Linken-Personaldiskussion "überflüssig wie ein Kropf"

Bodo Ramelow im Gespräch mit Korbinian Frenzel und Matthias Thiel |
Der Fraktionsvorsitzende der Linken in Thüringen, Bodo Ramelow, will über den Parteivorsitz erst diskutieren, wenn der Erfurter Parteitag vorbei ist. Zuerst müsse die Programmdebatte zu Ende geführt werden. Er kritisierte Gregor Gysi, weil dieser für den Fall einer "Notsituation" Oskar Lafontaine als Bundesvorsitzenden ins Spiel gebracht hatte.
Deutschlandradio Kultur: Unser Gast ist heute Bodo Ramelow, der Fraktionsvorsitzende der Linken im Landtag von Thüringen. Guten Tag, Herr Ramelow.

Bodo Ramelow: Einen wunderschönen Tag.

Deutschlandradio Kultur: Man hört derzeit wenig von der Linken, zumindest wenig Inhaltliches. Was man hört, ist in der Regel Streit, Streit aus der Partei, die ja erst vor wenigen Jahren so fulminant das deutsche Parteiensystem um eine feste fünfte Komponente erweitert hat, die Linke, die Partei, die aber jetzt sichtbar schwächelt. Jüngste Beispiele: die Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Die Westausdehnung scheint gestoppt. Und auch im Osten bleibt nicht viel mehr als Opposition. In Sachsen-Anhalt hat die SPD der Linken einmal mehr die kalte Schulter gezeigt.

Gleichzeitig leistet sich die Linke eine neue Debatte um Programm und Personal. In der Kritik stehen vor allem die beiden Vorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst. Viele trauen ihm nicht zu, was Oskar Lafontaine und Lothar Bisky noch schafften, eine äußerst uneinheitliche Partei zusammenzuhalten. Und wahrscheinlich gibt es deshalb den Ruf, Lafontaine möge doch bitte zurückkehren an die Parteispitze.

Wie weiter mit der Linken, Bodo Ramelow? Muss Oskar Lafontaine zurückkehren an die Spitze der Partei, damit es wieder aufwärts geht?

Bodo Ramelow: Da Oskar Lafontaine ja überhaupt nie weg war, muss er auch nicht zurückkehren, sondern es ist so, dass wir als Fraktionsvorsitzende – er ist ja der Fraktionsvorsitzende im Saarland und ich bin der Fraktionsvorsitzende in Thüringen – uns in die Politik unserer Partei auch einmischen. Und die Debatte um eine Rückkehr an eine Spitze, bei der das Wort "in einem Notfall" gefallen ist, ist so überflüssig wie ein Kropf. Das beschädigt auch das Ansehen der jetzigen Amtsinhaber, aber es schadet auch uns in der Öffentlichkeit.

Deutschlandradio Kultur: Wir verstehen Sie richtig, Oskar Lafontaine soll und muss nicht mehr Bundesvorsitzender der Linken werden?

Bodo Ramelow: Das werden wir diskutieren, wenn wir den Erfurter Parteitag hinter und gebracht haben. Denn in einem Punkt würde ich der Eingangsmoderation ein bisschen widersprechen wollen. Wir müssen dringend unsere Programmdebatte zu Ende führen. Deswegen ist die Programmdiskussion sogar dringend notwendig. Und wir sind mitten drin in der Programmdiskussion.

Allein zum Stichtag 31.3. sind rund 300 Wortmeldungen zur Programmdebatte abgegeben worden, die in der Redaktionskommission jetzt eingearbeitet werden müssen. Das heißt, wir müssen für uns klar haben: Was wollen wir als gesamtdeutsche Linke für ein Profil haben? Und wie wollen wir in der Gesellschaft wirken.

Deutschlandradio Kultur: Herr Ramelow, über das Programm und über das Profil reden wir gleich. Bleiben wir noch kurz bei der Personaldiskussion, die durch Gregor Gysi befeuert worden ist. "In der Not" soll dann Herr Lafontaine zurückkommen. – War das wirklich so ein schwerer Fehler?

Bodo Ramelow: Die Diskussion war überflüssig wie ein Kropf. Weil, wenn es eine Notsituation gäbe, würden wir zusammentreten und sehr schnell entscheiden können. Ich habe uns immer wieder in kritischen Phasen erlebt. Und ich habe immer wieder erlebt, dass wir handlungsfähig waren. Jedes Mal, wenn unser Totenglöckchen öffentlich geläutet wird, sind wir hinterher stärker. Deswegen sehe ich das im Moment auch alles sehr unaufgeregt. Ich würde mir nur wünschen, wir würden uns jetzt nicht weiter über Personal auseinandersetzen.

Wir haben zwei Vorsitzende. Wir wollten die Doppelspitze. Und wir müssen jetzt die Programmdebatte zu Ende führen. Dann ist für das Frühjahr 2012 der nächste Parteitag anberaumt. Und damit ist dann auch der Fahrplan klar, wann wir die Strukturdiskussion führen und wann wir die Personaldiskussion führen.

Deutschlandradio Kultur: Noch einmal, damit wir es wirklich verstehen: Die Linke fährt mit Gesine Lötzsch und Klaus Ernst an der Spitze gut? Da braucht es keine Veränderung?

Bodo Ramelow: Derzeit brauchen wir eine Programmdiskussion. Und die müssen wir zu Ende führen.

Deutschlandradio Kultur: Aber das sagt nichts über die Personen aus.

Bodo Ramelow: Ja, aber ich weiß gar nicht, warum wir über Personen debattieren sollten, wenn wir uns im Moment in der Vorbereitung zu einem einberufenen Parteitag befinden.

Deutschlandradio Kultur: Aber erklären Sie uns doch mal, warum Gregor Gysi, der ja kein Niemand ist in Ihrer Partei, auf diese Idee gekommen ist, dass man eine solche Debatte führen muss. Das kommt ja nicht von ungefähr.

Bodo Ramelow: Darf ich das jetzt unter uns mal beantworten? Ich meine, es hören vielleicht nicht so viele zu, wenn ich sage: Fragen Sie das doch bitte mal Gregor Gysi!

Deutschlandradio Kultur: Aber, Herr Ramelow, die Erfolge bleiben aus. Die Partei tritt auf der Stelle. Die Westausdehnung ist stehen geblieben, im Osten keine Regierungsbeteiligung und man ist zerstritten. Müssen Klaus Ernst und Gesine Lötzsch jetzt nicht zurücktreten, nämlich die Konsequenzen ziehen?

Bodo Ramelow: Gemessen an dem Projekt, an dem wir gestartet sind, 2002, als die PDS aus dem Bundestag geflogen ist und nur noch mit zwei Abgeordneten repräsentiert war, haben wir derzeit eine Situation, bei der wir nach wie vor zwischen 8 und 10 Prozent im bundesweiten Maßstab lieben. Die FDP liegt derzeit bei 3 bis 4 Prozent.

Also, die Frage, sind wir wirklich so schlecht aufgestellt oder auf welchem Weg bewegen wir uns, kann ich nur so beantworten, dass ich sage: Wir sind mitten drin in Wahlkämpfen. Wir haben einige Wahlkämpfe ganz gut hingekriegt. Und wir haben es in zwei Bundesländern nicht geschafft, die 5-Prozenthürde zu überspringen.

Wir haben aber auch keine Niederlage erlebt, indem wir aus Landtagen rausgeflogen sind. Und in Hessen haben wir bei der Kommunalwahl gleichzeitig zugelegt. Und bei der Volksabstimmung über die Schuldenbremse in Hessen haben immerhin 30 Prozent der Bevölkerung mit Nein gestimmt. Wir waren die einzige Partei, die zu Nein aufgerufen hat. Also, so ganz schlecht und ohne Wirkung können wir nicht sein.

Und ob die Frage einer Regierungsbeteiligung durch uns beantwortet werden kann oder durch einen anderen Partner, ist eine Diskussion, die auch die SPD führen muss. Nicht nur wir sind in der Falle, wenn am Schluss die SPD überall zur dritten Kraft wird und sich anschließend als Dauerpartner im Osten der CDU an den Hals wirft und damit im Bundesrat keine wirkliche Veränderung sozialer Politik erreicht. – Also, insoweit ist das Parteiensystem in Gänze in Bewegung.

Deutschlandradio Kultur: Na ja, Herr Ramelow, wenn man sich an der FDP derzeit misst, dann ist es wahrscheinlich wirklich nicht so schwierig.

Bodo Ramelow: Aber sie ist Regierungspartei und sie ist vor Kurzem noch mit 16 Prozent Regierungspartei geworden.

Deutschlandradio Kultur: Aber Sie sind keine. Das heißt, Sie müssten es ja eigentlich noch einfacher haben. Sie könnten jetzt gerade wunderbar opponieren, aber man kriegt kaum etwas von Ihnen mit. Und was man mitkriegt ist, dass Sie im Umgang miteinander, untereinander in Ihrer Partei einen ziemlich rauen Stil an den Tag gelegt haben. Ich zitiere mal Ihren linken Vorsitzenden, den Landesvorsitzenden in Sachsen-Anhalt, der das "pampig" nennt, wie Sie gerade miteinander umgehen. Hat er da Recht? Ist am Stil der Auseinandersetzung etwas nicht in Ordnung innerhalb der Linken?

Bodo Ramelow: Ich würde mir wünschen, wenn Parteivorstandsmitglieder ihre Diskussion mal in geschlossenen Räumen als Parteivorstandsmitglieder miteinander austragen würden. Ich glaube, es hilft uns nicht, wenn man über jedes Stöckchen springt, das hingehalten wird. Und ich weiß auch nicht, warum mein Name ins Rennen geschickt worden ist zu einer Zeit, wo mit mir kein Mensch geredet hat.

Aber lassen Sie das mal sozusagen jetzt auf sich wirken, denn in der Zwischenzeit sind ein paar Sachen insgesamt in Deutschland zu klären: Gesetzlicher Mindestlohn, die Frage von Kinderarmut, das sind alles Themen, die...

Deutschlandradio Kultur: Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche – eine Nachfrage nur: Sie hat ja der sächsische Landesvorsitzende Rico Gebhardt ins Gespräch gebracht. Sie sagen selber, Herr Ramelow, die einzelnen Bundesländer müssen jetzt eine stärkere Rolle in Ihrer Partei spielen. Wäre es nicht wirklich Zeit für einen Vorsitzenden Bodo Ramelow?

Bodo Ramelow: Aber das ist doch jetzt wieder eine Personaldebatte. Und ich habe doch eben deutlich gemacht, zuerst müssen wir den Programmparteitag abschließen. Ich war der Parteibildungsbeauftragte. Ich habe damals schon gesagt: Wenn die Verhandlungsphasen rum sind, brauchen wir einen gemeinsamen Programmkonvent, bei dem wir auch miteinander streiten, debattieren, abwägen, alles mal durchdenken und dann deutlich machen, was wollen wir für eine Partei in Deutschland sein.

Wir dürfen keine zweite SPD sein. Wir dürfen nicht den Versuch unternehmen, uns immer nur am Abstand zu anderen Parteien zu messen, sondern wir müssen Angebote für die Gesellschaft machen, die uns selber identifizierbar macht.

Deswegen glaube ich, dass wir tatsächlich in der Parteiführung – in Gänze und nicht nur die beiden Personen der Vorsitzenden – im Moment mehr Kraft brauchen, uns auf diese programmatische Arbeit zu konzentrieren und dann auch auf die strategische. Deswegen habe ich ganz deutlich gesagt: Die Bundesländer müssen mehr in der Parteiführung eingebunden sein. Und die Bundestagsfraktion möge sich bitte mal aus dem Alltagsgeschäft unserer Parteiführung raushalten. Das ist mir zu überlagert durch Diskussionen aus der Bundestagsfraktion. – Den Vorschlag habe ich gemacht. Da geht's um eine strukturelle Trennung.

Und um meine Person geht's derzeit überhaupt nicht, weil, ich bin im Moment der Oppositionsführer im Thüringer Landtag. Ich habe ein Wahlergebnis in Thüringen erreicht mit 27,4 Prozent. Das ist immer noch das höchste Wahlergebnis unserer Partei in ganz Deutschland. Und ich würde ganz gerne diesen Wettbewerb wieder mit anderen Bundesländern machen, ob das Wahlergebnis von 27,4 Prozent durch ein anderes Bundesland getoppt werden kann.

Deutschlandradio Kultur: Na gut, dann wollen wir Sie mal aus der Personaldebatte kurz entlassen und reden gerne mal über die Programmatik. Aber ich fürchte, auch da gibt Ihre Partei vielleicht nicht das Bild ab, das Sie sich wünschen.

Wir haben uns im Vorfeld gefragt, mit wie viel Parteien innerhalb der Linken man eigentlich im Moment rechnen muss. Wie viele Linke gibt es im Moment? – Eine pragmatische Ostlinke, eine Radikalopposition im Westen?

Bodo Ramelow: Ja, und zu was zählen Sie mich dann?

Deutschlandradio Kultur: Ich würde Sie zu den Pragmatikern aus dem Osten zählen.

Bodo Ramelow: Ja, aber ich bin nun jemand aus dem Westen und ich bin ein fanatischer Anhänger der Vision eines demokratischen Sozialismus.

Deutschlandradio Kultur: Aber Sie sind wahrscheinlich rechtzeitig rüber gekommen, sodass Sie sich rechtzeitig aus den dogmatischen Westlandesverbänden der PDS oder dann auch später der WASG befreien konnten.

Bodo Ramelow: Also, ich kann Ihnen einfach sagen, dass ich niemals Parteimitglied war. Ich bin ja 99 erst in Thüringen zur Partei gestoßen, als der völkerrechtswidrige Krieg in Jugoslawien begann. Und da habe ich mich entschieden, einer Partei mein Vertrauen zu schenken. Aber ich habe damals gesagt, ich trete der PDS bei, wenn aus ihr damit die Kräfte gestärkt werden, die eine gesamtdeutsche Linkspartei auf den Weg bringen. Und das ist mir ja einige Zeit später gelungen, diesen Prozess in Gang zu setzen.

Deutschlandradio Kultur: Ja. Nur wie viel fanatische Anhänger haben Sie denn als fanatischer Anhänger dieser Vision vom demokratischen ...

Bodo Ramelow: Derzeit sind wir 70.000 Mitglieder. Und ich habe den Eindruck, dass wir nach wie vor, auch wenn es in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz jetzt nicht so gut gelaufen ist, trotzdem in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz eine gute Aufbauarbeit nach wie vor haben.

Deutschlandradio Kultur: Dann schauen wir doch mal auf zwei Landesverbände, die jetzt auch Wahlkämpfe bestehen müssen, nämlich erstmal Bremen und dann Mecklenburg-Vorpommern. Wenn ich nach Bremen schaue, dann höre ich die Vorsitzende dort, die sagt: Es gibt mit SPD und Grünen eigentlich sowieso keine Verhandlungsbasis. Da setzt man klar auf Opposition. Und wenn ich dann Ihre Genossen aus Mecklenburg-Vorpommern höre, die sagen, wir wollen hier konstruktiv das Land mit regieren, Mecklenburg-Vorpommern. – Wie passt das zusammen vom Gesamtbild her? Ist das eine Partei?

Bodo Ramelow: Das passt hervorragend zusammen. Weil, in Westdeutschland sind wir eine strukturelle Spaltenpartei. Dort sind wir eine Gegenkraft, Gegenkraft gegen eine Politik, die die Menschen verbittert hat. In Mecklenburg-Vorpommern sind wir regionale Volkspartei und haben sehr erfolgreich einige Jahre dieses Land mit regiert. In Thüringen würden wir auch mit regieren. Und unsere Politik hier im Alltag ist so, dass wir den Menschen deutlich machen, welches Angebot können wir gestaltend ihnen auf dem Weg zeigen.

Und gleichzeitig ist es aber in Hessen so, dass wir oppositionelle Gegenkraft sein müssen. Beides ist gesamtdeutsch notwendig. Ich sehe das als keinen Widerspruch an.

Deutschlandradio Kultur: Diese Ruhe, die Sie an den Tag legen, haben nicht alle. Gerade Ihre, ich nenne sie jetzt mal wieder die pragmatischen Ostkollegen, gucken da doch mit Sorge. Ich habe hier ein Zitat von Ihrem Landesvorsitzenden in Schwerin, in Mecklenburg-Vorpommern, der fragt: "Sind wir Sprecher außerparlamentarischer Gruppen oder liefern wir ein mehrheitsfähiges Politikangebot?" Der also genau aufzeigt: Wir können nicht beides spielen. – Und Sie sagen, wir können beides spielen.

Bodo Ramelow: Ich verstehe meinen Kollegen Bockhahn da auch nicht. Ich sage: Wir müssen beides spielen. Wir müssen außerparlamentarisches Sprachrohr mit sein. Wir müssen außerparlamentarische Auseinandersetzungen transportieren, sodass sie im Parlament auch ankommen. Wir müssen aber gleichzeitig auch ein Bildungsangebot, zum Beispiel ein Bildungsprogramm auf den Weg bringen, aus dem deutlich wird, längeres gemeinsames Lernen, Integrieren statt Selektieren, solche Prozesse gibt es nur mit uns, weil überall da, wo die SPD das alleine versucht oder mit der CDU versucht, kommt am Schluss Stillstand raus.

Also, was in Sachsen-Anhalt gerade passiert ist, ohne einen politischen Versuch, eine Aufbruchstimmung in Sachsen-Anhalt zu bekommen, einfach unisono als dritte Kraft SPD mit der CDU jetzt weiterzumachen wie bisher, das halte ich einfach für Politikverweigerung.

Deutschlandradio Kultur: So ein bisschen habe ich den Eindruck, dass Sie programmatisch über die Maximalforderungen, die Sie auch schon genannt haben, gar nicht so richtig hinauskommen – Mindestlohn für alle, Hartz-IV-Sätze jenseits von 400 Euro, raus aus der NATO, weg mit dem Bundesnachrichtendienst usw. usw. Sind das wirklich die mehrheitsfähigen Angebote für diese Zeit jetzt?

Bodo Ramelow: Die Frage ist: Was meinen Sie mit mehrheitsfähig? Wenn wir über "Weg mit Hartz IV", über die Mehrheit der Hartz-IV-Betroffenen reden, sind wir absolut mehrheitsfähig. Wenn wir natürlich mit denen eine Mehrheit abbilden wollten, die gleichzeitig den Neoliberalismus weiter fröhliche Urstände feiern lassen wollten, da sind wir nicht mehrheitsfähig.

Wenn wir heute darüber reden, wie man das Bankensystem regulieren müsste, dann müssen wir reden über den Stresstest, der den Banken gerade bevorsteht. Dann müssen wir reden darüber, wie die Hessische Landesbank jetzt gesichert wird und nicht hops geht. Da müssen wir darüber reden, wie wir mit einer regional verankerten Sparkassengruppe auch kleinen und mittelständischen Betrieben mit Krediten helfen, sodass Wirtschaft auch für kleinere und mittlere Betriebe möglich ist.

Das sind die Dinge, bei denen wir eben gleichzeitig eben auch Prozesse entwickeln müssen, bei denen ein Mensch das Gefühl hat, mit dieser Partei verbindet sich ein Aufbruch in der Gesellschaft von links.

Deutschlandradio Kultur: Ich komme noch mal auf das Stichwort Mehrheitsfähigkeit zurück. Was wir auf Bundesebene sehen können, aber auch in vielen Bundesländern, ist, dass sich die SPD und die Grünen offenbar darauf verständigt haben, das Spiel ohne Sie zu machen. Sie sind wieder eng miteinander verbandelt, aber einer soll eben nicht dazugehören:Das ist die Linke. Und wir haben es gesehen, diese Strategie geht bei Wahlen zumindest derzeit auf.

Muss sich die Linke da bewegen in dieser Situation, wo Sie merken, die kalte Schulter wird Ihnen von Rot-Grün dauerhaft gezeigt?

Bodo Ramelow: Die Frage ist, ob wir eine Ménge à Trois als das Ziel tatsächlich haben. Die Frage, was ein verfestigtes Fünfparteiensystem für Deutschland insgesamt ausmacht, ist – glaube ich – noch nicht von allen wirklich verstanden worden. Von daher kann es unterschiedlichste Konstellationen geben. Was mich im Moment sehr kalt lässt, ist tatsächlich das, was da an rot-grüner Bewegung in Gang kommt, weil, das muss den Tauglichkeitstest erst absolvieren.

Die Grünen schaffen es derzeit, mit einem unglaublichen Schwung überall durchzustarten, weil die Menschen – in Westdeutschland am meisten – sehr große Angst vor dem Atomthema haben. Das beflügelt richtig die Grünen, weil das das Urthema der Grünen ist. So sind die Grünen entstanden. Das ist ihre Kernkompetenz.

Aber ob anschließend der neue Ministerpräsident von Baden-Württemberg eine Lösung hinkriegt, was mit Stuttgart21 passiert, da habe ich meine Zweifel. Wenn die der Kompromiss zwischen dem Kopfbahnhof und dem Tiefbahnhof dann mit dem SPD-Partner sein soll, da habe ich doch große Bedenken. Und die Frage, wenn er EnBW, also die dortige Energieversorgungsgesellschaft, die Mappus für viel zu viel Geld gekauft hat, wenn das eine rot-grüne oder in dem Fall grün-rote Landesregierung alles bezahlen muss, dann bin ich gespannt, wie der Haushalt dort aussieht.

Von daher glaube ich, dass der Tauglichkeitstest dieser neuen rot-grünen oder grün-roten Bewegung erst noch kommt.

Deutschlandradio Kultur: Wäre es denn in Berlin denkbar, dass Sie mit Grün die Regierende Bürgermeisterin stellen würden?

Bodo Ramelow: Denkbar ist für mich alles. Für mich ist es denkbar, dass demokratische Parteien in einem Parlament, nach Inhalten gegliedert, Mehrheitsverhältnisse auf den Weg bringen müssen. Insoweit wäre es viel wichtiger, inhaltliche Schnittmengen erst mal anzugucken und zu beleuchten. Und wenn die inhaltlichen Schnittstellen da wären, dass man mit anderen Parteien – unabhängig, wie deren Programmatik ist, aber in der Umsetzung dessen, was man landespolitisch will -, wäre ich jederzeit bereit, mit unterschiedlichsten Fraktionen oder auch mit wechselnden Mehrheiten zu arbeiten.

Insoweit finde ich das, was Frau Kraft in Nordrhein-Westfalen zurzeit macht, einen der spannendsten Prozesse. Und die Frage ist, wird das gemeinsam durchgehalten? Wird das bis zum nächsten Haushalt halten können? Ist man gewillt, tatsächlich mutig neue Politik zu machen? – Dann hätten wir mal eine neue Entwicklung in Deutschland. Wenn im größten Bundesland eine Minderheitsregierung bis zum Schluss durchhalten würde, wäre es ein richtig neues Kapitel.

Und wenn meine Partei dabei tatsächlich so viel Erfahrungen sammelt, wie sie zurzeit an guter Arbeit dort im Landtag mit absichern hilft, dann wird deutlich, was im Bundesrat für Mehrheiten möglich wären.

Deutschlandradio Kultur: Herr Ramelow, kommen wir zu einem Thema, was nicht unbedingt Markenkern Ihrer Partei ist, die Atom- und Energiepolitik. Die Linke hat bisher kein eigenes Ausstiegskonzept aufgestellt. Sie verlangen nur einen unverzüglichen und unumkehrbaren Atomausstieg. Ist das nicht ein bisschen zu wenig nach Fukushima?

Bodo Ramelow: Ich bedauere, dass Ihnen das nie präsent vermittelt worden ist, dass wir das Konzept haben.

Deutschlandradio Kultur: Liegt das jetzt am Rezipienten oder liegt das auch an Ihnen?

Bodo Ramelow: Nein, nein, das liegt an uns. Da muss ich sagen, das ist ein Problem von uns selber, dass wir ein hervorragendes Konzept haben, dass wir ein Konzept haben, das landespolitisch von dem dortigen Landesminister, nämlich Prof. Methling, in Mecklenburg-Vorpommern auf den Weg gebracht worden ist, nämlich der Umstieg zur regenerativen Energie. Mecklenburg-Vorpommern ist zurzeit das Land mit dem höchsten Anteil von regenerativer Energie, die aus Eigenproduktion kommt. Das ist die Handschrift von einem Minister, der von unserer Partei kam.

Und wir selber als Gesamtpartei haben es nicht geschafft, es als gesamtdeutsches Thema weiterzuentwickeln. Ich habe bei Methling abgeschrieben, habe das Landesprogramm von Mecklenburg-Vorpommern in Thüringen zum zentralen Thema der Landtagswahl gemacht. Und bei uns gehört es zu einem Markenkern, dass wir sagen: regenerativ, dezentral und regional, die Energiekreisläufe neu zu organisieren.

Deutschlandradio Kultur: Auf Landesebene.

Bodo Ramelow: Das muss auf Landesebene geschehen, damit ein Atomausstieg dauerhaft ersetzt wird durch eine andere Architektur. Wir müssen weg von den Großkraftwerken. Wir müssen hin zu einer Fähigkeit, viele, viele kleine Kraftwerke nebeneinander laufen lassen zu können. Und das zentrale Thema dabei ist: Wem gehört das Netz und wer kontrolliert das Netz. Und da müssen wir tatsächlich Mehrheitsverhältnisse und Machtfragen in der Gesellschaft stellen. Einer der Gründe, warum wir sagen, das Stromnetz muss unter öffentliche Kontrolle.

Deutschlandradio Kultur: Aber können Sie mir gerade dabei mal sagen, worin Sie sich dann von den Grünen unterscheiden?

Bodo Ramelow: Die Grünen sagen, dass man über eine bestimmte Form von Solartechnik und Windkraft eine Komponente mit reinschafft, die dann die Atomenergie ablösen kann. Wir sagen, wir wollen raus aus der ganzen Makrotechnologie.

Deutschlandradio Kultur: Das würden die Grünen ganz genauso sagen.

Bodo Ramelow: Dann hören Sie da was anderes wie ich es immer höre. Ich erlebe die Diskussion mit den Grünen, die ihre Thematik immer nur festmachen an dem Fahrplan des Atomausstiegs bis 2017, das ist ihr neuester Vorstandsbeschluss. Und die Frage, die wir stellen müssten, ist: Wie kriegen wir das Thema Einsparkraftwerk und wie kriegen wir das Thema virtuelles Kraftwerk, also eine neue Form von Netzsteuerung, auf den Weg? Und wie wird die Machtfrage zu den vier großen Stromkonzernen beantwortet, zur Strompreisregulierung, also zur Rücküberführung der Strompreiskontrolle? Die ist unter Rot-Grün nämlich abgeschafft worden. Da waren die Grünen mit an der Regierung und hatten den entsprechenden Minister und hatten überhaupt kein Problem, da die Liberalisierung auf den Weg zu bringen.

Deutschlandradio Kultur: Bundeskanzlerin Merkel hat sich gestern ja mit den Ministerpräsidenten der Länder geeinigt. Es soll ein neues Atomgesetz mit kürzeren Restlaufzeiten geben. Der genaue Zeitplan ist noch umstritten. Fragen wir doch mal Sie, fragen wir die Linke: Wann steigen wir aus der Atomkraft aus? Wann sollen wir aussteigen? Wann können wir aussteigen?

Bodo Ramelow: Der ursprüngliche Vertrag, der unter Rot-Grün gemacht wurde, war 2020. Damals haben wir gesagt, es geht bis 2017 oder 2018 wäre es möglich, wenn die Komponenten entsprechend umgeschaltet werden. Jetzt ist die Frage, wie man den Prozess dauerhaft und unumkehrbar macht. Da ist der erste Schritt.

Und da vermisse ich von Frau Merkel jede klare Aussage, wie man mit einer gesetzlichen Grundlage die sieben Kraftwerke dauerhaft abschaltet, wie man Krümmel dauerhaft abschaltet. Da drückt sich Frau Merkel gänzlich davor, sondern lässt das unter Moratorium laufen – mit dem Ergebnis, dass da eine Schadenersatzpflicht entsteht, die für jedes dieser abgeschalteten Kraftwerke eine Million Euro am Tag Schadenersatz nach sich ziehen kann und nach sich ziehen wird. Die erste Klage ist ja schon da.

Das heißt, der Steuerzahler bezahlt dieses ganze Rumgeeiere von Frau Merkel noch mal extra. Und damit wird Atomstrom für uns alle Steuerzahler unglaublich teurer.

Das Zweite ist die Endlagerung. Dazu gibt es keine Aussagen, wie jetzt das Endlagerkonzept sein soll und wie die gesetzliche Grundlage ist. Und da ist das Bespiel der schwach und mittel strahlenden Dinge, die in Asse noch drin liegen. Die Cäsiumwerte sind extrem gestiegen, um das 24-Fache des Zulässigen, wenn ich das richtig gehört habe, also eine erschreckende Entwicklung, dass dort das gesamte Material noch rausgeholt werden muss. Man spricht von einem Milliardenkostenaufwand, der dort betrieben werden muss, den wieder der Steuerzahler bezahlt.

Das heißt: Atomkraft, die angeblich billig ist, entpuppt sich als unglaublich teuer. Und da wäre ein Entwicklungspfad begleitend jetzt notwendig, dass wir nicht nur aus der Atomkraft aussteigen, sondern dass wir das dezentrale regionale Konzept in den Mittelpunkt stellen. Und ich sage es noch mal: Wir brauchen ein anderes Leitungsmanagement.

Deutschlandradio Kultur: Die Frage bleibt: Wann steigen wir aus? Die AKW-Restlaufzeiten sind noch völlig offen und absolut umstritten. Wann soll denn Ihrer Meinung nach das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet werden?

Bodo Ramelow: Ich will erst mal den Einstieg in den Ausstieg, damit das unumkehrbar ist. Und dann will ich wissen, ob an die bisherigen Großkraftwerke einfach andere Großkraftwerke treten oder ob in Zukunft Offshore-Strom in riesigen Mengen durch Deutschland transportiert wird, bei dem dann 3.600 km Höchstspannungsleitungen in Deutschland neu gebaut werden, die dann wieder der Endverbraucher alle bezahlen muss. Die Landschaft wird vollgestellt mit einer gigantischen Leitungsmenge, die man sich – glaube ich – noch gar nicht richtig vorstellen kann.

Deutschlandradio Kultur: Darf ich Sie gerade noch mal kurz auf die Realität auch der Regierungsbeteiligung von Linken zurückholen? Wenn ich mich recht entsinne und erinnere, hier in Berlin, wo die Linke an der Regierung beteiligt ist, hat Ihre Partei sich mit dafür ausgesprochen, ein neues Kohlekraftwerk zu bauen in Lichtenberg, was dann letztendlich verhindert wurde. – Ist das linke Energiepolitik?

Bodo Ramelow: Darf ich einfach darauf hinweisen, dass es die Grünen in Hamburg waren, die das Kohlekraftwerk in Hamburg mitgetragen haben? Die Makrotechnologie einfach durch eine andere Makrotechnologie zu ersetzen, ist der Fehler. Deswegen hilft es auch nicht, wenn aus der einen ein Kraftwerk rausgenommen wird und stattdessen dann ein Kohle- oder ein Großkraftwerk anderer energetischer Trägerschaft hingestellt wird oder eben riesige Offshore-Mengen an Strom aus der Nord- oder Ostsee quer durch Deutschland transportiert werden.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, da hat die Linke auch gelernt in den letzten ein, zwei Jahren?

Bodo Ramelow: Ich denke, dass wir alle dazugelernt haben. Und ich hoffe, dass nach Fukushima alle in Deutschland dazulernen, dass wir den Ausstieg als Einstieg in eine völlig andere energetische Architektur nutzen. Das heißt, jedes Haus ein Kraftwerk, überall, wo Strom verbraucht wird, auch Strom zu produzieren, überall, wo Wärme gebraucht wird, Wärme nur noch zu produzieren, wenn gleichzeitig dabei Strom produziert wird.

Technisch ist alles vorhanden. Die TU Ilmenau in Thüringen hat die ganzen Dinge dazu entwickelt. Smart Metering ist heute in europäischen Nachbarländern das Normalste der Welt. Nur in Deutschland haben wir die alten Brummkreiselzähler, die noch aus dem letzten Jahrhundert diese Zahlen ermitteln. Dabei könnte an dieser Stelle ein Mikrocomputer stehen, der genau ermittelt, wann Strom gebraucht wird, und umgekehrt, wann auch Strom eingespeist werden könnte.

Deutschlandradio Kultur: Das war Tacheles, heute mit dem Fraktionsvorsitzenden der Linken im Landtag von Thüringen. Herr Ramelow, vielen Dank für das Gespräch.

Bodo Ramelow: Herzlich gerne.
Mehr zum Thema