Das darf er, weil er Joachim Gauck ist
Darf sich der Bundespräsident parteipolitisch äußern? Wenn er die NPD als Spinner bezeichnet, darf er dann auch an der Linken zweifeln? Das "Wie" sei wichtig in diesem Fall, kommentiert Gudula Geuther.
Menschen, die die DDR erlebt haben und die in meinem Alter sind, die müssen sich schon ganz schön anstrengen, um das zu akzeptieren, sagt der Bundespräsident. Joachim Gauck meint die mögliche Wahl eines Politikers der Linkspartei zum Ministerpräsidenten. Und er erklärt es damit, dass er Probleme hat, in Teile der Partei Vertrauen zu entwickeln, Vertrauen, dass diese sich weit genug entfernt haben von den Vorstellungen der SED zur Unterdrückung der Menschen. Darf das ein Bundespräsident? Man könnte es sich ganz einfach machen.
Wer die NPD als Spinner bezeichnen darf, der darf auch Zweifel an der Linkspartei anmelden. Und die Sache mit den Spinnern hat immerhin vor wenigen Monaten verfassungsrichterlichen Segen erhalten. Der Vergleich zieht nicht etwa, weil die beiden Parteien vergleichbar wären. Natürlich sind sie das nicht, aber das hat für die Äußerungsbefugnisse eines Bundespräsidenten egal zu sein, solange keine der beiden Parteien verboten ist. Unerheblich ist auch, dass dem Urteil über die Spinner in der NPD erfreulicherweise mehr Menschen zustimmen dürften als dem Zweifel an der Linkspartei.
Was ein Bundespräsident sagen darf oder nicht, das entscheidet nicht die Mehrheit. Sonst stünde es schlecht um den Schutz der Mindermeinungen, und an dem – auch wenn die Meinung unappetitlich ist – zeigt sich nun mal, wie ernst sich die Demokratie nimmt. Natürlich, Gaucks Urteile über NPD und Linkspartei sind in anderer Hinsicht völlig unterschiedlich zu bewerten. Vor allem fiel der Satz über die Spinner in Zusammenhang mit Protesten gegen Asylbewerberheime, und da kann auch ein Bundespräsident konkreter Stellung beziehen als zu einer Partei allgemein.
Trotzdem: Die Verfassungsrichter haben dem Bundespräsidenten äußerst weiten Spielraum gelassen. Wer über das Wort wirken soll, der muss es auch ohne allzu viel Scheu und Zwang zu politischer Korrektheit verwenden dürfen, so die Botschaft der Richter.
Aber: All das hilft hier nur bedingt weiter. Schließlich kann, was rechtlich erlaubt ist, politisch falsch sein. Und wer das mit dem Wort und der Wirkung ernst nimmt, tut auch gut daran, solche Äußerungen kritisch zu hinterfragen, sonst hat das Wort ja keinen Sinn. Also – darf ein Bundespräsident Zweifel anmelden an einer Partei, die in einem Bundesland die stärkste Fraktion geworden ist? Das ist eine völlig andere Frage, aber die Antwort ist weiterhin: Er darf. Zumindest Joachim Gauck darf das, zumindest so, wie geschehen. (Hinweis der Redaktion: Hier ist unserer Kommentatorin ein Fehler unterlaufen. In Thüringen ist die CDU stärkste Fraktion geworden.)
Das "Wie" ist wichtig in diesem Fall. Denn auch ein Joachim Gauck würde die dem Bundespräsidenten gesetzten Grenzen überschreiten, wenn er sich gegen einen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow von der Linkspartei aussprechen würde - und damit gegen das, was der Wählerwille in diesem Fall vorgibt, oder gegen den demokratischen Prozess der Regierungsbildung, der danach kommt. Das hat Gauck nicht getan.
Was er sagt ist grob übersetzt: Ich akzeptiere das, aber es muss mir nicht gefallen. Und das darf er, weil er Joachim Gauck ist. Er ist ein Präsident, der auch sonst gern seine Meinung sagt, der auch schon dafür gescholten worden ist, vielfach gerade von der Linkspartei – für seinen Ruf nach größerem Engagement Deutschlands in der Welt, im äußersten Fall auch militärisch, für seine Freude an der Marktwirtschaft und seine Haltung zu Russland.
All das muss einem nicht gefallen, aber es zeigt: Hier ist ein Präsident, der Debatten anstoßen will, indem er Thesen vorlegt. Das ist nicht die einzige Möglichkeit, das Amt des Bundespräsidenten auszufüllen, das geht auch neutraler. Aber es ist eine – und gar keine schlechte – Möglichkeit. Es dürfte das bessere Mittel gegen Politikverdrossenheit und für den gemeinsamen politischen Diskurs sein als vornehme Zurückhaltung und Integration durch Schweigsamkeit.
Freilich sollte auch ein meinungsstarker Bundespräsident nicht einfach einzelnen Parteien nach seinem Gutdünken Noten erteilen. Überparteilichkeit ist Grundbedingung für die Aufgabe, einend nach innen und nach außen zu wirken, und dafür ist der Präsident nun mal da. Aber da kommt wieder die Person Joachim Gauck ins Spiel.
Mit seiner Biografie vor und nach der Wende steht er für eine Idee der Freiheit, die er eben gerade aus der Abgrenzung zur DDR zieht. Dafür wiederum ist er gewählt. Was er kritisiert, ist nicht eine simple politische Ausrichtung weiter rechts oder links, es ist die Haltung zu eben dieser DDR. Das ist nicht einfach Parteipolitik, das ist eine tiefer gehende Diskussion, die auch die Linke immer noch schmerzhaft mit sich selbst ausmacht, die die aktuelle Debatte in Thüringen bestimmt hat und die im Übrigen auch nicht nur die Linkspartei betrifft.
Aber die "Teile der Partei", die Gauck anspricht, gibt es wirklich. Die Debatte über sie gibt es gerade in der Partei selbst, ablesbar auch an den Verrenkungen rund um den Begriff des Unrechtsstaates. Wenn gerade ein Joachim Gauck das nicht mehr sagen dürfte, müsste er auf das verzichten, was seine Amtsführung ausmacht: Authentizität. Und die hat die Eigenschaft, dass man sich an ihr reiben kann.