"Nicht kleckern, sondern klotzen"
Linke Parteien, speziell die SPD, hätten es bislang versäumt, die Wähler bei sozialen Themen wie Altersarmut oder Rente abzuholen, sagt IG Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban. Es komme auf Inhalte an, nicht auf durch die Medien gehypte Personen.
Liane von Billerbeck: ...The Police – und der Song war von vor 30 Jahren. Da ging es der SPD auch noch besser als heute. Warum sage ich das? Weil das Thema, über das ich jetzt sprechen möchte, virulent ist, obwohl es ein Artikel im Berliner "Tagesspiegel" war, der uns den Anlass für das heutige Gespräch lieferte. In dem haben nämlich Antje Vollmer, die einstige Präsidentin des Bundestages von Bündnis90/Die Grünen und der Historiker Peter Brandt, Sozialdemokrat und ältester Sohn von Willy Brandt, gefordert, dass, wer eine parlamentarische Mehrheit für eine linke Politik will, dem Mainstream etwas entgegensetzen muss, statt ihm nachzulaufen. Kein Wunder, die Forderung nach mehreren verlorenen Landtagswahlen für die SPD, zuletzt der in Nordrhein-Westfalen. Na, dann fragen wir doch mal nach, und zwar bei Hans-Jürgen Urban. Er ist Vorstandsmitglied der als ja doch eher links und SPD-nahe geltenden Gewerkschaft IG-Metall. Schönen guten Morgen!
Hans-Jürgen Urban: Einen schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Wir haben es ja erlebt: Es gab große Begeisterung, als Martin Schulz nominiert wurde als SPD-Kanzlerkandidat, aber wir sehen es, das war ein Strohfeuer, das da schnell verloschen ist in der SPD. Vielleicht auch deshalb so schnell, weil klar wurde, dass Schulz nur eine Angela Merkel an der Spitze des immer gleichen Politikmodells ersetzen würde, das ja seit Jahren als alternativlos gepriesen wird?
Urban: Das wäre natürlich eine Sackgasse, wenn man diese Nachricht aussenden würde. Und ich befürchte, dass wir für einen linken Aufbruch auch etwas länger brauchen als Sting für seinen Hit. In fünf Minuten wird das nicht geschehen. Wenn ich linker Aufbruch meine, dann meine ich das nicht parteipolitisch, sondern politisch-inhaltlich, und ich denke, dass wir zwei zentrale Sachen dafür brauchen: Glaubwürdigkeit und einen erkennbaren Willen zur Macht. Und ich habe den Eindruck, dass die Linke in Deutschland bei beiden Punkten bisher noch Nachholbedarf hat.
von Billerbeck: Sie ist sehr still, finde ich, wenn man das mal so sagen darf, und sie braucht natürlich auch Personal. Also, braucht die deutsche Linke so was wie Bernie Sanders oder von mir aus Jeremy Corbyn, oder ist es dann am Ende doch Sara Wagenknecht?
Urban: Die deutsche Linke könnte ruhig von den beiden Namen, die Sie genannt haben, sich einiges abschauen.
von Billerbeck: Ich habe drei genannt …
Urban: Ja, weil wir machen aber jetzt hier nicht Personenraten, sondern wir machen ja politische Inhalte. Und deswegen ist es ja schon interessant. Jetzt nenne ich noch einen Vierten, nämlich Herrn Macron. Bernie Sanders, Corbyn und Macron haben alle eines gemeinsam, trotz aller politischen Unterschiede. Sie sagen, wir sind nicht Bestandteil des Establishments. Das muss uns doch zu denken geben.
Es gibt Alternativen
Das ist doch scheinbar ein Hinweis darauf, dass es eine große Kluft gibt zwischen den politischen Entscheidern und den in Anführungsstrichen normalen Bürgerinnen und Bürger. Und ein erster Punkt, an dem die Linke ansetzen muss, ist, diese Kluft zu erkennen und sie ernst zu nehmen. Und das bedeutet meiner Auffassung nach, unserer Auffassung als Einheitsgewerkschaft nach nicht die schnelle, hektische Parteinahme für eine Partei, sondern das bedeutet ein glaubwürdiges Politikkonzept zu entwerfen, das eben zeigt, dass es Alternativen gibt.
Und natürlich gibt es die. Diese sogenannte TINA-Politik, "There is no alternative", ist eines der Grundübel für die Demokratie, weil es bei den Menschen den Eindruck vermittelt, wir können wählen, was wir wollen, es kommt doch immer die gleiche Politik raus. Und wenn die Linke es nicht schafft, ein alternatives politisches Projekt glaubwürdig darzulegen und mit Personen zu bestücken, dann werden wir aus der Defensive nicht rauskommen.
von Billerbeck: Die Autoren Vollmer und Brandt, um auf den Artikel noch mal zu kommen, den ich ja am Anfang erwähnt habe, im "Tagesspiegel", schreiben da: Parteien wie die SPD mit ihrem Kandidaten Martin Schulz müssten ihre Angst verlieren, Angela Merkel im Palast ihrer unantastbaren Selbstbezüglichkeit direkt anzugreifen. Herr Urban, wo müsste die Linke denn Merkel direkt angreifen?
Die Politik klopft sich selbst auf die Schulter
Urban: Da gibt es viele Dinge. Ich nehme mal die soziale Situation, die Fragen von Verteilungsgerechtigkeit in diesem Land. Die Politik klopft sich immer auf die Schultern und verweist auf Durchschnittszahlen des Wachstums, der Einkommensentwicklung, der Vermögensentwicklung. Aber wie hat ein kluger Mensch mal gesagt: Der Durchschnitt ist das Leichentuch der Statistik, weil er alle Besonderheiten zudeckt.
Und hinter diesen schönen Makrozahlen, hinter diesem schönen Musterschülerimage, das vonseiten der Politik vertrieben wird, verbergen sich doch ganz unterschiedliche Realitäten. Die prekäre Arbeit nimmt zu, Kinderarmut nimmt zu, die öffentliche Infrastruktur geht kaputt. Das sind alles Politikdefizite, an denen die Linke ansetzen muss. Und ich nenne ein weiteres Beispiel: Thema Rente, Thema Altersarmut. Wir haben in der Bevölkerung eine massive Angst vor Altersarmut oder vor dem Absturz des Lebensstandards.
Wenn man das links aufgreifen will, wenn man es links abholen will, dann kann man nicht kleckern, dann muss man klotzen. Und dann muss man sagen, ja, die Politik der letzten Jahre, die von der großen Koalition, von Angela Merkel, aber leider auch von Repräsentanten der Sozialdemokratie mitgetragen wurde, muss nicht in Details korrigiert werden – wir brauchen einen Pfadwechsel. Rauf mit den Renten und Armutsbekämpfung, und dann solide Finanzierungskonzepte. Das geht, und das zeigt, dass es nicht alternativlos ist.
von Billerbeck: Mit Verlaub, Herr Urban, wo sind denn die Leute in der SPD, die sich da so laut Gehör verschaffen, um wirklich eine ganz andere Politik zu machen?
Urban: Gute politische Projekte suchen sich ihre historischen Persönlichkeiten. Wir dürfen nicht immer –
von Billerbeck: Na, das ist ein Satz, klar.
Urban: Wir dürfen nicht immer zu schnell auf Einzelpersonen schauen. Sehen Sie, es ist doch so, dass Glaubwürdigkeit zumindest auch die politischen Inhalte braucht. Personen werden medial gehyped, Personen werden medial wieder heruntergeschrieben. Das hält nicht lange. Das hält nur, wenn die Persönlichkeit, wie Bernie Sanders, wie Corbyn – das sind wirklich ermutigende Persönlichkeiten – wenn die auf der einen Seite aber stehen für politische Inhalte, die glaubwürdig sind, die an den Enden, an den Sorgen der Menschen ansetzen, und die mit einem strategischen Projekt des Machterwerbs verbunden sind.
"Eigener Wille und linke Allianz schließen sich nicht aus"
Und da würde ich sagen, auch in Richtung Linke – es ist nicht meine Aufgabe, hier Parteikonstellationen zu beschreiben, aber eigenes Profil und der Wille zu einer linken Allianz schließen sich überhaupt nicht aus. Ich verstehe gar nicht, warum da immer Gegensätze aufgebaut werden. Das gehört zusammen. Aber diese linke Allianz, die muss dann auch gewollt werden, weil sonst sagen die Menschen, alles schöne Träumerei, aber umsetzbar ist das nicht. Deswegen muss das zusammenkommen, glaubwürdige Persönlichkeiten, ein anständiges Projekt und der nachweisbare und realistische Wille zur Machtoption.
von Billerbeck: Hans-Jürgen Urban war das. Ich sage jetzt nicht "Ihr Wort in Gottes Gehörgang", sondern "Ihr Wort an die Linke" – ich hoffe, da ist es angekommen. Der geschäftsführende Vorstand der IG Metall über neue linke Politikkonzepte. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Urban: Sehr gern. Ich danke Ihnen.
(Bearbeitung: mkn)