Linken-Politiker André Brie

"Praktische Politik mit Kompromissen"

Die Linkspartei stellt nun in Thüringen erstmals den Ministerpräsidenten.
Die Linkspartei stellt nun in Thüringen erstmals den Ministerpräsidenten. © picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte
Moderation: Nana Brink |
Bodo Ramelow ist im zweiten Wahlgang zum neuen Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt worden - der erste Ministerpräsident der Linkspartei. Für seinen Parteikollegen André Brie ist eine Koalition von Rot-Rot-Grün auf Bundesebene aber noch Zukunftsmusik.
Für den Linken-Politiker André Brie würde eine Wahl seines Parteigenossen Bodo Ramelow zum thüringischen Ministerpräsidenten das Zusammenwachsen Deutschlands fördern.
Im Deutschlandradio Kultur sagte der Linken-Abgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern am Freitag, seine Partei könne nun beweisen, dass sie durchaus "zu praktischer Politik mit Kompromissen" fähig sei und darauf verzichten könne, "allein die Ideologie in den Mittelpunkt zu stellen". In Thüringen sei die Partei dieser Herausforderung auf jeden Fall gewachsen.
Auf Bundesebene von Rot-Rot-Grün weit entfernt
Auf die Frage, wie er die Chancen einer bundesweiten rot-rot-grünen Koalition beurteile, sagte Brie: "Davon sind wir zur Zeit noch weit entfernt. Wenn das heute klappt, gibt es natürlich ein Signal in diese Richtung, aber dazu müsste auch gehören, dass SPD, die Linke und die Grünen tatsächlich auch ein Projekt für alternative Politik entwickeln – so wie das in den 60er-Jahren zwischen Brandt und Scheel geschehen ist, auch in aller Öffentlichkeit." Die Bereitschaft gebe es, doch sie sei in allen drei Parteien unter den Mitgliedern umstritten.
Brie sagte weiter, um auch auf Bundesebene weiterzukommen, müsse man zu Kompromissen bereit sein – da helfe keine Programmatik. Zudem müsse weiter ein große Verantwortung gegenüber denjenigen bestehen, die während des SED-Regimes Opfer von Gewalt und Repressalien geworden seien. Diese Haltung müsse von der gesamten Partei – speziell auch von den jungen Mitgliedern – getragen werden.


Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Solche Töne, solche Aussagen konnte man gestern Abend in Erfurt hören, wenn man wollte, 25 Jahre nach dem Mauerfall. Etwa 1.500 Menschen haben dagegen protestiert, dass erstmals ein Linker Ministerpräsident eines Landes wird. In dem gestern veröffentlichten ARD-Deutschlandtrend sagten 59 Prozent aller Befragten, dass sich Bodo Ramelows Partei noch nicht von ihrer Vergangenheit als DDR-Staatspartei gelöst habe.
Gut 40 Prozent allerdings finden, dass die Zeit reif ist für einen linken Ministerpräsidenten. In gut zwei Stunden geht es los im Landtag von Thüringen, da wird gewählt. Und wir wollen mal einen Blick nach vorne werfen und unterstellen, dass die Wahl klappt. Das hofft sicherlich auch der Politikwissenschaftler André Brie. Er hat als Bundesvorsitzender der PDS die Inhalte der Partei Anfang der 90er mitbestimmt und ist jetzt Abgeordneter in Mecklenburg-Vorpommern. Guten Morgen, Herr Brie!
André Brie: Guten Morgen!
Brink: Was bedeutet die Wahl dieses Ministerpräsidenten, wenn sie klappt, für die Linkspartei?
Brie: Erst mal denke ich, dass es ein Beitrag dazu ist, dass Deutschland tatsächlich zusammenwächst. Für die Partei selbst bedeutet es ein neues Niveau von Verantwortung und natürlich auch eine Herausforderung, ihre eigene Kultur innerhalb der Partei und gegenüber den anderen Parteien deutlich weiterzuentwickeln.
Brink: Was heißt das?
Brie: Das heißt, und dafür steht Bodo Ramelow, praktische Politik mit Kompromissen, auf andere zuzugehen und darauf zu verzichten, allein nur Ideologie in den Mittelpunkt zu stellen.
Brink: Ist denn das Ihrer Meinung nach zu viel gewesen, in der letzten Zeit?
Brie: Dafür gab es ja etliche Beispiele, dass diese linke Partei damit Probleme hat, oder Teile dieser Partei, und diese Auseinandersetzungen nicht zu Ende geführt wurden.
Brink: Wo? Nennen Sie mir ein Beispiel, wo es Ihnen besonders aufgestoßen ist?
Brie: Ja. Das aktuellste ist natürlich, was im Bundestag passiert ist mit den Angriffen auf Gregor Gysi und die Auseinandersetzungen um Israel.
Rot-Rot-Grün auf Bundesebene?
Brink: Muss die Partei mehr Disziplin aufbringen, Dinge mittragen, die ihr konträr laufen, wie Sie das ja beschrieben haben? Da war sie in der Vergangenheit ja nicht besonders gut, wie Sie selbst sagen.
Brie: Ja, es beginnt ja schon heute. Die Wahl von Bodo Ramelow, die ich natürlich erhoffe, ist ja nur möglich, wenn alle drei Parteien tatsächlich diszipliniert sind, alle Abgeordneten diese Disziplin an den Tag legen. Aber es wird natürlich in den nächsten Jahren so weitergehen. Man kann es nur gemeinsam machen. Alle Teile der Fraktionen müssen bereit sein zu Kompromissen und über die eigenen Überzeugungen hinausgehen. Das ist natürlich eine große Herausforderung und nach meiner Überzeugung auch große Chance, diese Partei weiterzuentwickeln.
Brink: Ist denn die Partei dieser Herausforderung gewachsen?
Brie: Ich denke, in Thüringen auf jeden Fall. Hinsichtlich der gesamten Bundespartei steht vieles noch aus. Wenn ich – ich werde ja oft gefragt, ob das auch eine Möglichkeit für Rot-Rot-Grün nach der nächsten Bundestagswahl mit sich bringt, dann kann ich nur sagen, davon sind wir zurzeit weit entfernt. Ich denke, wenn das heute klappt, gibt es natürlich ein Signal in diese Richtung, aber dazu müsste auch gehören, dass SPD, die Linke und die Grünen tatsächlich auch ein Projekt für alternative Politik entwickeln, so wie das in den 60er-Jahren zwischen Brandt und Scheel geschehen ist und auch in aller Öffentlichkeit.
Brink: Aber Sie sagen weit entfernt, aber nicht, weil es an den anderen liegt, sondern eigentlich weil es an uns selbst liegt. Also, es ist ja viel über Zukunft gesprochen worden in diesen Tagen, die Erwartungen sind immens hoch. Ist die Linke, vormals PDS, vormals SED, ist sie der Zukunft zugewandt?
Brie: Ich denke, dass alle drei Parteien zurzeit weit entfernt sind von einem alternativen Projekt, und natürlich auch die Linke. Da hilft nicht nur Programmatik, da muss man, genauso wie in Thüringen, zu Kompromissen bereit sein und zu absolut praktischer Politik.
Brink: Können Sie das noch ein bisschen präzisieren? Wo wären da die Felder, wo es drauf ankommt?
Brie: Das wird auf jedem Gebiet so sein. Was am stärksten zurzeit in der Öffentlichkeit ist, vor allen Dingen, weil die SPD das fordert, sind natürlich Außen- und Sicherheitspolitik, also internationale Politik insgesamt. Aber ich denke, dass das auf anderen Feldern, Sozialpolitik, genauso entwickelt werden muss.
Verantwortung gegenüber DDR-Opfern
Brink: Nun gibt es ja viele Vorbehalte auch gegen diese Wahl, das muss man ja auch ernst nehmen, von Menschen, die damit nicht einverstanden sind, die eine andere Geschichte hatten in der DDR, für Leute, die in der DDR Verantwortung getragen haben oder übernommen, wie Sie. Fühlen Sie sich da noch aufgehoben jetzt, mit diesem Kurs?
Brie: Ja. Ich fühle mich so, und ich denke, dass diese Verantwortung gegenüber jenen, die Opfer in der DDR waren, die tatsächlich Verbrechen erlebt haben, weiter bestehen muss und von der gesamten Partei, auch von den jungen Menschen in der Linken, getragen werden muss.
Brink: Also, diese Verantwortung wollen Sie nicht abgeben?
Brie: Nein.
Brink: Blicken wir noch mal auf die Bundesebene. Da, haben Sie gesagt, ist noch keine Normalität da. Wann wird die da sein?
Brie: Ja, wenn ich das wüsste, dann wäre ich klug und auch froh. Das kann ich zurzeit nicht erkennen.
Brink: Aber Sie gucken ja schon 25 Jahre auf diesen Prozess der Annäherung.
Brie: Ja, bloß, wie ich das schon gesagt hatte: Man müsste das öffentlich vorbereiten. Das geht nicht nur in Hinterzimmern, das geht nicht nur über Papiere, sondern da muss man die gesamte Öffentlichkeit einbeziehen, auch hinsichtlich des Problems, das Sie gerade angesprochen haben, dass es natürlich auch Vorbehalte, Widerstand dagegen gibt. Auch das muss ernst genommen werden, und geht nur in der Öffentlichkeit.
Brink: Ja, es gibt ja auch Menschen, die in der DDR ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben.
Brie: Ja, so ist es nun mal in der ganzen Politik.
Brink: Wann sehen Sie, dass dieser Prozess auf Bundesebene auch von Ihrer Partei offensiv angegangen wird? Sehen Sie da Bereitschaft?
Brie: Die Bereitschaft gibt es eindeutig. Aber sie ist natürlich auch umstritten, in meiner Partei genauso wie in den anderen Parteien.
Brink: André Brie, Abgeordneter für die Linke in Mecklenburg-Vorpommern. Danke, Herr Brie, für das Gespräch!
Brie: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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