Lindner empfiehlt Verzicht auf "Verteilungsexperimente"
Christian Lindner hat bei der Debatte um den Armutsbericht der Bundesregierung vor voreiligen Schlüssen gewarnt. Die Debatte habe sich zu schnell den politischen Konsequenzen zugewandt, ohne die Ergebnisse zunächst ausreichend zu analysieren, sagte der FDP-Politiker.
Gabi Wuttke: Wie schön! Angela Merkel und ihr Vizekanzler sind sich endlich mal einig. Es soll keine Vermögenssteuer geben. Mit dem schwarz-gelben Schulterschluss steht die Bundesarbeitsministerin also wieder allein im Regen, nachdem FDP-Chef Philipp Rösler den Bambusstab gezogen und Ursula von der Leyens Satz monierte, angesichts der immer reicher werdenden Reichen in Deutschland wolle die Bundesregierung prüfen, ob für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben verstärkt Privatvermögende herangezogen werden können. Von der Leyen ist inzwischen zurückgerudert - die Fakten sind geblieben.
Auch die Staatsverschuldung steigt in jeder Minute. Am Telefon begrüße ich Christian Lindner, den Oppositionsführer der Liberalen in Nordrhein-Westfalen. Schönen guten Morgen!
Christian Lindner: Guten Morgen, Frau Wuttke.
Wuttke: Hat die Bundesarbeitsministerin so unrecht, wenn sie den sozialen Zusammenhalt in Deutschland geschwächt sieht?
Lindner: Wir brauchen eine große Sensibilität mit Blick auf die Entwicklung in unserer Gesellschaft, auch hinsichtlich von Einkommens- und Vermögensunterschieden. Die Debatte ist für mich allerdings ein Stück zu schnell schon in den Bereich politischer Konsequenzen gegangen. Noch nicht ist der Bericht endgültig analysiert. Beispielsweise ist von wissenschaftlicher Seite jetzt ja darauf hingewiesen worden, dass die kapitalisierten Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung gar nicht mit einbezogen worden sind.
Beispielsweise ist noch nicht drauf hinreichend eingegangen worden, dass in dem Bericht ja auch sehr positive Aspekte mit aufgenommen sind, etwa der sehr deutliche Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit. Also insofern: Bevor über Konsequenzen bereits diskutiert wird, sollte der Bericht ausgewertet werden und sollten auch mögliche methodische Mängel berücksichtigt werden. Und danach kann man dann über Konsequenzen diskutieren. Das ging mir jetzt ein bisschen schnell.
Wuttke: Das heißt aber, eine Vermögenssteuer lehnen Sie prinzipiell nicht ab, wenn dann alles so geprüft ist, dass Sie sagen können, ja, tatsächlich, die Schere in Deutschland geht weit auseinander, und wir wissen ja jetzt schon – das, glaube ich, ist nicht anzuzweifeln –, dass über 23 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland von Niedriglöhnen leben müssen.
Lindner: Allerdings nicht alle dauerhaft. Oft genug ist das eher auch eine Frage der relativen Betrachtung. Das, was Niedriglohn heißt, ergibt sich aus einem%anteil am Durchschnitts- beziehungsweise am Medianlohn. Das sind also auch statistische Effekte, das heißt, wenn Ihr Einkommen massiv steigt, dann werden einige andere Menschen plötzlich wieder relativ ärmer. Aber ich will die Probleme nicht kleinreden und jetzt nur mit Ihnen Statistik machen ...
Wuttke: Deshalb sagen Sie mir: Prinzipiell, sind Sie für oder gegen eine Vermögenssteuer? Können Sie sich das vorstellen unter bestimmten Bedingungen?
Lindner: Bei keiner Steuer kann man einfach mechanisch davon ausgehen, sie wird eingeführt und dann hat sie Umverteilungseffekte, die wir begrüßen, und Mehreinnahmen in der Staatskasse können verzeichnet werden, sondern es gibt ja auch negative Effekte bei jeder Steuer. Beispielsweise Wanderungsbewegungen, Menschen, die ihr Vermögen ins Ausland verlagern. Oder dass Kapital nicht zur Verfügung steht in Familiengesellschaften, in Familienunternehmen, mit denen investiert werden soll und mit denen Arbeitsplätze gesichert werden.
Also insofern – es ist immer ein zweischneidiges Schwert. Und in der Abwägung glaube ich, dass wir die sehr gute Entwicklung am Arbeitsmarkt, die wir in Deutschland haben, auch die vernünftige Wettbewerbsfähigkeit deutscher mittelständischer Unternehmen nicht gefährden dürfen. Da würde mehr verloren werden als an – vielleicht – erzielbaren Umverteilungserfolgen dann verzeichnet werden kann.
Also, insofern wäre mein Plädoyer: So lange wir eine unklare konjunkturelle Situation haben, so lange wir doch so gute Erfolge am Arbeitsmarkt behalten wollen, sollten wir auf Verteilungsexperimente verzichten, denn, Frau Wuttke, wenn wir die entscheidende – den entscheidenden Sachverhalt auch noch vielleicht einmal beleuchten – es kann doch nicht nur um relative Betrachtung und den Vergleich gehen.
So diskussionswürdig das Aufgehen der Schere ist – entscheidend muss doch sein, wie geht es der großen Zahl der Menschen in Deutschland? Haben die bessere Chancen? Und da interessiert mich zunächst die Lebenssituation jedes Einzelnen, wie die sich mit Blick auf die Vergangenheit verbessert ...
Wuttke: Nehmen wir doch aber mal, Herr Lindner, wenn ich Sie an dieser Stelle unterbrechen darf.
Lindner: ... Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit haben, ist das ein Erfolg, ja.
Wuttke: Bleiben wir doch mal bei den Fakten, die da heißen: Wir haben in Deutschland sage und schreibe 830.000 Menschen, die über eine Million ihr Eigenprivatvermögen nennen. Gefährden diese Menschen sich selbst und ihre Existenz, wenn sie zum Beispiel eine schöne erkleckliche Summe über eine Vermögenssteuer an eine Klientel geben, die auch der FDP sehr am Herzen liegt, nämlich die Jungen, die gut ausgebildet werden müssen?
Lindner: Sie setzen voraus in Ihrer Frage, dass es möglich wäre bei der Gruppe, die Sie genannt haben, aus den Privatvermögen mal eben einen signifikanten Betrag zu generieren. Die Deutsche Steuergewerkschaft stöhnt angesichts dieser Vorschläge, Frau Wuttke, weil sie eine solche Vermögenssteuer schlicht für nicht administrierbar halten.
Und die Deutsche Steuergewerkschaft, bei allem Respekt, das ist nicht eine Vorfeldorganisation der FDP. Also insofern – man muss ja einen realistischen Blick behalten. Jenseits von den Auswirkungen, die das tatsächlich aber doch haben kann auf die Entwicklung am Arbeitsmarkt. Denn so einfach ist die Trennung von Privat- und Betriebsvermögen nicht, zumal nicht im Mittelstand, wo für eine Vielzahl der Unternehmen ja noch eine Personengesellschaft die Rechtsform ist. Und dort ist, sowohl, was das Einkommen als auch das Vermögen angeht, die Abgrenzung zwischen privatem und betrieblichem Bereich nicht trivial.
Und deshalb warne ich vor Experimenten, die die Erfolge, die erzielt worden sind in der Vergangenheit, gefährden könnten. Und ich will noch einen Gedanken anschließen, noch einmal unterstreichen: Entscheidend muss sein, wie ist die Lebenssituation der Menschen, nicht relativ, also nicht im Vergleich, sondern absolut.
Wie hat sich das entwickelt in den letzten Jahren und Jahrzehnten. Und hier stelle ich fest, ja, für diejenigen, die über Vermögen verfügen, hat sich die Situation offensichtlich verbessert. Das wird auch – bei allen methodischen Mängeln – sicherlich ein Befund bleiben. Aber eben auch, ja, Langzeitarbeitslosigkeit ist zurückgegangen. Ich habe eine dritte Gruppe, um die ich mich persönlich sorge.
Wuttke: Aber Herr Lindner, für die haben wir jetzt leider, ich muss Sie unterbrechen, mit Blick auf –
Lindner: Ich mach nur einen Satz.
Wuttke: Einen Satz.
Lindner: 65 Millionen Menschen plus X sind in der Mittelschicht. Die arbeiten, stellen aber fest, sie kommen nicht vom Fleck. Und um die muss sich die Politik kümmern. Wir sprechen über Extreme – was ist mit der Mittelschicht, die sind im Status quo gefangen trotz großen Fleißes. Und das ist eine Gruppe, um die sich die Politik stärker kümmern muss.
Wuttke: Das war jetzt mehr als ein Satz von Christian Lindner, dem FDP-Chef in Nordrhein-Westfalen. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch. Wir sprechen uns sicherlich zum Thema Vermögenssteuer noch mal wieder, da bin ich sicher. Schönen Tag!
Lindner: Ich halte die Wette. Tschüss, Frau Wuttke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Auch die Staatsverschuldung steigt in jeder Minute. Am Telefon begrüße ich Christian Lindner, den Oppositionsführer der Liberalen in Nordrhein-Westfalen. Schönen guten Morgen!
Christian Lindner: Guten Morgen, Frau Wuttke.
Wuttke: Hat die Bundesarbeitsministerin so unrecht, wenn sie den sozialen Zusammenhalt in Deutschland geschwächt sieht?
Lindner: Wir brauchen eine große Sensibilität mit Blick auf die Entwicklung in unserer Gesellschaft, auch hinsichtlich von Einkommens- und Vermögensunterschieden. Die Debatte ist für mich allerdings ein Stück zu schnell schon in den Bereich politischer Konsequenzen gegangen. Noch nicht ist der Bericht endgültig analysiert. Beispielsweise ist von wissenschaftlicher Seite jetzt ja darauf hingewiesen worden, dass die kapitalisierten Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung gar nicht mit einbezogen worden sind.
Beispielsweise ist noch nicht drauf hinreichend eingegangen worden, dass in dem Bericht ja auch sehr positive Aspekte mit aufgenommen sind, etwa der sehr deutliche Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit. Also insofern: Bevor über Konsequenzen bereits diskutiert wird, sollte der Bericht ausgewertet werden und sollten auch mögliche methodische Mängel berücksichtigt werden. Und danach kann man dann über Konsequenzen diskutieren. Das ging mir jetzt ein bisschen schnell.
Wuttke: Das heißt aber, eine Vermögenssteuer lehnen Sie prinzipiell nicht ab, wenn dann alles so geprüft ist, dass Sie sagen können, ja, tatsächlich, die Schere in Deutschland geht weit auseinander, und wir wissen ja jetzt schon – das, glaube ich, ist nicht anzuzweifeln –, dass über 23 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland von Niedriglöhnen leben müssen.
Lindner: Allerdings nicht alle dauerhaft. Oft genug ist das eher auch eine Frage der relativen Betrachtung. Das, was Niedriglohn heißt, ergibt sich aus einem%anteil am Durchschnitts- beziehungsweise am Medianlohn. Das sind also auch statistische Effekte, das heißt, wenn Ihr Einkommen massiv steigt, dann werden einige andere Menschen plötzlich wieder relativ ärmer. Aber ich will die Probleme nicht kleinreden und jetzt nur mit Ihnen Statistik machen ...
Wuttke: Deshalb sagen Sie mir: Prinzipiell, sind Sie für oder gegen eine Vermögenssteuer? Können Sie sich das vorstellen unter bestimmten Bedingungen?
Lindner: Bei keiner Steuer kann man einfach mechanisch davon ausgehen, sie wird eingeführt und dann hat sie Umverteilungseffekte, die wir begrüßen, und Mehreinnahmen in der Staatskasse können verzeichnet werden, sondern es gibt ja auch negative Effekte bei jeder Steuer. Beispielsweise Wanderungsbewegungen, Menschen, die ihr Vermögen ins Ausland verlagern. Oder dass Kapital nicht zur Verfügung steht in Familiengesellschaften, in Familienunternehmen, mit denen investiert werden soll und mit denen Arbeitsplätze gesichert werden.
Also insofern – es ist immer ein zweischneidiges Schwert. Und in der Abwägung glaube ich, dass wir die sehr gute Entwicklung am Arbeitsmarkt, die wir in Deutschland haben, auch die vernünftige Wettbewerbsfähigkeit deutscher mittelständischer Unternehmen nicht gefährden dürfen. Da würde mehr verloren werden als an – vielleicht – erzielbaren Umverteilungserfolgen dann verzeichnet werden kann.
Also, insofern wäre mein Plädoyer: So lange wir eine unklare konjunkturelle Situation haben, so lange wir doch so gute Erfolge am Arbeitsmarkt behalten wollen, sollten wir auf Verteilungsexperimente verzichten, denn, Frau Wuttke, wenn wir die entscheidende – den entscheidenden Sachverhalt auch noch vielleicht einmal beleuchten – es kann doch nicht nur um relative Betrachtung und den Vergleich gehen.
So diskussionswürdig das Aufgehen der Schere ist – entscheidend muss doch sein, wie geht es der großen Zahl der Menschen in Deutschland? Haben die bessere Chancen? Und da interessiert mich zunächst die Lebenssituation jedes Einzelnen, wie die sich mit Blick auf die Vergangenheit verbessert ...
Wuttke: Nehmen wir doch aber mal, Herr Lindner, wenn ich Sie an dieser Stelle unterbrechen darf.
Lindner: ... Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit haben, ist das ein Erfolg, ja.
Wuttke: Bleiben wir doch mal bei den Fakten, die da heißen: Wir haben in Deutschland sage und schreibe 830.000 Menschen, die über eine Million ihr Eigenprivatvermögen nennen. Gefährden diese Menschen sich selbst und ihre Existenz, wenn sie zum Beispiel eine schöne erkleckliche Summe über eine Vermögenssteuer an eine Klientel geben, die auch der FDP sehr am Herzen liegt, nämlich die Jungen, die gut ausgebildet werden müssen?
Lindner: Sie setzen voraus in Ihrer Frage, dass es möglich wäre bei der Gruppe, die Sie genannt haben, aus den Privatvermögen mal eben einen signifikanten Betrag zu generieren. Die Deutsche Steuergewerkschaft stöhnt angesichts dieser Vorschläge, Frau Wuttke, weil sie eine solche Vermögenssteuer schlicht für nicht administrierbar halten.
Und die Deutsche Steuergewerkschaft, bei allem Respekt, das ist nicht eine Vorfeldorganisation der FDP. Also insofern – man muss ja einen realistischen Blick behalten. Jenseits von den Auswirkungen, die das tatsächlich aber doch haben kann auf die Entwicklung am Arbeitsmarkt. Denn so einfach ist die Trennung von Privat- und Betriebsvermögen nicht, zumal nicht im Mittelstand, wo für eine Vielzahl der Unternehmen ja noch eine Personengesellschaft die Rechtsform ist. Und dort ist, sowohl, was das Einkommen als auch das Vermögen angeht, die Abgrenzung zwischen privatem und betrieblichem Bereich nicht trivial.
Und deshalb warne ich vor Experimenten, die die Erfolge, die erzielt worden sind in der Vergangenheit, gefährden könnten. Und ich will noch einen Gedanken anschließen, noch einmal unterstreichen: Entscheidend muss sein, wie ist die Lebenssituation der Menschen, nicht relativ, also nicht im Vergleich, sondern absolut.
Wie hat sich das entwickelt in den letzten Jahren und Jahrzehnten. Und hier stelle ich fest, ja, für diejenigen, die über Vermögen verfügen, hat sich die Situation offensichtlich verbessert. Das wird auch – bei allen methodischen Mängeln – sicherlich ein Befund bleiben. Aber eben auch, ja, Langzeitarbeitslosigkeit ist zurückgegangen. Ich habe eine dritte Gruppe, um die ich mich persönlich sorge.
Wuttke: Aber Herr Lindner, für die haben wir jetzt leider, ich muss Sie unterbrechen, mit Blick auf –
Lindner: Ich mach nur einen Satz.
Wuttke: Einen Satz.
Lindner: 65 Millionen Menschen plus X sind in der Mittelschicht. Die arbeiten, stellen aber fest, sie kommen nicht vom Fleck. Und um die muss sich die Politik kümmern. Wir sprechen über Extreme – was ist mit der Mittelschicht, die sind im Status quo gefangen trotz großen Fleißes. Und das ist eine Gruppe, um die sich die Politik stärker kümmern muss.
Wuttke: Das war jetzt mehr als ein Satz von Christian Lindner, dem FDP-Chef in Nordrhein-Westfalen. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch. Wir sprechen uns sicherlich zum Thema Vermögenssteuer noch mal wieder, da bin ich sicher. Schönen Tag!
Lindner: Ich halte die Wette. Tschüss, Frau Wuttke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.