Literarische Schnitzeljagd durch Lateinamerika
Revolutionäre und Konquistadoren, von Argentinien bis Mexiko: Patrick Deville führt in "Pura Vida" den Leser durch halb Lateinamerika und durch 170 Jahre lateinamerikanischer Geschichte. Es ist eine Geschichte des Scheiterns, der tragischen Irrungen, von aberwitzigen, himmelstürmerischen Plänen, von Visionären und Helden, Freiheitskämpfern und heillosen Schurken.
"Wer sich der Revolution verschreibt, pflügt das Meer." So schrieb Simon Bolívar im November 1830, einen Monat vor seinem Tod, bei Santa Marta an der kolumbianischen Karibikküste an einen seiner Generäle. Heute stehen auf allen großen Plätzen Lateinamerikas Reiterstatuen von Bolívar, dem Libertador, einem glühenden Verehrer der Französischen Revolution, der einst die Hälfte Lateinamerikas vom spanischen Joch befreite.
30 Jahre später, im September 1860, sieht in Trujillo, an der honduranischen Karibikküste, ein Mann, der bis heute als der meistgehasste Nordamerikaner in Zentralamerika gilt, dem Tod ins Auge. William Walker, ein verwöhnter Junge aus Nashville, Tennessee, Arzt, Journalist und Abenteurer, ein eingefleischter Sezessionist, glühender Anhänger der Konföderation und des Sklavenhaltertums, der fast ein Jahrzehnt lang mit seinen Söldnerhaufen Mexiko, Nicaragua, El Salvador und Honduras verwüstet hat, wird nach dem Scheitern seines letzten ausweglosen Unternehmens kurzerhand am Strand füsiliert.
Am 14. Juli 1989, zweihundert Jahre nach Beginn der Französischen Revolution, stehen die kubanischen Generäle Arnaldo Ochoa und Antonio de la Guardia, zwei der getreuesten Militärs des Fidel Castro, in Havanna vor einem Erschießungskommando. Der Máximo Líder opfert die beiden Tapfersten der Tapferen, als die florierenden Kokaingeschäfte Kubas ruchbar werden, um selbst den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
"Pura Vida", das pralle Leben, hat der französische Autor Patrick Deville seinen Reiseroman genannt, in dem er den Leser quer durch Lateinamerika, vor allem aber durch 170 Jahre lateinamerikanische Geschichte führt. Es ist eine Geschichte des Scheiterns, der tragischen Irrungen, eine Geschichte von aberwitzigen, himmelstürmerischen Plänen, von Visionären und Helden, Freiheitskämpfern, die sich von der erkämpften Freiheit korrumpieren lassen, und heillosen Schurken.
Es ist keineswegs eine Biographie von William Walker, diesem letzten der Konquistadoren, sondern eher eine Art Schnitzeljagd durch einen Teil der Welt, der erst von den spanischen Eroberern, dann von den eigenen Machthabern, von nordamerikanischen Unternehmern und schließlich von Rebellen wider die von den USA gestützten einheimischen Diktatoren ausgeplündert wurde.
Eine Spurensuche, die von den Bars von Buenos Aires, wo Che Guevara einst zu seiner Motorradfahrt quer durch den Kontinent aufbrach, bis zu jenem Straßengraben in Managua führt, in dem 1934 Augusto César Sandino ermordet wurde, von den heruntergekommenen Hotels in Havanna bis zum malerischen Café Paradiso in der honduranischen Hauptstadt Tegucigalba, einem Lokal, das sich wie kaum ein anderes für die Lektüre der Zeitungen eignet, anhand derer der Autor den Leser durch Zeit und Raum führt.
"Pura Vida", diese Geschichte vom Leben und Sterben der Träumer und Poeten, der Spinner, Verräter und Gewaltherrscher, und sein Autor, der 1957 geborene Journalist Patrick Deville, werden in Frankreich der Strömung des "nouveaux nouveaux roman" zugerechnet, was immer das sein soll. Mit seinem knappen Erzählton, den präzisen Schilderungen von Landschaften und Protagonisten erinnert er eher an die große angelsächsische Reiseliteratur. Zumal sich Deville durchaus dichterische Freiheiten erlaubt, wenn er zum Beispiel Victor einführt, den Mann, der eines Tages an der Pazifikküste von Panama aufwacht und das Gedächtnis verloren hat. Ist er einer der vergessenen Commandantes der vielen Revolutionen in den Ländern, von deren Einheit Simon Bolívar einst träumte?
Rezensiert von Georg Schmidt
Patrick Deville: Pura Vida, Leben und Sterben des William Walker
Aus dem Französischen von Holger Fock
Haymon Verlag, Innsbruck-Wien 2007
304 S., 19 Euro 90
30 Jahre später, im September 1860, sieht in Trujillo, an der honduranischen Karibikküste, ein Mann, der bis heute als der meistgehasste Nordamerikaner in Zentralamerika gilt, dem Tod ins Auge. William Walker, ein verwöhnter Junge aus Nashville, Tennessee, Arzt, Journalist und Abenteurer, ein eingefleischter Sezessionist, glühender Anhänger der Konföderation und des Sklavenhaltertums, der fast ein Jahrzehnt lang mit seinen Söldnerhaufen Mexiko, Nicaragua, El Salvador und Honduras verwüstet hat, wird nach dem Scheitern seines letzten ausweglosen Unternehmens kurzerhand am Strand füsiliert.
Am 14. Juli 1989, zweihundert Jahre nach Beginn der Französischen Revolution, stehen die kubanischen Generäle Arnaldo Ochoa und Antonio de la Guardia, zwei der getreuesten Militärs des Fidel Castro, in Havanna vor einem Erschießungskommando. Der Máximo Líder opfert die beiden Tapfersten der Tapferen, als die florierenden Kokaingeschäfte Kubas ruchbar werden, um selbst den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
"Pura Vida", das pralle Leben, hat der französische Autor Patrick Deville seinen Reiseroman genannt, in dem er den Leser quer durch Lateinamerika, vor allem aber durch 170 Jahre lateinamerikanische Geschichte führt. Es ist eine Geschichte des Scheiterns, der tragischen Irrungen, eine Geschichte von aberwitzigen, himmelstürmerischen Plänen, von Visionären und Helden, Freiheitskämpfern, die sich von der erkämpften Freiheit korrumpieren lassen, und heillosen Schurken.
Es ist keineswegs eine Biographie von William Walker, diesem letzten der Konquistadoren, sondern eher eine Art Schnitzeljagd durch einen Teil der Welt, der erst von den spanischen Eroberern, dann von den eigenen Machthabern, von nordamerikanischen Unternehmern und schließlich von Rebellen wider die von den USA gestützten einheimischen Diktatoren ausgeplündert wurde.
Eine Spurensuche, die von den Bars von Buenos Aires, wo Che Guevara einst zu seiner Motorradfahrt quer durch den Kontinent aufbrach, bis zu jenem Straßengraben in Managua führt, in dem 1934 Augusto César Sandino ermordet wurde, von den heruntergekommenen Hotels in Havanna bis zum malerischen Café Paradiso in der honduranischen Hauptstadt Tegucigalba, einem Lokal, das sich wie kaum ein anderes für die Lektüre der Zeitungen eignet, anhand derer der Autor den Leser durch Zeit und Raum führt.
"Pura Vida", diese Geschichte vom Leben und Sterben der Träumer und Poeten, der Spinner, Verräter und Gewaltherrscher, und sein Autor, der 1957 geborene Journalist Patrick Deville, werden in Frankreich der Strömung des "nouveaux nouveaux roman" zugerechnet, was immer das sein soll. Mit seinem knappen Erzählton, den präzisen Schilderungen von Landschaften und Protagonisten erinnert er eher an die große angelsächsische Reiseliteratur. Zumal sich Deville durchaus dichterische Freiheiten erlaubt, wenn er zum Beispiel Victor einführt, den Mann, der eines Tages an der Pazifikküste von Panama aufwacht und das Gedächtnis verloren hat. Ist er einer der vergessenen Commandantes der vielen Revolutionen in den Ländern, von deren Einheit Simon Bolívar einst träumte?
Rezensiert von Georg Schmidt
Patrick Deville: Pura Vida, Leben und Sterben des William Walker
Aus dem Französischen von Holger Fock
Haymon Verlag, Innsbruck-Wien 2007
304 S., 19 Euro 90