Suizid der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr

Ein Opfer der Hassrede im Netz

08:42 Minuten
Die österreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr
Nach dem Suizid der österreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr gibt es eine neue Debatte über die Gefahren von Hassrede im Netz. © picture alliance / APA/ Hermann Wakolbinger
Sham Jaff im Gespräch mit Jana Münkel |
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Hassrede im Netz werde immer noch unterschätzt, sagt Sham Jaff nach dem Suizid der österreichischen Impfärztin Lisa-Maria Kellermayr. Die Journalistin wünscht sich mehr Wachsamkeit und eine "virtuelle Polizeiwache".
Österreich trauert um die Ärztin Lisa-Maria Kellermayr. Sie hatte Corona-Infizierte engagiert behandelt und für Impfungen geworben. Das trug ihr viel Hass und Hetze ein und offenbar zu wenig Schutz durch die Polizei. Sie hatte auf eigene Kosten für ihre Praxis einen Wachschutz beschäftigt und thematisierte auf Twitter, wie sie bedroht wurde.
Nach der Nachricht von ihrem Suizid ist das Entsetzen groß, und die Debatte über die Gefahren von Hassrede im Netz beschäftigt viele Menschen auch in Deutschland.

Unterschätzte Hasskriminalität

Auch die Journalistin Sham Jaff, die den wöchentlichen Newsletter "What happened last week?" veröffentlicht, zeigt sich nach diesem Suizid bestürzt. Ihr stellt sich die Frage, ob man online überhaupt noch am Diskurs teilnehmen könne. Die Gefahr der Hasskriminalität im Internet werde unglaublich unterschätzt.

Hilfsangebote für Menschen mit Depressionen
Wenn Sie das Gefühl haben, an einer psychischen Krankheit zu leiden oder Suizidgedanken Sie beschäftigen, wenn Sie sich in einer scheinbar ausweglosen Lebenssituation befinden oder das auf einen Ihrer Angehörigen zutrifft, zögern Sie nicht, Hilfe anzunehmen bzw. anzubieten. Hilfe bietet unter anderem die Telefonseelsorge in Deutschland unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 (gebührenfrei) und im Internet unter telefonseelsorge.de.

Wenn dagegen nicht stärker vorgegangen werde, könnten nuanciertere Meinungen langfristig aus dem Meinungsspektrum verschwinden, befürchtet Jaff. Die Folgen für die Debattenkultur wären entsprechend schwerwiegend. "Denn die lautesten Meinungen online sind ja meistens die, die von unseren größten Emotionen geprägt sind, von Angst oder manchmal auch Hass."

Angst vor der Dynamik eines Tweets

Sobald einer ihrer Beiträge viral geht und rechte Gruppen sich der Diskussion bemächtigen, lösche sie ihren Tweet, sagt die Journalistin mit 18.000 Followern auf Twitter. Es sei natürlich schade, so eine Entscheidung aus der Sorge heraus zu treffen, dass sich da eine Dynamik entwickeln könnte, die sie nicht mehr unter Kontrolle habe.

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"Es fehlt einfach eine Anerkennung dieses Problems", sagt Jaff über die Bekämpfung der Hassrede. Die Bedrohung von Lisa-Maria Kellermayr sei offenbar nicht ausreichend ernst genommen worden. Der Ärztin wurde nahegelegt, sich aus der Debatte zurückzuziehen, erinnert die Journalistin. "Sie solle nicht so laut sein – das ist doch nicht die Lösung."

Gefährliches Muster

Die Hassrede laufe nach einem gewissen Muster online und offline ab, so Jaff. "Man fängt an zu kategorisieren, zu stereotypisieren, man baut Vorurteile auf, man fängt an zu diskriminieren", beschreibt sie den Ablauf. Dann werde das Gegenüber entmenschlicht.
Dieses Muster sei vor allem online so problematisch, weil viele Nutzer anonym kommentierten und deshalb offen hetzten. Das Gegenüber sei im Netz nicht zu erkennen und die fehlende Resonanz, könne noch hemmungsloser machen.
Sie finde deshalb die Idee einer "virtuellen Polizeiwache" sehr spannend, so Jaff. Betroffene könnten dort strafrechtlich relevante Delikte direkt online anzeigen.

Von der Polizei im Stich gelassen

Die österreichische Politikwissenschaftlerin und Publizistin Natascha Strobl findet es besonders skandalös, dass Kellermayr von Polizei und Ärztekammer "im Stich gelassen" worden sei. Dabei habe sich Kellermayr bei den zuständigen Institutionen ausdrücklich um Hilfe bemüht und an die Öffentlichkeit gewandt. In den sozialen Netzwerken hätten Gegner sie "innerhalb von wenigen Monaten in den Tod gehetzt", so Strobl.
"Das ist nicht im Verborgenen passiert, sondern öffentlich, vor unser aller Augen", unterstreicht Strobl. Der österreichischen Politik wirft Strobl einen seit Monaten laxen Umgang mit Corona-Leugnern und der verschwörungsideologischen Szene vor. Aus deren Reihen sei Kellermayr massiv angegriffen worden.
Politik und Sicherheitsbehörden müssten aus diesem Fall nun unbedingt Konsequenzen ziehen, betont sie: "Nie wieder darf ein Opfer so im Stich gelassen werden."
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