Lisa McInerney: Glorreiche Ketzereien
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence.
Liebeskind, München 2018
448 Seiten, 24 Euro
Kein Entkommen
In "Glorreiche Ketzereien" sind beinahe alle Themen versammelt, die das Alltagsleben in Irland bestimmen: Drogen, Alkohol, Frauenverachtung, uneheliche Mutterschaft, Allmacht der katholischen Kirche. Lisa McInerney hat einen durch und durch irischen Debütroman geschrieben.
Die "Glorreichen Ketzereien" von Lisa McInerney sind durch und durch irisch. In ihrem hoch gelobten und ausgezeichneten Debütroman versammelt die 1981 geborene Irin beinahe alle Themen, die das Alltagsleben in Irland bestimmen: Drogen und Alkohol, Frauenverachtung, uneheliche Mutterschaft, Allmacht der katholischen Kirche, Bigotterie, Rebellentum und Kriminalität. Der Roman spielt in Cork, einer Hafenstadt im Südwesten der Insel. Dieses Cork, stellt sich heraus, ist selbst als Insel, der ihre Bewohner kaum entkommen können.
Ausgangspunkt der Erzählung ist ein Totschlag. Robbie O’Donovan, ein kleiner Dealer, dringt nachts in das Haus von Maureen Phelan ein, wird von der älteren Dame mit einem Heiligen Stein erschlagen und geistert fortan als Problem durch das Leben der Beteiligten. Das sind nicht viele, und wie nach und nach deutlich wird, ist ihr Schicksal viel enger miteinander verknüpft, als sie es gerne hätten. Maureens Haus diente früher als Bordell.
Erst für den Zuhälter, dann für Drogen
Darin verdiente die 15-jährige Georgie das Geld zuerst nur für Robbie, ihren Geliebten und Zuhälter, später für Drogen. Die Drogen bekam sie vom gleichaltrigen Ryan. Ryan ist der älteste Sohn des sechsfachen Familienvaters und Säufers Tony Cusack. Diesen Loser wiederum beauftragt Maureens Sohn, der Gangster Jimmy Phelan, die Leiche des erschlagenen Robbie zu beseitigen. Sie alle führen ein Leben auf der Kante: Getrieben von gekränkten Gefühlen, Rachedurst und Sehnsucht nach einem besseren Leben.
McInerney erzählt von einem Leben, das sich im Unglück verschwendet. Ein Symbol dieser Lebensverschwendung ist ein Klavier. Zunächst stand es im Hause Cusack. Sohn Ryan tröstet sich damit, kann es sehr gut spielen. Er ist ein begnadeter Musiker, aber niemand weiß das. Als der Gangster Phelan seiner Frau ein Hobby schenken will, kauft er Ryans immer klammen Vater das Klavier ab, das von da an nie wieder benutzt wird. Anscheinend bleibt dem tief verletzten, begabten Jungen nur der Weg in Drogen und Kriminalität.
Niemand hat eine Chance
McInerneys liebevoll gezeichnete Figuren leben in Cork wie unter einer Glasglocke: Je höher sie springen, desto heftiger werden sie zurückgeworfen. Und niemand hat eine Chance: die Frauen noch weniger als die Männer. Maureen musste ihr unehelich geborenes Kind weggeben und entwurzelt in London leben. Das war in den Sechzigern des vorigen Jahrhunderts. Die jüngere Georgie wiederholt ihr Schicksal, nichts ist besser geworden.
Dieser Roman ist großartig: Lebensklug schildert Lisa McInerney die verzwickten Schicksale ihrer Figuren. Ihre Sprache ist zupackend, direkt und zugleich poetisch. Ihr Roman handelt nicht vom großen Irlandkonflikt, sondern von der Verheerung einer Gesellschaft durch häusliche Gewalt Unter den Teppich gekehrt, befördert von einer heuchlerischen Moral, infiziert sie die ganze Gesellschaft mit Unglück, Verzweiflung und Zerstörung.
Man versteht: Die gerade mit überwältigender Mehrheit beschlossene Freigabe der Abtreibung ist nur ein erster wichtiger Schritt zu einem freieren Irland.