Angst unterm Regenbogen
Lesben und Schwule haben es in Litauen schwer: Ähnlich wie in Russland ist es verboten, homosexuelle Werte zu propagieren. Schon in der Schule lernt der kleine Litauer, dass Homosexuelle hassens- und verachtenswert sind.
Ein Hauch von Winter liegt über Vilnius, der litauischen Hauptstadt. Das Thermometer zeigt ein paar Grad über Null, es umhüllt ein feiner Nieselregen die Altstadt. Wer kann, bleibt zu Hause. Einzig die Studenten laufen schnellen Schrittes über den Vorplatz des Präsidentenpalastes - auf dem Weg zur nahen Universität.
1. Mann: "In Litauen verachten viele Leute Homosexuelle."
Frau: "Am besten wir ignorieren sie einfach. Sie sollten unser Land verlassen."
2. Mann: "Der litauische Homosexuellen-Verband? Na ja, die meisten hassen ihn. Aber er ist sehr stark. Sie haben ihre Lobbyisten."
Drei Meinungen von Passanten, eine Gemeinsamkeit: Homosexuelle sind in Litauen alles andere als gern gesehen. Aliona Polujanova muss man das nicht zwei Mal sagen. Die Juristin verzieht an diesem trüben Nachmittag in ihrem Büro beim "Homosexuellen-Verband Litauens" das Gesicht.
Erst letztens, erzählt die zierliche 24-Jährige, ist sie von zwei Männern angepöbelt worden, nur weil sie mit ihrer Freundin händchenhaltend über den Gedimino-Boulevard gelaufen ist - die Haupteinkaufsmeile der litauischen Hauptstadt Vilnius. Ihre Augen funkeln. Klein beigeben – das ist nicht ihre Sache - auch wenn es nicht immer einfach ist. Der "Baltic Pride 2013" etwa, die Homo-Parade durch die Innenstadt Ende Juli konnte nur nach einem wahren Behörden-Marathon stattfinden.
Aliona: "Unser Werbeclip für die Parade ist zensiert worden. Einfach lächerlich. Die staatliche Ethikbehörde hat unser Video wie Pornographie behandelt. Es durfte deshalb nur nach 23 Uhr im Fernsehen laufen. Und weißt du warum?
Schau mal: der Typ im Video. Er trägt ein T-Shirt, auf dem steht: Für Familien-Vielfalt. Da haben sie uns gesagt: Das würde Jugendliche dazu animieren, gleichgeschlechtliche Partnerschaften einzugehen. Wie in alles in der Welt kann man nur darauf kommen?"
Wer sich mit Aliona treffen will, muss einen guten Orientierungssinn haben. Ihr Büro in der Homo-Begegnungsstätte liegt zwar in der Innenstadt, dafür aber im zweiten Hinterhof eines heruntergekommenen Gebäudes, zu dem nur ein Trampelpfad führt. Kein Klingelschild, kein Namenszug im Fenster. Nichts. Die Frau mit den Ohrringen in Form zweier Katzen hebt die Hände.
"Wir sind auch schon angegriffen worden"
Eigentlich geht ihr dieses Versteckspiel auf die Nerven - aber: Sicher ist sicher. Manchmal hilft selbst das nicht. Sie steht auf und geht zum Fenster - vorbei am Poster von Harvey Milk. Der erste offen schwule Politiker der Vereinigten Staaten wurde 1978 ermordet. Vor kurzem musste die Fensterscheibe ausgetauscht werden. Jemand hat sie mit einem Pflasterstein kaputt gemacht.
Aliona: "Wir sind auch schon angegriffen worden. Siehst du die Regenbogen-Fahne in der Ecke? Sie wurde mit einem Messer zerrissen. Wir waren Mitte es Jahres auf dem Weg zu einer Demonstration: Ich zusammen mit meiner Freundin. Und zwei Kollegen aus dem Büro. Wir schwenkten die Regenbogen-Fahne und die litauische.
Die Sonne schien, alles wunderbar und plötzlich schoss dieser Junge auf uns zu - mit einem Messer. Und zerfetzte unsere Regenbogen-Fahne. Er ist dann weggerannt. Das war so was von gruselig! Wir waren wie benommen. Weil: So etwas erwartest du ja nicht! Schon gar nicht, dass du von einem Kind angegriffen wirst."
So ganz kann es Aliona immer noch nicht fassen. Sie muss kurz schlucken - ehe sie sich wieder fängt - und nur meint, was solle man schon von einem Land erwarten, in dem laut einer Umfrage zwei von drei Litauer gegen die diesjährige Homo-Parade waren. Homosexualität ist in dem katholischen Drei-Millionen-Einwohner-Land immer noch ein Tabu. Alionas Familie ist dafür ein gutes Beispiel. Dass sie mit einer Frau zusammen lebt - darüber verlieren weder ihre drei älteren Brüder noch die Eltern auch nur ein Wort.
Aliona: "Wir haben darüber noch nie geredet. Meine Eltern sind ziemlich konservativ. Als ich für den Homo-Verband angefangen habe zu arbeiten, habe ich ihnen nur gesagt: 'Ich habe da diesen neuen Job. Irgendetwas im Menschenrechtsbereich.' Und mein Vater nur so: 'Du wirst mit Schwulen zusammenarbeiten, stimmst?!' Und ich so: 'Ja, Papa. Stimmt.'
Irgendwie hat er mich durchschaut. Das war im Februar. Aber glaub nicht, dass er mich seitdem auch nur einmal gefragt hätte, wie es in meinem Job läuft. Geschweige denn, was ich da überhaupt mache. Meine Eltern interessieren sich nicht für das, wofür ich kämpfe. Sie haben auch schon meine jeweiligen Freundinnen kennengelernt. Aber sie tun so, als ob nichts wäre. Sie leugnen es einfach."
Es ist Abend geworden. Draußen haben sich die Nebelschwaden des Neris, des nahe gelegenen Flusses, bis zur Homo-Begegnungsstätte vorgearbeitet, drinnen versuchen sich Aliona und eine Handvoll Mitstreiter darin, pantomimisch verschiedene Alltags-Situationen nachzustellen. Einmal die Woche trifft sich die Theatergruppe. Um mehr über sich selbst herauszufinden. Und besser damit klar zu kommen, diskriminiert zu werden. Marius ist von Anfang an dabei.
Der 25-jährige Analyst eines Telekommunikations-Unternehmens kommt gebürtig aus Kaunas, der zweitgrößten Stadt Litauens. Aber da hat es der schlaksige Mann mit dem Seitenscheitel nicht mehr ausgehalten: Zu engstirnig, zu aggressiv, zu homophob. Dann lieber Vilnius, die Hauptstadt mit ihrer Studenten-Szene und der immer größer werdenden Schar internationaler Besucher, die sich an der barocken Pracht und dem Gassen-Wirrwarr der Altstadt erfreuen.
Marius: "Vor ein paar Jahren habe ich schon mit dem Gedanken gespielt Litauen ganz zu verlassen. Ich wollte einfach nur weg. Aber dann habe ich mir gedacht: Nein! So schnell gibst du nicht auf! Ich will für die Rechte von Homosexuellen kämpfen. Wir sind nicht so entwickelt wie die westeuropäischen Länder.
Im Gegenteil: Gerade sind fünf homophobe Gesetzesvorschläge im Parlament eingebracht worden. Es ist jetzt nicht DAS Drama für mich, aber du fragst dich natürlich: Was kommt als Nächstes? Wir müssen nur nach Russland schauen. Da gibt es ja noch krassere Gesetze. Wer sagt uns, dass uns das nicht auch eines Tages blüht? Dann wäre es noch schwieriger, in Litauen zu bleiben."
"Ich bin schon zu Sowjetzeiten auf die Straße gegangen"
Falls Marius tatsächlich einmal seine Heimat verlassen sollte: Gut möglich, dass sich jemand wie Petras Grazulis darüber freuen würde. Für den Vorsitzenden der litauischen "Partei für Ordnung und Recht" ist Marius ein "Krebsgeschwür." Denn so bezeichnet Grazulis Homosexuelle. Wechselweise in der Seimas, dem litauischen Parlament, oder auf der Straße.
Auch dieses Jahr ließ es sich der Mann mit der goldenen Armbanduhr und schlichten Weltsicht nicht nehmen, sich beim Gay Pride in die Schar der gut 1500 Gegendemonstranten einzureihen. Einige warfen mit Flaschen und Eiern, andere schwenkten schwulenfeindliche Plakate und Nazi-Symbole. Dass nichts Schlimmeres passierte, war der Polizei zu verdanken, die die Homo-Parade schützte. 28 Gegendemonstranten wurden vorübergehend festgenommen, darunter Grazulis.
Grazulis: "Ich bin schon zu Sowjetzeiten aus Protest auf die Straße gegangen - und für meine Überzeugungen ins Gefängnis. Ich folge meinen Werten. Homosexualität ist eine Krankheit. So wie Alkoholismus und Drogensucht. Sie muss bekämpft werden. Mir ist egal, was Homosexuelle zu Hause machen. Aber sie haben nichts in der Öffentlichkeit verloren. Schon gar nicht sollte man ihnen erlauben, für ihre Sache Propaganda zu machen. Für eine Krankheit! Deshalb ja auch meine Gesetzesvorschläge. Wir müssen die Homosexuellen in ihre Schranken weisen, um die traditionelle Familie zu schützen."
Keine öffentliche "Propaganda homosexueller Beziehungen", kein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare, kein Recht für Transsexuelle, sich einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen: Grazulis kann es in seinem Kreuzzug gar nicht weit genug gehen. Zufrieden nickt er im Fraktionssaal des Parlaments seinem Assistenten zu.
Der hat seinen Chef nicht nur mit Kaffee italienischer Röstung zu versorgen, sondern gegebenenfalls auch mit Informationen zum politischen Alltagsgeschäft. Bei der "Homo-Sache" aber, wie er das nennt, braucht er keinen Stichwortgeber. Im September hat er seine fünf Anti-Homosexuellen-Gesetzesvorschläge eingereicht, noch vor Weihnachten sollen die Abgeordneten darüber abstimmen. Seine Erfolgsaussichten sind nicht die schlechtesten: Grazulis' Partei sitzt mit in der Regierung.
Simonko: "Es ist wie eine nicht enden wollende Geschichte. Je stärker wir uns für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen in Litauen einsetzen, desto stärker auch die Opposition dagegen."
Für Vladimir Simonko ist Petras Grazulis ein rotes Tuch. Der Gründer des litauischen Homosexuellen-Verbands macht in seinem Büro, das keinen Kilometer entfernt liegt von dem seines Gegenspielers, eine abschätzige Handbewegung: Grazulis - der sei ein Fall für den Psychiater, meint Simonko, der auf die 50 zugeht und zu den bekanntesten Homosexuellen Litauens zählt.
"Du musst jetzt deine Identität abschalten"
Simonko:"Ich reise viel. Wenn ich in West-Europa bin, fühle ich mich immer so sicher. Entspannt. Ich weiß, dass ich Rechte habe. Wenn ich nach Vilnius zurückkehre, ist das erste, was mir automatisch in den Sinn kommt: Du musst jetzt deine Identität abschalten. Pass dich an! Fall bloß nicht auf! Es setzt mir jedes Mal aufs Neue zu. Und das in einem EU-Land! Es sollte nicht so sein, aber so ist es nun mal."
"Die EU garantiert jedem Menschen das Leben zu leben, das er leben möchte." Vladimir Simonko kann das Mantra von Vivianne Reding, der Vize-Präsidentin der EU-Kommission, wie auf Kommando abspulen. Ende Mai gab die streitbare Luxemburgerin den Litauern das mit auf dem Weg - bei ihrem Besuch in Vilnius, einen Monat, bevor der größte der drei Baltenstaaten turnusgemäß für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernahm.
Simonko:"Viele Soziologen fragen sich: Warum? Warum diese Homophobie! Ausgerechnet in Litauen? Ich denke, Homophobie ist nur eine Spielart von Intoleranz. Die litauische Gesellschaft ist generell intolerant gegenüber Minderheiten: Seien es jetzt Juden, Sinti und Roma oder eben Schwule und Lesben.
Es gibt dafür auch kein Problembewusstsein - weder in der Gesellschaft noch im Staat. Und dann ist da natürlich noch die katholische Kirche. Im Religionsunterricht schürt sie Hass gegen Schwule und Lesben. Sie kann schalten und walten, wie sie will."
Filmpremiere im "Pasaka" – DEM Alternativ-Kino von Vilnius. Die berühmte Peter und Paul-Kirche aus dem Barock liegt zwar um die Ecke: Doch die katholische Kirche bleibt bei der Veranstaltung außen vor. "Ist auch gut so", meint Romas Zabarauskas – und schaut zu den in der Schlange Wartenden.
Lauter modisch gekleidete Leute zwischen 20 und 40, die mit ihren engen Hosen und großen Brillen in etwa so aussehen wie der junge Filmemacher selbst. Zabarauskas ist heute Abend hier, um seinen neuen Streifen vorzustellen – eine Geschichte über einen US-amerikanischen DJ, der wegen seiner litauischen Großmutter nach Vilnius kommt - und dort nicht nur die Frau seines Lebens kennenlernt, sondern auch seinen schwulen Geschäftspartner. Ein schwuler Charakter – seine Fans kennen das schon aus "Porno-Melodram", seinem Erstlingswerk.
Zabarauskas: "Mein Kurzfilm war der erste schwule Film in Litauen überhaupt. Es war ein Riesen-Medien-Skandal. Ich habe mich bei der Premiere, bei den Filmfestspielen in Berlin, ja auch noch geoutet. So etwas gab es bei uns noch nie. Die Reaktionen waren extrem, sehr negativ.
Etliche Leute haben mir vorgeworfen, ich würde es nur wegen der Publicity machen. Im Netz kursierten viele gehässige Kommentare. Es war schwierig. Ich hatte solch eine negative Reaktion nicht erwartet. Na ja: Vielleicht hatte ich es schon irgendwie erwartet, aber es tatsächlich durchzustehen, ist etwas ganz anderes. Jetzt bin ich daran gewöhnt."
Romas hat es nicht bei seinem Coming-Out belassen: Letztes Jahr hat er zusammen mit ein paar Freunden einen Regenbogen-Sticker kreiert, den Bars und Restaurants ins Fenster kleben können, um zu zeigen, dass sie "Homo-freundlich" sind. Viele sieht man davon nicht in Vilnius. Aber wird schon, macht sich der junge Litauer Mut, der seine Offenheit trotz aller Probleme noch nie bereut hat.
Zabarauskas: "Ich kann doch keinen schwulen Film machen und über die Rechte von Homosexuellen reden - und dann selbst so tun, als ob ich nicht schwul wäre. Das wäre ja lächerlich. Das ist ja genau das, was homophobe Leute wollen: Dass wir uns verstecken, dass wir uns 'korrekt' verhalten. Nein! Ich will offen sein. Weil: Warum sollte ich mich schämen schwul zu sein?"