Lincoln war "tief verwurzelt in rassistischen Vorurteilen seiner Zeit"
Er wollte die Union zwischen Nord- und Südstaaten retten, nicht aber die Sklaven befreien, sagt die Historikerin Britta Waldschmidt-Nelson über die Bürgerkriegsjahre von US-Präsident Abraham Lincoln. Erst durch seinen schärfsten Kritiker und späteren Freund Frederick Douglass habe sich Lincoln gewandelt. Douglass komme in dem Spielberg-Film aber überhaupt nicht vor.
Stefan Karkowsky: Man muss den amerikanischen Jubel über den neuen Steven-Spielberg-Film nicht unbedingt teilen, wir können aber zumindest versuchen, ihn zu verstehen. Der Film heißt "Lincoln", er ist zwölfmal für den Oscar nominiert. Heute läuft er auch bei uns an. Daniel Day-Lewis spielt darin den US-Präsidenten Abraham Lincoln in einer kurzen, aber sehr wichtigen Phase seiner Amtszeit. Als Lincoln nämlich am Ende des amerikanischen Bürgerkrieges die Abschaffung der Sklaverei durchsetzte.
Bevor wir dieses Werk auf seine historische Genauigkeit überprüfen und eventuell die eine oder andere Korrektur zu Spielbergs Lincoln-Bild anbringen müssen, führt Hartwig Tegeler ein in den Film.
Zum Mythos geronnene Präsidentengestalt - Beitrag von Hartwig Tegeler
Karkowsky: Auch Britta Waldschmidt-Nelson hat sich "Lincoln" angeschaut. Sie ist promovierte Historikerin, und die Geschichte der schwarzen Bürgerrechtsbewegung ist ihr Spezialgebiet. Außerdem ist sie Vizedirektorin des Deutschen Historischen Institutes in Washington D.C., und dort erreichen wir sie auch. Frau Waldschmidt-Nelson, guten Tag!
Britta Waldschmidt-Nelson: Guten Tag!
Karkowsky: Kein pathetisch überhöhter Lincoln ist hier zu sehen, sagt unser Kritiker. Würden Sie da zustimmen?
Waldschmidt-Nelson: Ich denke, er ist sicher nicht so pathetisch überhöht, wie das in manchen anderen Lincoln-Filmen der Fall ist, aber trotzdem wird in diesem Bild natürlich Lincoln glorifiziert, da wird er in einer Weise dargestellt, die seine historische Leistungen gerade in Bezug auf die Abschaffung der Sklaverei doch noch etwas mehr exaltiert als sie in Wirklichkeit waren.
Karkowsky: Na ja, manche deutsche Kritiker sagen, das sei bewundernswert historisch präzise, was Spielberg hier macht. Sie nicht?
Waldschmidt-Nelson: Also ich meine, der Film an sich ist schon, will ich mal grundwegs sagen, ein gelungener Film. Mir hat er gut gefallen, und vor allem die schauspielerische Leistung von Daniel Day-Lewis ist wirklich hoch zu loben. Also, ich finde, er – ihm gelingt es sehr, diesen Charakter des Lincoln als einen müden, einen zerrissenen Mann, einen Politiker eben auch mit Schwächen, darzustellen. Das gelingt sehr gut.
Aber in Bezug auf die Authentizität vieler Fakten, da muss man schon an einigen Stellen Kritik üben. Das sind zum Teil Kleinigkeiten im Film, beispielsweise, dass es immer wieder Sachen gibt, die einfach so nicht richtig sind. Also zum Beispiel Mary Todd-Lincoln, die Frau des Präsidenten, war niemals in der Visiting Gallery des Hauses, das wäre damals undenkbar gewesen, dass eine First Lady so was macht. Oder dass bei der Abstimmung die Mitglieder des Hauses nach Staatendelegation abstimmen, stimmt auch nicht. Auch, dass Lincoln irgendwie ein Manuskript seiner Rede aus seinem Zylinder gezaubert hat, dafür gibt es keinerlei historische Belege, aber das sind Kleinigkeiten.
Karkowsky: Details, die tatsächlich die Geschichte ja nicht schmälern.
Waldschmidt-Nelson: Genau, das sind die Details. Aber was aus meiner Sicht etwas problematisch ist an dem Film, ist, dass er eine Geschichtsinterpretation wiedergibt, die eigentlich schon seit dem frühen 20. Jahrhundert von Historikern hier längst überholt ist, nämlich die, Lincoln zu glorifizieren als jemand, der so single-handedly die Sklaverei abgeschafft hat. Er als der große, weiße Retter, als der Messias der Schwarzen.
Und wenn man sich mal anschaut, wirklich der historische Lincoln war ein Politiker seiner Zeit, der auch tief verwurzelt war in den rassistischen Vorurteilen seiner Zeit. Wenn man sich zum Beispiel mal die Lincoln-Douglas Debates anguckt, also die mit Stephen Douglas während seiner Kandidatur für den Senat in den 50er-Jahren, da hat Lincoln zum Teil ganz furchtbar rassistische Dinge gesagt und hat immer wieder betont, dass er die schwarze Rasse für minderwertig hält, dass er auf keinen Fall je dafür wäre, die Schwarzen politisch oder sozial gleichzustellen. Und es war ja auch so, dass zu Beginn des Bürgerkrieges Lincoln immer wieder betont hat, es ginge eben nicht um die Abschaffung der Sklaverei, sondern nur um den Erhalt der Union. Es gibt ja dieses berühmte Zitat von ihm von '62, also da war der Bürgerkrieg schon zwei Jahre am toben …
Karkowsky: Wir müssen der Sorgfalt halber noch mal dazusagen, von 1862.
Waldschmidt-Nelson: 1862, richtig, ja. Es gibt einen berühmten Brief von ihm, den er geschrieben hat, einen offenen Brief an den bekannten Publizisten Horace Greeley vom 25. August 1862, der dann in der "New York Times" publiziert wurde. Da sagt er, ich zitiere: "My paramount object in this struggle is to save the union and it is not either to save or to destroy slavery. If I could save the union without freeing any slave – I would do it." Und so weiter.
Also das bedeutet, er sagt hier, ihm geht es darum, die Union zu retten, also die Südstaaten zurückzuholen, die Rebellen zurückzuholen in die Union. Und wenn ihm das gelingen würde, ohne die Sklaven zu befreien, dann würde er das auch tun. Und das ist auch ein weniger bekannter, aber historisch nachgewiesener Fakt, dass Lincoln eben bis '62 mehrfach Delegationen in den Süden geschickt hat und den Südstaaten angeboten hat, wenn sie bereit wären, die Waffen niederzulegen und in die Union zurückzukehren, dass sie dann die Sklaverei behalten können.
Lincoln ging es gar nicht um die Abschaffung der Sklaverei, es ging ihm maximal um eine Verhinderung der Ausbreitung. Und die Tatsache, dass er dann dahingekommen ist, sich für eine Abschaffung der Sklaverei einzusetzen, war, dass er die kriegsbedingte Notwendigkeit sah, die Sklaven einzusetzen gegen die Südstaatler. Und der Einfluss von Frederick Douglass.
Karkowsky: Ja. Das kommt im Film doch ein bisschen auch raus, dass der eigentliche Grund Lincolns, sich für die Abschaffung der Sklaverei zu engagieren jener ist, dass er gern ein Ende des Krieges erreichen will, oder?
Waldschmidt-Nelson: Na, da ist schon eine leichte Verschiebung. Also, wichtiger ist eigentlich als – für kriegsentscheidend war wichtiger eigentlich die Emancipation Proclamation, die er im September '62, nach dem Sieg von Antietam unterzeichnet hat und damit ja die Sklaven in den Rebellengebieten befreit hat. Das war also wirklich ein Akt, der die Südstaaten schwächen sollte. Und es ist auch wichtig, sich noch mal vor Augen zu führen, dass mit dieser Emancipation Proclamation ja die Sklaven in den loyalen Grenzstaaten, im oberen Süden, also hier Maryland, Kentucky, Tennessee, diese Staaten, die also zur Union geblieben waren, die wurden nicht befreit mit der Emancipation Proclamation.
Und Lincoln hat ja hier dem Süden ja auch noch mal drei Monate Zeit gelassen. Die Emancipation Proclamation trat ja dann erst am 1. Januar 1863 in Kraft, damit sie es sich vielleicht noch mal überlegen. Und dann erst hinterher, als das gescheitert ist – '64 sieht es ja auch so aus, dass die Republikaner im Kongress schon mal versuchen, ein 13th Amandment, also eine Verfassungsänderung zur Abschaffung der Sklaverei durchzubringen, und da hat Lincoln sich überhaupt nicht darum gekümmert.
Und da ist es eben ganz, ganz wichtig, finde ich, zu sehen, dass Lincoln in diesen Jahren, also gerade im Jahr 1863, sich eine Wandlung in Lincoln vollzieht. Und zwar war die auch mit beeinflusst von Frederick Douglass. Und das ist für mich persönlich eine der größten Schwächen des Filmes, dass die historisch immens wichtige Person von Frederick Douglass, das war der schwarze Führer sozusagen der Abolitionistenbewegung, der ein Freund von … – er war zwar einer der schärfsten Kritiker von Lincoln, wurde dann aber auch ein Freund und vor allem jemand, den Lincoln sehr respektiert hat. Diese Figur kommt im Film überhaupt nicht vor.
Karkowsky: Man muss dazu sagen, dass das allererste Drehbuch, das Spielberg vorgelegen hat zu seiner "Lincoln"-Filmplanung vor zehn Jahren bereits, hat die Freundschaft zwischen Lincoln und Douglass in den Mittelpunkt gestellt. Er hat das dann verworfen. Dann gab es ein Drehbuch, in dem das ganze Leben Lincolns erzählt wurde. Und erst beim dritten hat er dann zugegriffen, als dieser kleine Ausschnitt tatsächlich erzählt wurde, den er dann tatsächlich verfilmt hat.
Waldschmidt-Nelson: Ja. Ich denke, das liegt halt daran – Spielberg ist natürlich kein Historiker, sondern ein Filmregisseur, der versuchen will, eine packende Story zu machen. Und aus Hollywoods Sicht ist es natürlich für eine packende Story immer besser, ich habe diesen einen, singulären Helden. Und das ist in diesem Fall Lincoln, der das ganz alleine alles durchpaukt und alles bereit ist zu riskieren.
Wenn man Frederick Douglass in diesem Film aufgenommen hätte – es gibt ja zum Beispiel hier ein Theaterstück, was in Ford's Theater, also in dem Theater, wo Lincoln ermordet wurde, jetzt viele Monate gespielt hatte in Washington D.C., wo es eben um Lincoln und Douglass geht, und da ist Douglass letztendlich der große Held. Das wollte Spielberg natürlich vermeiden.
Karkowsky: Nun hat Steven Spielberg ja den Film in einer Privatvorführung Barack Obama gezeigt im Weißen Haus, und angeblich soll Spielberg seinen Film ja auch als Hommage an Obama verstehen. Denn Obama zitiert Lincoln immer wieder als sein großes Vorbild. Ist Lincoln denn überhaupt ein gutes Vorbild für Obama?
Waldschmidt-Nelson: Na ja, Lincoln – ich würde sagen, die Identifikation mit Lincoln bei Obama ist vielleicht nicht so sehr die, dass er jetzt jemand war, der die Schwarzen befreit hat – ich meine, das sicherlich auch. Und dass er Verständnis hatte für diese Rassenfrage, eben am Ende, sehr spät, in den letzten paar Monaten seines Lebens kam er zu dieser Position. Aber ich glaube, die politische Relevanz des Filmes und die politische Nachricht, so wie sie hier jetzt heute in Washington verstanden wird, ist eher eine andere. Nämlich die, dass der Präsident in Situationen der Krise eben sich auch mal als starke Führungspersönlichkeit erweisen muss.
Es geht ja auch um diese House Divided Speech, die Lincoln gemacht hat. Und das House ist divided. Das ist ja auch im Moment in Amerika, oder was heißt im Moment, das hat sich seit Jahren ja so hochkristallisiert, insbesondere seit der Entstehung der Tea-Party und dem Rechtsruck der republikanischen Partei, dass die amerikanischen politischen Lager zutiefst gespalten sind. Das ist praktisch das, was hier gesagt wird: So war es damals auch, ja, damals war es die demokratische Partei, also wollten das verhindern, und Lincoln hat dann alle Mittel eingesetzt, ja, auch welche, die vielleicht nicht so ganz sauber waren, um den Kongress quasi zur Raison zu bringen, auch um die Opposition in seiner eigenen Partei irgendwie zurechtzurücken und dann seine politischen Ziele durchzusetzen. Also ich glaube, viele Leute hier in Amerika verstehen den Film so ein bisschen auch als Aufforderung an Obama: You are the leader – lead!
Karkowsky: Heute läuft Spielbergs Lincoln-Film in den Kinos an. Sie hörten dazu aus Washington die Historikerin Britta Waldschmidt-Nelson. Sie ist Vizedirektorin des Deutschen Historischen Institutes. Ihnen besten Dank!
Waldschmidt-Nelson: Ich danke auch Ihnen. Einen schönen Tag noch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Bevor wir dieses Werk auf seine historische Genauigkeit überprüfen und eventuell die eine oder andere Korrektur zu Spielbergs Lincoln-Bild anbringen müssen, führt Hartwig Tegeler ein in den Film.
Zum Mythos geronnene Präsidentengestalt - Beitrag von Hartwig Tegeler
Karkowsky: Auch Britta Waldschmidt-Nelson hat sich "Lincoln" angeschaut. Sie ist promovierte Historikerin, und die Geschichte der schwarzen Bürgerrechtsbewegung ist ihr Spezialgebiet. Außerdem ist sie Vizedirektorin des Deutschen Historischen Institutes in Washington D.C., und dort erreichen wir sie auch. Frau Waldschmidt-Nelson, guten Tag!
Britta Waldschmidt-Nelson: Guten Tag!
Karkowsky: Kein pathetisch überhöhter Lincoln ist hier zu sehen, sagt unser Kritiker. Würden Sie da zustimmen?
Waldschmidt-Nelson: Ich denke, er ist sicher nicht so pathetisch überhöht, wie das in manchen anderen Lincoln-Filmen der Fall ist, aber trotzdem wird in diesem Bild natürlich Lincoln glorifiziert, da wird er in einer Weise dargestellt, die seine historische Leistungen gerade in Bezug auf die Abschaffung der Sklaverei doch noch etwas mehr exaltiert als sie in Wirklichkeit waren.
Karkowsky: Na ja, manche deutsche Kritiker sagen, das sei bewundernswert historisch präzise, was Spielberg hier macht. Sie nicht?
Waldschmidt-Nelson: Also ich meine, der Film an sich ist schon, will ich mal grundwegs sagen, ein gelungener Film. Mir hat er gut gefallen, und vor allem die schauspielerische Leistung von Daniel Day-Lewis ist wirklich hoch zu loben. Also, ich finde, er – ihm gelingt es sehr, diesen Charakter des Lincoln als einen müden, einen zerrissenen Mann, einen Politiker eben auch mit Schwächen, darzustellen. Das gelingt sehr gut.
Aber in Bezug auf die Authentizität vieler Fakten, da muss man schon an einigen Stellen Kritik üben. Das sind zum Teil Kleinigkeiten im Film, beispielsweise, dass es immer wieder Sachen gibt, die einfach so nicht richtig sind. Also zum Beispiel Mary Todd-Lincoln, die Frau des Präsidenten, war niemals in der Visiting Gallery des Hauses, das wäre damals undenkbar gewesen, dass eine First Lady so was macht. Oder dass bei der Abstimmung die Mitglieder des Hauses nach Staatendelegation abstimmen, stimmt auch nicht. Auch, dass Lincoln irgendwie ein Manuskript seiner Rede aus seinem Zylinder gezaubert hat, dafür gibt es keinerlei historische Belege, aber das sind Kleinigkeiten.
Karkowsky: Details, die tatsächlich die Geschichte ja nicht schmälern.
Waldschmidt-Nelson: Genau, das sind die Details. Aber was aus meiner Sicht etwas problematisch ist an dem Film, ist, dass er eine Geschichtsinterpretation wiedergibt, die eigentlich schon seit dem frühen 20. Jahrhundert von Historikern hier längst überholt ist, nämlich die, Lincoln zu glorifizieren als jemand, der so single-handedly die Sklaverei abgeschafft hat. Er als der große, weiße Retter, als der Messias der Schwarzen.
Und wenn man sich mal anschaut, wirklich der historische Lincoln war ein Politiker seiner Zeit, der auch tief verwurzelt war in den rassistischen Vorurteilen seiner Zeit. Wenn man sich zum Beispiel mal die Lincoln-Douglas Debates anguckt, also die mit Stephen Douglas während seiner Kandidatur für den Senat in den 50er-Jahren, da hat Lincoln zum Teil ganz furchtbar rassistische Dinge gesagt und hat immer wieder betont, dass er die schwarze Rasse für minderwertig hält, dass er auf keinen Fall je dafür wäre, die Schwarzen politisch oder sozial gleichzustellen. Und es war ja auch so, dass zu Beginn des Bürgerkrieges Lincoln immer wieder betont hat, es ginge eben nicht um die Abschaffung der Sklaverei, sondern nur um den Erhalt der Union. Es gibt ja dieses berühmte Zitat von ihm von '62, also da war der Bürgerkrieg schon zwei Jahre am toben …
Karkowsky: Wir müssen der Sorgfalt halber noch mal dazusagen, von 1862.
Waldschmidt-Nelson: 1862, richtig, ja. Es gibt einen berühmten Brief von ihm, den er geschrieben hat, einen offenen Brief an den bekannten Publizisten Horace Greeley vom 25. August 1862, der dann in der "New York Times" publiziert wurde. Da sagt er, ich zitiere: "My paramount object in this struggle is to save the union and it is not either to save or to destroy slavery. If I could save the union without freeing any slave – I would do it." Und so weiter.
Also das bedeutet, er sagt hier, ihm geht es darum, die Union zu retten, also die Südstaaten zurückzuholen, die Rebellen zurückzuholen in die Union. Und wenn ihm das gelingen würde, ohne die Sklaven zu befreien, dann würde er das auch tun. Und das ist auch ein weniger bekannter, aber historisch nachgewiesener Fakt, dass Lincoln eben bis '62 mehrfach Delegationen in den Süden geschickt hat und den Südstaaten angeboten hat, wenn sie bereit wären, die Waffen niederzulegen und in die Union zurückzukehren, dass sie dann die Sklaverei behalten können.
Lincoln ging es gar nicht um die Abschaffung der Sklaverei, es ging ihm maximal um eine Verhinderung der Ausbreitung. Und die Tatsache, dass er dann dahingekommen ist, sich für eine Abschaffung der Sklaverei einzusetzen, war, dass er die kriegsbedingte Notwendigkeit sah, die Sklaven einzusetzen gegen die Südstaatler. Und der Einfluss von Frederick Douglass.
Karkowsky: Ja. Das kommt im Film doch ein bisschen auch raus, dass der eigentliche Grund Lincolns, sich für die Abschaffung der Sklaverei zu engagieren jener ist, dass er gern ein Ende des Krieges erreichen will, oder?
Waldschmidt-Nelson: Na, da ist schon eine leichte Verschiebung. Also, wichtiger ist eigentlich als – für kriegsentscheidend war wichtiger eigentlich die Emancipation Proclamation, die er im September '62, nach dem Sieg von Antietam unterzeichnet hat und damit ja die Sklaven in den Rebellengebieten befreit hat. Das war also wirklich ein Akt, der die Südstaaten schwächen sollte. Und es ist auch wichtig, sich noch mal vor Augen zu führen, dass mit dieser Emancipation Proclamation ja die Sklaven in den loyalen Grenzstaaten, im oberen Süden, also hier Maryland, Kentucky, Tennessee, diese Staaten, die also zur Union geblieben waren, die wurden nicht befreit mit der Emancipation Proclamation.
Und Lincoln hat ja hier dem Süden ja auch noch mal drei Monate Zeit gelassen. Die Emancipation Proclamation trat ja dann erst am 1. Januar 1863 in Kraft, damit sie es sich vielleicht noch mal überlegen. Und dann erst hinterher, als das gescheitert ist – '64 sieht es ja auch so aus, dass die Republikaner im Kongress schon mal versuchen, ein 13th Amandment, also eine Verfassungsänderung zur Abschaffung der Sklaverei durchzubringen, und da hat Lincoln sich überhaupt nicht darum gekümmert.
Und da ist es eben ganz, ganz wichtig, finde ich, zu sehen, dass Lincoln in diesen Jahren, also gerade im Jahr 1863, sich eine Wandlung in Lincoln vollzieht. Und zwar war die auch mit beeinflusst von Frederick Douglass. Und das ist für mich persönlich eine der größten Schwächen des Filmes, dass die historisch immens wichtige Person von Frederick Douglass, das war der schwarze Führer sozusagen der Abolitionistenbewegung, der ein Freund von … – er war zwar einer der schärfsten Kritiker von Lincoln, wurde dann aber auch ein Freund und vor allem jemand, den Lincoln sehr respektiert hat. Diese Figur kommt im Film überhaupt nicht vor.
Karkowsky: Man muss dazu sagen, dass das allererste Drehbuch, das Spielberg vorgelegen hat zu seiner "Lincoln"-Filmplanung vor zehn Jahren bereits, hat die Freundschaft zwischen Lincoln und Douglass in den Mittelpunkt gestellt. Er hat das dann verworfen. Dann gab es ein Drehbuch, in dem das ganze Leben Lincolns erzählt wurde. Und erst beim dritten hat er dann zugegriffen, als dieser kleine Ausschnitt tatsächlich erzählt wurde, den er dann tatsächlich verfilmt hat.
Waldschmidt-Nelson: Ja. Ich denke, das liegt halt daran – Spielberg ist natürlich kein Historiker, sondern ein Filmregisseur, der versuchen will, eine packende Story zu machen. Und aus Hollywoods Sicht ist es natürlich für eine packende Story immer besser, ich habe diesen einen, singulären Helden. Und das ist in diesem Fall Lincoln, der das ganz alleine alles durchpaukt und alles bereit ist zu riskieren.
Wenn man Frederick Douglass in diesem Film aufgenommen hätte – es gibt ja zum Beispiel hier ein Theaterstück, was in Ford's Theater, also in dem Theater, wo Lincoln ermordet wurde, jetzt viele Monate gespielt hatte in Washington D.C., wo es eben um Lincoln und Douglass geht, und da ist Douglass letztendlich der große Held. Das wollte Spielberg natürlich vermeiden.
Karkowsky: Nun hat Steven Spielberg ja den Film in einer Privatvorführung Barack Obama gezeigt im Weißen Haus, und angeblich soll Spielberg seinen Film ja auch als Hommage an Obama verstehen. Denn Obama zitiert Lincoln immer wieder als sein großes Vorbild. Ist Lincoln denn überhaupt ein gutes Vorbild für Obama?
Waldschmidt-Nelson: Na ja, Lincoln – ich würde sagen, die Identifikation mit Lincoln bei Obama ist vielleicht nicht so sehr die, dass er jetzt jemand war, der die Schwarzen befreit hat – ich meine, das sicherlich auch. Und dass er Verständnis hatte für diese Rassenfrage, eben am Ende, sehr spät, in den letzten paar Monaten seines Lebens kam er zu dieser Position. Aber ich glaube, die politische Relevanz des Filmes und die politische Nachricht, so wie sie hier jetzt heute in Washington verstanden wird, ist eher eine andere. Nämlich die, dass der Präsident in Situationen der Krise eben sich auch mal als starke Führungspersönlichkeit erweisen muss.
Es geht ja auch um diese House Divided Speech, die Lincoln gemacht hat. Und das House ist divided. Das ist ja auch im Moment in Amerika, oder was heißt im Moment, das hat sich seit Jahren ja so hochkristallisiert, insbesondere seit der Entstehung der Tea-Party und dem Rechtsruck der republikanischen Partei, dass die amerikanischen politischen Lager zutiefst gespalten sind. Das ist praktisch das, was hier gesagt wird: So war es damals auch, ja, damals war es die demokratische Partei, also wollten das verhindern, und Lincoln hat dann alle Mittel eingesetzt, ja, auch welche, die vielleicht nicht so ganz sauber waren, um den Kongress quasi zur Raison zu bringen, auch um die Opposition in seiner eigenen Partei irgendwie zurechtzurücken und dann seine politischen Ziele durchzusetzen. Also ich glaube, viele Leute hier in Amerika verstehen den Film so ein bisschen auch als Aufforderung an Obama: You are the leader – lead!
Karkowsky: Heute läuft Spielbergs Lincoln-Film in den Kinos an. Sie hörten dazu aus Washington die Historikerin Britta Waldschmidt-Nelson. Sie ist Vizedirektorin des Deutschen Historischen Institutes. Ihnen besten Dank!
Waldschmidt-Nelson: Ich danke auch Ihnen. Einen schönen Tag noch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.