Der schwierige Rückbau des AKW Ignalina
Das einstige Vorzeigeprojekt der Sowjetunion wird zurückgebaut: das Kernkraftwerk Ignalina im Osten des heutigen Litauen. Seit 2009 ist es bereits vom Netz. Thomas Otto war vor Ort.
Schon von weitem sehe ich die beiden rot-weiß gestreiften Abluftkamine des Kernkraftwerks Ignalina in den Himmel ragen. Sie fußen auf den beiden Reaktorgebäuden, in denen die zwei Siedewasser-Druckröhrenreaktoren einst 2.720 Megawatt Strom erzeugten. Davor liegt ein dreigeschossiger Plattenbau, das Empfangs- und Verwaltungsgebäude.
Nach einer Sicherheitskontrolle, ähnlich der am Flughafen, geht es zur Umkleide. Hier muss ich meine Straßenkleidung ab- und spezielle Schutzkleidung anlegen. Der Chef des Kraftwerkes, Darius Janulevičius, beruhigt:
"Ja, hier ist es vollkommen sicher. Der Status ist der gleiche wie in einem laufenden Kernkraftwerk."
Wir ziehen eine Hose, Socken und eine Jacke aus weißem Baumwollstoff an. Dann wird die Hose in die Socken und die Jacke in die Hose gesteckt. Was unmodisch aussieht, soll davor schützen, mit radioaktiven Partikeln in Kontakt zu kommen. Darüber gibt es noch einmal eine Hose und eine Jacke. Außerdem rutschfeste Gummischuhe, ein Kopftuch, Handschuhe und einen Schutzhelm.
So vorbereitet gehen wir zum Reaktor I. Der ständige Luftzug ist angenehm, sorgt doch die Schutzkleidung bei den sommerlichen Temperaturen für ordentlich viel Wärme. Der Unterdruck im Reaktorgebäude soll dafür sorgen, dass kein gefährlicher Staub nach außen dringen kann.
"Der Bau eines neuen Kraftwerkes ist immer einfacher als der Rückbau. Beim Rückbau weiß man manchmal nicht, was einen erwartet und wie es sich verhält."
Alles ist blitzeblank sauber
Über eine lange, überdachte Brücke laufen wir ins Innere des Reaktorgebäudes. Ein seltsamer, technischer Geruch liegt in der Luft. Auf dem Boden liegt ein dicker Kunststoffbelag, der rechts und links an den Wänden noch etwa zwanzig Zentimeter nach oben gezogen ist. Wände und Decken sind grau gestrichen, alles ist blitzeblank sauber. Durch eine letzte Tür, mehr ein niedriges Loch in der meterdicken Wand des Reaktorgebäudes, gelangen wir ins Innerste. Von überall glänzt mir der Edelstahl der Rohre, Bodenplatten und Abdeckungen entgegen. Wir stehen auf einem Schachbrettmuster kleiner Metallplatten: Reaktor I.
"Diese Quadrate, das sind die technologischen Kanäle. Unter den grauen Platten hat sich der Brennstoff befunden - diese Kanäle sind jetzt leer. Die bunten Platten, darunter befinden sich die Steuerstäbe. Sieben Meter unter uns befindet sich der biologische Schild, die Abschirmung für die radioaktive Strahlung. Weitere sieben Meter darunter ist die aktive Zone, in der die eigentliche Reaktion stattgefunden hat",
Ein Endlager gibt es in Litauen nicht
erklärt Sprecherin Ovidija Marcinkute. Reaktor I ist seit Ende 2004 außer Betrieb. Die Brennstäbe wurden bereits entfernt und in einem Zwischenlager deponiert. Seit 2005 wird in der Nähe des Kraftwerkes ein neues Zwischenlager gebaut, das längst fertig sein sollte. Unter anderem ein Streit über die Kosten verzögert die Arbeiten. Nun rechnet man mit der Fertigstellung 2017. Dann können auch die Brennstäbe aus Reaktor II entfernt werden. Ein Endlager gibt es in Litauen noch nicht.
Wir verlassen den Reaktor und betreten die riesige, 800 Meter lange Turbinenhalle. Es riecht nach Winkelschleifern und Metallstaub. Kraftwerkssprecherin Marcinkute zeigt auf eine Transportkiste mit Metallteilen:
"Hier demontieren wir die Anlagen, beispielsweise die Turbinen. Wir zerlegen sie in kleinere Teile. Wenn diese kontaminiert sind, müssen wir sie reinigen. Beispielsweise wird die Oberfläche mit Wasser oder mit winzigen Stahlkugeln beschossen. Manche Teile werden auch manuell gereinigt. Findet sich dann keine Strahlenbelastung mehr, kann das Metall als ganz normaler Schrott verkauft werden."
Können Bauteile nicht komplett von strahlendem Material gereinigt werden, müssen Sie auf einer speziellen Deponie endgelagert und überwacht werden.
Noch mindestens 23 Jahre wird es dauern, bis vom Kernkraftwerk Ingalina nichts mehr zu sehen sein wird. Momentan hinken die Arbeiten dem Zeitplan aber deutlich hinterher. Die aktuell auf drei Milliarden Euro geschätzten Kosten könnten deutlich steigen. Und die Kosten für die Endlagerung des hochradioaktiven Abfalls sind noch nicht einmal mit eingerechnet.