, in Afghanistan, im Kosovo und haben an friedenserhaltenden Missionen teilgenommen.
Burkhard Birke: General Hodges, George Washington hat einmal gesagt: Das beste Mittel Frieden zu erhalten ist, sich auf den Krieg vorzubereiten. Lassen Sie uns deshalb konkret auf die Optionen und Maßnahmen der NATO schauen. Es wurden Reaktionskräfte beschlossen sowie eine Einheit in höchster Bereitschaft, die aber beide noch nicht voll einsatzfähig sind. Ist das die richtige Reaktion?
General Hodges: In allen drei baltischen Staaten und in Polen finden derzeit Manöver mit internationaler Beteiligung statt. Solche Übungen werden auch in Rumänien, Bulgarien und Ungarn in den kommenden Monaten abgehalten. Das ist ermutigend.
Der Gipfel von Wales liegt erst sechs Monate zurück und bereits jetzt haben acht bis zehn Staaten ihre Bereitschaft erklärt, die NATO Integrationstruppe zu stationieren. Die Vorbereitungen und Tests für die Einheit in höchster Bereitschaft laufen gerade. Und in sechs Monaten soll die Einsatzbereitschaft getestet werden. Deutschland war eines der ersten Länder, die sich an der Einheit beteiligt haben.
In Stettin haben wir das multinationale Korps, dessen Kern von Deutschland, Polen und Dänemark gestellt wird. Dieses Hauptquartier wird künftig das Baltikum und Nordwest-Russland beobachten. Die Vereinigten Staaten werden sich daran stärker beteiligen.
Das haben wir alles in sechs Monaten geschafft – in Lichtgeschwindigkeit für eine Organisation dieser Größenordnung. Der NATO Gipfel findet nächstes Jahr im Juli in Warschau statt.
In nur 22 Monaten seit dem Gipfeltreffen von Wales wird die Einheit in höchster Bereitschaft teilweise und das multinationale Korps für seine neue Aufgabe voll einsatzfähig sein. Die allgemeine Einsatztruppe wird operabel sein und in Polen wird das alle zwei Jahre stattfindende Manöver Anakonda mit NATO Beteiligung abgehalten.
Nahezu jeder amerikanischer Soldat in Europa wird an dem Manöver unter der Leitung des Multinationalen Korps Nordost teilnehmen.
Mitte 2016, keine zwei Jahre nach dem Treffen von Wales, wird das Bündnis sämtliche Beschlüsse umgesetzt haben mit Ausnahme der Vorgabe 2 % des Bruttosozialproduktes für Verteidigung auszugeben.
Burkhard Birke: General Hodges: Deutschland hält sich nicht an die Verpflichtung 2% seines Bruttosozialproduktes für Verteidigung auszugeben. Großbritannien will den Wehretat kürzen und nur sehr wenige NATO Staaten außer den USA halten sich an die Vorgaben. Um den Zustand deutschen Militärgerätes steht es zudem nicht zum Besten. Übernehmen die Vereinigten Staaten wieder Mal den Löwenanteil der Last und bleibt Europa hinter seinen Versprechungen zurück?
General Hodges: Unsere strategischen Interessen hängen aufs engste mit Europas Sicherheit zusammen. Selbst wenn andere Länder also ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, werden wir immer das Nötige für unsere eigene Sicherheit tun, die direkt mit der unserer Verbündeten verknüpft ist.
Die Bündnispartner sollten ihren Verpflichtungen nachkommen. Großbritannien ist im Begriff, die Verteidigungsausgaben unter 2 % zu kürzen. Estland liegt bei 2 % und erhöht seine Ausgaben, andere Länder erhöhen ebenfalls ihre Verteidigungsausgaben, zwar nicht im nötigen Umfang, aber immerhin stimmt die Richtung.
Deutschland als dem mächtigsten Land Europas kommt meiner Meinung nach eine besondere Führungsrolle zu, nicht nur in wirtschaftlichen Fragen, sondern auch militärisch und diplomatisch. Deutschland hat diese Verantwortung und ich denke, 70 Jahre nach dem Krieg ist es Zeit, etwaige Vorbehalte über Bord zu werfen und auch militärisch zu führen.
Die Verteidigungsministerin, Frau von der Leyen, ist auf gutem Weg. Das deutsche Heer kenne ich seit 35 Jahren. Es ist eines der besten der Welt. Ich glaube es ist wirklich Zeit, dass Deutschland militärisch führt so wie beim Kommando Nordost in Stettin und beim deutsch niederländischen Korps in Münster.
Peinlich ist, dass eine der größten Wirtschaftsnationen der Erde nicht in der Lage ist, genügend Flugzeuge und Hubschrauber in die Luft zu bekommen. Das ist unakzeptabel, aber ich bin sicher, das wird sich ändern.