Gloria Naylor: "Linden Hills"

Abstieg in den Höllenkreis

05:27 Minuten
Das Cover von Gloria Naylors Roman "Linden Hills", darauf eine junge Frau, die direkt nach vorn blickt.
© Unionsverlag

Gloria Naylor

Aus dem Englischen von Angelika Kaps

Linden HillsUnion Verlag, Berlin 2022

400 Seiten

26,00 Euro

Von Johannes Kaiser |
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Gloria Naylors "Linden Hills" ist an Dantes "Inferno" angelehnt. Der Roman, in den 1980er-Jahren erstmals publiziert, porträtiert eine schwarze Oberschicht, deren Protagonisten viel opfern, um in einer weißen Welt Erfolg zu haben.
Es gibt sie, die Hölle auf Erden. Man muss dafür nur seine Seele an den Höchstbietenden verkaufen. Das dem Roman vorangestellte Zwiegespräch einer Großmutter mit ihrem Enkel lässt daran keinerlei Zweifel.
US-Kritiker haben 1985 den Roman von Gloria Naylor (1950-2016) als Allegorie auf Dantes "Inferno" verstanden, auf den Abstieg in die Höllenkreise. An deren Ende lauert bekanntlich der Teufel - diesmal in Gestalt des schwarzen Bestatters Luther Nedeeds. Er ist Besitzer der Siedlung "Linden Hills", einer Häuseransammlung wohlhabender Schwarzer.
Luther Nedeeds ist ein unsympathischer Machtmensch, der Misserfolge seiner reichen Pächter genießt. Sein persönliches Unglück: Seine dunkelhäutige Frau hat ihm einen weißen Sohn geboren. Das kann und will er nicht akzeptieren. Das wird ihm zum Schicksal.

Auf dem Hügel sind die billigen Wohnungen

Durch das Buch führen zwei junge, schwarze Männer, die oben auf dem Hügel in billigen Wohnungen leben. Hier herrscht Armut. Dass Willie und Lester, 18 und 19, heimliche Dichter sind, kann man als Anspielung Gloria Naylors auf Dante und seinen Dichter Vergil verstehen, der durch die Höllenkreise führt.

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Die beiden Jugendlichen verdienen sich – es ist kurz vor Weihnachten - durch kleine Jobs etwas Geld. Man heuert sie an, um im wohlhabenden Teil des Hügels zu putzen, Garagen auszuräumen, Schnee zu schippen. Dabei steigen sie den Hügel hinab, gelangen sozusagen von einem Höllenkreis zum nächsten.
Diese Art des Romanaufbaus nutzt Gloria Naylor, um ausführlich die Geschichte der Bewohner und Bewohnerinnen zu erzählen. Wir treffen in Analogie zum Höllenkreis sexueller Begierden auf die damals noch geächtete homosexuelle Liebe. Fressgier, Machtgier, Betrug – fast alle Höllenkreise Dantes finden ihre Entsprechung in Gloria Naylors Roman.
Allerdings muss man diese Anspielungen nicht verstehen, um sich von den Geschichten gefangen nehmen zu lassen. Gloria Naylor gelingt, was nur wenige gut beherrschen: einen großen Spannungsbogen aufzubauen. Man weiß relativ rasch, dass etwas Schreckliches passieren wird. Das treibt einen durch den Roman bis zu seinem bitteren Ende.

Gesellschaftsbild einer schwarzen Oberschicht

Gloria Naylor schafft ein beeindruckendes Gesellschaftsbild einer schwarzen Oberschicht. Es zeigt, gegen welche Widerstände sich gut ausgebildete Schwarze in den 70er-Jahren durchsetzen mussten, um in einer von Weißen beherrschten Welt Erfolg zu haben - und wie sie dabei ein Stück weit auch sich selbst, ihre Seele verloren.
Da der Roman aus dem Jahr 1985 stammt, liegt die BlackLivesMatter-Bewegung noch in weiter Ferne. Rassismus ist eine selbstverständliche Alltagserfahrung aller schwarzen Protagonisten des Romans, auch wenn er nur eine Nebenrolle in Form übergriffiger weißer Cops spielt.
Gloria Naylor erschließt uns mit ihrem Roman eine unbekannte schwarze Welt in all ihren Facetten. Sie entdeckt dort nicht nur viel Schmerz, Wut, Hass und Auflehnung, sondern auch Freundschaft und Liebe, Nähe und Empathie, kurzum das ganze Spektrum menschlicher Gefühle. Gloria Naylor ist eine begnadete, eloquente und wortmächtige Erzählerin. Das erinnert an ihr großes Vorbild Toni Morrison.
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