Yannick Haan, 1986 geboren, Publizist und Politiker. Er ist unter anderem Mitglied in der Netz- und Medienpolitischen Kommission beim SPD-Parteivorstand und Autor des Buches "Gesellschaft im digitalen Wandel – ein Handbuch". Außerdem ist er Vorsitzender der SPD Alexanderplatz und stellvertretender Vorsitzender der SPD Berlin Mitte.
Gründet Ortsvereine!
Zwar lässt sich mit 280 Zeichen heute Weltpolitik machen - aber auch Demokratie? Yannick Haan, Jahrgang 1986, rät seiner Generation, nicht nur auf politische Teilhabe per Mausklick zu setzen, sondern auch auf den Ortsverein. Und ist selbst mit gutem Beispiel vorangegangen.
Ich kann mich an keine Zeit mehr erinnern, in der ich mir meine neuen Schuhe nicht im Internet bestellt habe, in der ich nicht die Möglichkeit hatte, mich politisch online zu engagieren, oder in der ich nicht in Sekundenschnelle mit meinen Freunden um die Welt chatten konnte.
Meine Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist, hat die sofortige Glückserfüllung per Mausklick gelernt. Ich klicke und bekomme eine unverzügliche Reaktion. Das ist ein wichtiges Prinzip des Internets. Mächtige Internetplattformen wie Facebook oder Google suggerieren, dass die Technik alleine unsere persönlichen, aber auch unsere gesellschaftlichen und politischen Probleme lösen kann. Der Klick ist in meiner Generation zum Symbol für die Lösung von Problemen geworden.
Demokratie und Klickkultur passen nicht zusammen
Doch die Funktionsweise unserer Demokratie steht dem Klick diametral gegenüber. In der Demokratie kann ich nicht klicken und eine Reaktion erwarten. Ganz im Gegenteil: Unsere Demokratie ist schwerfällig, langsam und oftmals kompliziert.
Ich habe selber erlebt, wie frustrierend die Arbeit in Parteien, vor allem in den heterogenen Volksparteien sein kann. Man engagiert sich jahrelang, geht zu Sitzungen und vertritt dort die eigene Position. Dieser Aktion folgt aber nicht zwingend eine Reaktion, weshalb viele frustriert aufgeben. Die dem Internet immanente schnelle Bestätigung der Selbstwirksamkeit fehlt in der Parteiarbeit vollends.
Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass das Internet ein imposantes Medium für einen kurzen Aufschrei, für Shitstorms und Hashtags ist, sich aber bisher wenig für ein längerfristiges politisches Engagement eignet. In der Konsequenz verliert die klassische Demokratie meine Generation der Digital Natives zunehmend.
Politische Debatten brauchen Raum und Zeit
Die politischen Diskurse im Internet haben uns zudem in eine digitale Unmündigkeit geführt. Der kleine Bildschirm unseres Smartphones eignet sich gut, um Informationen zu erhalten, und für die unmittelbare Kommunikation. Aber eine politische Debatte braucht, ähnlich wie die Demokratie, Raum und Zeit. Die Verkürzung der Debatte auf 140 respektive jetzt 280 Zeichen hat dabei vor allem dem Rechtspopulismus genützt.
In der digitalen Kommunikation ist die Tendenz zur Radikalisierung und Verkürzung im System angelegt. Das Sortieren durch Algorithmen verstärkt diesen Effekt. Folglich wird der Diskurs im Internet zunehmend segmentiert – und hasserfüllt. Die einzelnen Gruppen kommunizieren vermehrt unter sich und bestärken einander in den eigenen Positionen. Es zeigt sich immer mehr, dass die Geschäftsinteressen von Facebook den Geschäftsinteressen unserer Demokratie diametral gegenüberstehen.
Der Ortsverein: angestaubt, aber notwendig
Wir brauchen daher wieder neue politische Diskursräume. Für mich sind das inzwischen ganz klar die alten, nämlich die Volksparteien und die Ortsvereine. So anstrengend und angestaubt so ein Ortsverein vielleicht auch sein mag, er ist ein Ort, an dem ich mich mit unterschiedlichen Menschen treffe, ein Ort, an dem ich mich mit anderen Menschen auseinandersetzen muss und an dem ich nachdenken muss.
Hier muss ich Kompromisse schließen, auf andere zugehen und eine Sprache sprechen, die nicht verletzend ist. Im Ortsverein kann man lernen, wie Demokratie funktioniert. Der Ortsverein kann daher zum neuen Symbol gegen den kaputten politischen Diskurs werden und zum Symbol gegen die politische Segmentierung.
Das Beste aus beiden Welten kombinieren
Ich weiß, dass der Ortsverein in meiner Generation nicht gerade für Begeisterungsstürme sorgt. Der Ortsverein ist allzu oft männlich, politisch entkernt und hat seine Arbeitsweise seit den 70er-Jahren nicht mehr verändert. Aber warum kombinieren wir nicht das Gute aus dem Internet – wie die situative Zusammenarbeit, die Hierarchielosigkeit und die ortsungebundene Mitarbeit mit dem Guten aus dem Ortsverein? Es hält uns doch niemand davon ab, den Ortsverein neu zu erfinden. Von daher lasst uns zusammen einen neuen Ortsverein klicken. Ich mach dann auch den Kassenwart.