Sachbuch „Links kickt besser“

Warum Fußball schon immer politisch war

06:57 Minuten
Buchcover von "Links kickt besser"
© Westend Verlag

Klaus-Dieter Stork, Jonas Wollenhaupt

Links kickt besser – Der Mythos vom unpolitischen FußballWestend Verlag, 2022

240 Seiten

20,00 Euro

Von Thomas Jaedicke · 29.10.2022
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Nicht erst mit der WM in Katar ist Fußball politisch aufgeladen, schreiben Klaus-Dieter Stork und Jonas Wollenhaupt in ihrem Buch. Ihre Geschichte des Bolzplatz-und-Hinterhof-Fußballs feiert die verbindende Kraft des Sports.
Kurz vor der Fußballweltmeisterschaft in Katar erinnern Klaus-Dieter Stork und Jonas Wollenhaupt in „Links kickt besser“ an einen Fußball, der heutzutage gar nicht mehr so leicht auffindbar ist – zumindest in den Massenmedien. Während das menschenverachtende Emirat die Hochglanzvariante des Sports benutzt, um mittels Sportswashing das eigene katastrophale Image aufzupolieren, geht es den beiden Autoren um eine ganz andere Version des Spiels.
Ihr Buch ist eine Liebeserklärung an den anarchischen Fußball, der auf Bolzplätzen, Wiesen oder in Hinterhöfen gespielt wird. Es gibt ihn noch! Und vielleicht, so hofft man jedenfalls beim Lesen, ist er lebendiger denn je. Möglicherweise sieht man ihn bloß gerade nicht, weil man ganz lahm auf dem Sofa vorm Fernseher hockt und von den unzähligen Jessy Wellmers und Bastian Schweinsteigers dieser Welt schon ganz dusselig gequatscht worden ist.
Denn eigentlich, schreiben Stork und Wollenhaupt, ist es doch ganz einfach: „Der Fußball schenkt uns einen warmen Zufluchtsort inmitten gesellschaftlicher Kälte, weil wir das Spiel verstehen, es Teil unseres Lebens ist.“ Anders als beim durchoreografierten Profi-Event seien die Freizeitkicker nämlich näher am Leben dran und somit auch bei sich selbst. Der Straßenfußball vermittle aber nicht nur linke Tugenden wie „Selbstorganisation ohne Autorität und Solidarität im Team“. Er sei auch wie eine Rückkehr in unbeschwerte Kindertage: „Der Trick gelingt, das Tackling läuft und der Ball wird über der Luftlinie noch vor dem Aus gerettet. Auf dem Bolzplatz kennt man keinen Hunger, keinen Durst und kein schlechtes Wetter.“

Fußball sollte soziale Normen etablieren

Aber erfreulicherweise kommen die beiden Autoren nicht nur mit Soziologenromantik. Sie liefern eine ganze Menge Fakten, die zeigen, dass das Ballspiel immer politisch war. Demnach fürchteten die Autoritäten schon seit der „frühen Neuzeit“ die Wut der „kickenden Massen“. Trotz aller Verbote und Herabwürdigungen war aber der Siegeszug des Fußballs, jenes wilden, harten und romantischen Spiels der einfachen Leute der niederen Schichten, nicht mehr aufzuhalten.
1845 wurden in England, dem Mutterland des Fußballs, die ersten Regeln geschrieben. Fußball als Schulfach sollte soziale Normen etablieren: Fair Play und Gentleman-Tugenden, aber auch Härte für die verweichlichte Jugend und militärische Früherziehung. „Die Rebellion wurde ins System zurückgeholt, bevor es kritisch wurde“, analysieren die Autoren.
In Deutschland dauerte es länger, bevor Fußball „Volkssport Nummer 1“ wurde. Hatte der 1900 gegründete Deutsche Fußball-Bund, DFB, vor dem Ersten Weltkrieg rund 190.000 Mitglieder, waren es 1920 bereits 400.000. Der Sport sei vornehmlich von Kriegsrückkehrern „importiert“ worden. Prügeleien, üble Fouls und wüste Beschimpfungen waren an der Tagesordnung. „Der Krieg lebte gewissermaßen mit anderen Mitteln weiter, wenn man es psychoanalytisch sehen möchte“, schreiben Stork und Wollenhaupt. Dass Fußball dem Turnen den Rang ablief, erklären sie unter anderem mit dem Acht-Stunden-Arbeitstag, der 1918 eingeführt worden war. „Für Spieler und Zuschauer entwickelten sich die Fußballspiele rasch zum Zentrum der Freizeit- und Amüsiertätigkeiten.“

Solidarität beim „Arbeiter-Fußball“

Ausführlich geht das Buch auf die Arbeitersportbewegung ein. In den Anfangsjahren hätten die Arbeiter weniger körperbetont gespielt. Schließlich sei der Gegner auch ein Genosse, der seine Familie ernähren müsse. Tacklings waren demnach verpönt. Elfmeter wurden gerne in die Arme des Torwarts geschossen und Torschützen nicht genannt. Verletzte sich ein Spieler, ging immer auch ein Spieler der anderen Mannschaft vom Platz. Punkte sollten für ethische Aktionen vergeben werden, nicht für Siege.
Die Zeitschrift „Arbeiter-Fußball“ notierte am 11. November 1925: „Sechs lange Tage in der Woche werdet Ihr vom Kapitalismus ausgebeutet und missachtet, der siebte aber gehört uns und soll eine Erholung für uns sein.“ Erster deutscher Arbeiter-Fußballmeister war 1920 der TSV 1895 Fürth, mitbegründet vom bekannten Gewerkschafter Hans Böckler.
1930, drei Jahre bevor der Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB) von den Nazis verboten wurde, hatte der Verband insgesamt 543.000 organisierte Mitglieder. Beim DFB waren es zu dieser Zeit rund drei Mal so viele. Doch schon damals spielte Geld im Fußball eine große Rolle, oder, um es mit Bert Brecht zu sagen: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral.“ 1932 wechselte Uwe Seelers Vater, der Hamburger Hafenarbeiter Erwin Seeler, vom proletarischen SC Lorbeer 06 zum bürgerlichen DFB-Verein Victoria Hamburg. „Nachbarn, Mitspieler, Fans und die proletarische Presse waren entsetzt: Wie konnte er nur die Arbeiterbewegung so verraten?“

"Siegen oder verlieren, aber stets mit Demokratie“

Chronologisch erzählen Klaus-Dieter Stork und Jonas Wollenhaupt in „Links kickt besser“ die Etappen der Fußballentwicklung nach. Vieles von dem, was sie beschreiben, ist nicht wirklich neu. Aber sie schreiben authentisch. Man glaubt ihnen ihre eigene Verbundenheit mit dem einfachen Spiel an vielen Stellen aufs Wort.
Gegen Ende des Buchs, die Wegmarken der Kommerzialisierung wie TV-Rechte-Verkauf und Einführung der Champions League sind da längst aufgezählt, ist noch ein bisschen Platz für einen großen Visionär einer linken Fußballutopie, den allergrößten vielleicht: Sócrates. Der Brasilianer war Anfang der 80er-Jahre einer der Köpfe bei Corinthians São Paulo, einem der ersten selbstverwalteten Profivereine der Welt. Unter der damals herrschenden Militärdiktatur führten die Corinthians im Verein Trikotwerbung ein. Allerdings warben sie nicht für Coca-Cola oder Pepsi. Auf ihren Trikots stand der Slogan: „Siegen oder verlieren, aber stets mit Demokratie“.
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