Lily King: Writers & Lovers
Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Roth
C.H. Beck, München 2020
319 Seiten, 24 Euro
Werdende Schriftstellerin mit Panikattacken
05:53 Minuten
Auf Casey Peabody lastet nicht nur ein Roman, der nicht fertig wird. In "Writers & Lovers" ist die US-amerikanische Autorin Lily King einmal mehr der Weiblichkeit auf der Spur - und zeigt schließlich ihrer Protagonistin einen Weg aus der Krise.
Ein großes Ego hilft beim Schreiben oder zumindest ein Selbstbild, das auf Größe zielt. Casey Peabody allerdings ist von Selbstzweifeln geplagt. Seit sechs Jahren arbeitet sie an ihrem ersten Roman. Lange dachte sie, es müsse an ihrem schlechten Geschmack liegen, dass sie immer an Männer gerät, die glauben, eines Tages groß – oder noch größer - rauszukommen.
Das trifft selbst auf Oscar Kolton zu, einen durchaus erfolgreichen Schriftsteller Mitte 40, der Schreibseminare gibt und nach dem Tod seiner Frau eine neue Mutter für seine beiden kleinen Söhne sucht. Zwischen ihm und Silas ist Casey hin und hergerissen.
Ein "Hütehund" der Ältere, einer, der immer wieder abtaucht, der Jüngere, Anfang 30 wie sie. "Wenn du genug Zeit auf der Rennbahn verbringst, dann erkennst du dein Pferd", tröstet sie eine Kollegin, als sie beim Kellnern mal wieder in Verzweiflung gerät.
Autorinnen kämpfen gegen Vorurteile
Wie Siri Hustvedt in "Damals" erzählt auch Lily King in ihrem neuen Roman "Writers & Lovers" von den schwierigen Anfängen als Schriftstellerin. Für männliche Autoren gibt es jede Menge Vorbilder. Autorinnen dagegen kämpfen gegen Vorurteile und Unsicherheit.
Er staune, dass sie tatsächlich glaube, sie habe etwas zu sagen, tut gleich am Anfang ihr Vermieter kund, ein Freund des Bruders, der ihr in Boston ein schäbiges Gartenhaus überlässt.
Caseys Mutter ist vor Kurzem überraschend gestorben, mit 58 Jahren bei einer Reise nach Chile. Das Verhältnis zum Vater ist hoch problematisch. 75.000 Dollar Schulden aus Studienkrediten lasten auf ihr, ein Roman, der nicht vorankommt, sie ist ständig umgezogen, hatte 17 verschiedene Jobs, mehrere gescheiterte Beziehungen.
Fast alle, die mit ihr als Schriftstellerin gestartet sind, haben aufgegeben. Die Hochzeitseinladungen häufen sich. Sie fühlt sich als bemitleidenswerte Figur. Panikattacken und Ängste quälen sie.
"Bienen" als Metapher für das Brummen der Ängste
Doch ganz allmählich scheint sich die Könnerschaft, die sie früher einmal als Sportlerin hatte, über das Körpergedächtnis zurück in ihr Leben zu schleichen. "Ein warmes, lockeres, süßes Gefühl." Die "Bienen", sonst eine Metapher für das Brummen der Ängste, verwandeln sich.
Mit "Writers & Lovers", auch im amerikanischen Original erst kürzlich erschienen, empfiehlt sich Lily King ein weiteres Mal als Schriftstellerin, die der sozialen und kulturellen Codierung von Weiblichkeit auf der Spur ist, ohne ins Theoretische abzudriften.
Von der Begeisterung des Entdeckens, von Neugier und flottierendem Begehren erzählte sie in "Euphoria", ihrem von der Anthropologin Margaret Mead inspirierten Roman, der 2015 ebenfalls in der Übersetzung von Sabine Roth auf Deutsch veröffentlich wurde.
Soziotop der US-amerikanischen 1990er
Lily Kings Dialoge sind pointiert, aber nicht gefallsüchtig. Ihre Szenen sitzen, ein paar Worte und Gesten genügen, schon kennen wir Situationen und Figuren. Während die werdende Schriftstellerin als Kellnerin hin und her flitzt, entsteht dramaturgisch geschickt ein Soziotop der US-amerikanischen 1990er-Jahre.
Für Männer scheint das Grapschen damals so selbstverständlich gewesen sein wie die Annahme, eine Kellnerin müsse sich das gefallen lassen.