Literarischer Adelstitel an eine Sprachvirtuosin
Der bedeutendste Preis der deutschen Literatur, der Georg-Büchner-Preis, geht in diesem Jahr an die Schriftstellerin Brigitte Kronauer. Dies gab die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt bekannt. Deutschlandradio Kultur sprach mit dem Literaturkritiker Helmut Böttiger über die Preisträgerin.
Meyer: 1980 hat Christa Wolf den Büchner-Preis bekommen, Sie haben sie gerade zuletzt gehört. Und auch in diesem Jahr bekommt eine Frau den Büchner-Preis, das wurde vor einer halben Stunde etwa bekannt: Brigitte Kronauer ist die diesjährige Preisträgerin. Bei uns im Studio ist jetzt der Literaturkritiker Helmut Böttiger. Was sagen Sie zu dieser Entscheidung? Sagen Sie: Eine ordentliche Entscheidung oder eine wunderbare Wahl?
Böttiger: Es ist schon eine sehr schöne Wahl und die erste Reaktion war, dass Brigitte Kronauer ja auch den Breitbach-Preis bekommen hat, das ist ein Preis aus dem Nachlass von Joseph Breitbach, einem sehr reichen Mann und Schriftsteller, der der höchstdotierte Preis plötzlich in Deutschland war und den Büchner-Preis von daher materiell übertrumpft hat und die erste Preisträgerin war eben Brigitte Kronauer. Und damals dachte man, wer also diesen Breitbach-Preis, der kurzzeitig als Konkurrenz zum Büchner-Preis in der Öffentlichkeit erschien, wer den bekommt, der hat dann keine Chance mehr, den Büchner-Preis zu kriegen. Und von daher ist das jetzt eine wunderbare Entscheidung, dass endlich dieser scheinbare Konkurrenzkampf zwischen Breitbach-Preis und hochdotiertem Büchner-Preis ad acta gelegt wird, dass das Büchner-Preis-Komitee sich über solche kleinlichen Erwägungen hinwegsetzt.
Meyer: Das heißt, Brigitte Kronauer hatte auch niemand auf der Liste, die war jetzt gar nicht mehr in der engeren Wahl für die Beobachter?
Böttiger: Das ist beim Büchner-Preis relativ schwierig. Es gibt da immer Voraussagen, wer auf der Liste steht, es gibt da ominöse Gerüchte, dass immer so zehn bis 15 Namen ausdiskutiert werden und die Jury-Mitglieder darüber beraten. Kronauer hat tatsächlich durch den Breitbach-Preis wahrscheinlich so den Leumund gehabt: Na ja, jetzt kriegt sie nicht noch den Büchner-Preis, obwohl es eigentlich überfällig ist. Also sie ist in ihrer Generation, in ihrer Schreibart auf jeden Fall eine der ganz herausragenden deutschsprachigen Autoren und das Schöne ist, dass sie nicht in den 70er Jahren mit einem ganz großen Wurf - so vergleichbar mit Grass "Die Blechtrommel" - angefangen hat, sondern sich tatsächlich jahrelang in der Alternativszene, die es damals gab in den 70er Jahren, in den kleinen Zeitschriften so, ja, ein bisschen so hochgeschrieben hat. Sie war eine Alternativ-Schriftstellerin mit kleinen Erzählungen, ein bisschen auch so mit Frauenliteratur angehaucht, obwohl sie sich sehr darüber lustig gemacht hat und mit diesen ganzen politischen Diskursen überhaupt nichts zu tun hatte. Und erst allmählich, nach Jahren, kam ein erster Band im Verlag Klett-Cotta damals 1980 und erst allmählich schrieb sie sich dann in die größere Öffentlichkeit hinein und hat sich durch große Romane wie "Teufelsbrück" oder "Die Frau in den Kissen", "Berittener Bogenschütze" dann tatsächlich eine Leserschaft erschrieben, die abseits dessen funktioniert, was so realistische Romane, pralle Gegenwartsstoffe bedeuten, sondern sie war sehr surreal, französisch angehaucht, sogar ein bisschen Nouveau Roman kann man sagen. Handlung spielt bei ihr eigentlich keine Rolle, sondern es sind sehr präzise Sprachbilder, die nebeneinander stehen - und die Zeit war jetzt zu kurz, ich hätte mich jetzt gerne ein bisschen in die langen Sätze Brigitte Kronauers eingelesen, um vielleicht einen zu zitieren. Also das sind sehr leichte, lange Sätze, die sehr assoziativ funktionieren und vor allem musikalisch und bildnerisch grundiert sind. Das ist nicht die übliche Prosa mit praller Handlung.
Meyer: Wenn man jetzt Brigitte Kronauer entdecken will, die Büchner-Preis-Trägerin: Zu welchem Buch würden Sie raten an erster Stelle?
Böttiger: Vielleicht das letzte Buch "Verlangen nach Musik und Gebirge", das ist, ich glaube, im letzten Herbst erschienen, und vielleicht hat auch die Resonanz auf dieses Buch den Ausschlag gegeben, dass Brigitte Kronauer jetzt tatsächlich mit diesem höchsten Adelstitel ausgezeichnet wird. Weil, es war auch recht umstritten. In diesem Buch hat sie ihre Schreibweise perfektioniert, hat sehr augenzwinkernd romantische Traditionen, bildnerische Traditionen beschrieben, eine Künstlergruppe mit vielen Andeutungen auf so künstlerische Spezies, Anspielungen auf die Kunst- und Musikgeschichte. Also es ist nicht leicht zu lesen. Und da hat sie auf der einen Seite ihre Schreibweise perfektioniert, auf der anderen Seite gab es erste Stimmen, die sagten, das ist nicht so handlungsträchtig, und es gab kritische Stimmen, dass sie nicht zum Punkt kommt. Und ich glaube, an dieser Stelle ist der Büchner-Preis genau richtig, um zu zeigen, dass hier eine sehr eigenständige Autorin existiert.
Meyer: Sagen Sie uns noch ein Wort zum Büchner-Preis. Man sagt immer, es ist der bedeutendste Preis für die deutschsprachige Literatur. Man kann ins Grübeln kommen, aber wenn man daran denkt, es könnte auch einen Goethe-Preis geben, es könnte einen Schiller-Preis geben - warum ist gerade der Büchner-Preis zum wichtigsten Preis geworden?
Böttiger: Es hängt sehr an der Institution Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, die nach dem Zweiten Weltkrieg wieder gegründet wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg in Darmstadt war das auch das Zeichen dafür, sich auf eine deutsche Kulturnation in gewisser Weise zu besinnen. Und Darmstadt als Sitz dieser Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung - da lag es nahe, den Georg Büchner als Namenspatron weiter zu pflegen, weil Georg Büchner ist eben aus Goddelau bei Darmstadt. Und es hat sich als sehr glückliche Wahl herausgestellt, die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung gilt von vornherein als so das intellektuelle Zentrum, ein bisschen wie die Académie française. Und dass der Preis Büchner-Preis heißt, steht auch in einer deutschen Tradition, die sich wohltuend abhebt von ein bisschen so verklausulierten, alten, katakombenartigen Literaturverehrern.
Service:
Zu den bekannten Romanen der 1940 in Essen geborenen und seit den siebziger Jahren in Hamburg lebenden Autorin gehören unter anderem "Die Frau in den Kissen" (1990), "Teufelsbrück" (2000) und "Verlangen nach Musik und Gebirge" (2004). Bereits mit ihrem Debütroman "Frau Mühlenbeck im Gehäus" (1980) erzielte sie den Durchbruch. Brigitte Kronauer wurde mit zahlreichen Literaturauszeichnungen wie dem Joseph-Breitbach-Preis (1998) bedacht.
Der Büchner-Preis, der mit 40.000 Euro dotiert ist, wird ihr am 5. November in Darmstadt verliehen. Im Jahr 2004 ging die Auszeichnung an den Schriftsteller Wilhelm Genazino.
Link:
Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung: Georg-Büchner-Preis
Böttiger: Es ist schon eine sehr schöne Wahl und die erste Reaktion war, dass Brigitte Kronauer ja auch den Breitbach-Preis bekommen hat, das ist ein Preis aus dem Nachlass von Joseph Breitbach, einem sehr reichen Mann und Schriftsteller, der der höchstdotierte Preis plötzlich in Deutschland war und den Büchner-Preis von daher materiell übertrumpft hat und die erste Preisträgerin war eben Brigitte Kronauer. Und damals dachte man, wer also diesen Breitbach-Preis, der kurzzeitig als Konkurrenz zum Büchner-Preis in der Öffentlichkeit erschien, wer den bekommt, der hat dann keine Chance mehr, den Büchner-Preis zu kriegen. Und von daher ist das jetzt eine wunderbare Entscheidung, dass endlich dieser scheinbare Konkurrenzkampf zwischen Breitbach-Preis und hochdotiertem Büchner-Preis ad acta gelegt wird, dass das Büchner-Preis-Komitee sich über solche kleinlichen Erwägungen hinwegsetzt.
Meyer: Das heißt, Brigitte Kronauer hatte auch niemand auf der Liste, die war jetzt gar nicht mehr in der engeren Wahl für die Beobachter?
Böttiger: Das ist beim Büchner-Preis relativ schwierig. Es gibt da immer Voraussagen, wer auf der Liste steht, es gibt da ominöse Gerüchte, dass immer so zehn bis 15 Namen ausdiskutiert werden und die Jury-Mitglieder darüber beraten. Kronauer hat tatsächlich durch den Breitbach-Preis wahrscheinlich so den Leumund gehabt: Na ja, jetzt kriegt sie nicht noch den Büchner-Preis, obwohl es eigentlich überfällig ist. Also sie ist in ihrer Generation, in ihrer Schreibart auf jeden Fall eine der ganz herausragenden deutschsprachigen Autoren und das Schöne ist, dass sie nicht in den 70er Jahren mit einem ganz großen Wurf - so vergleichbar mit Grass "Die Blechtrommel" - angefangen hat, sondern sich tatsächlich jahrelang in der Alternativszene, die es damals gab in den 70er Jahren, in den kleinen Zeitschriften so, ja, ein bisschen so hochgeschrieben hat. Sie war eine Alternativ-Schriftstellerin mit kleinen Erzählungen, ein bisschen auch so mit Frauenliteratur angehaucht, obwohl sie sich sehr darüber lustig gemacht hat und mit diesen ganzen politischen Diskursen überhaupt nichts zu tun hatte. Und erst allmählich, nach Jahren, kam ein erster Band im Verlag Klett-Cotta damals 1980 und erst allmählich schrieb sie sich dann in die größere Öffentlichkeit hinein und hat sich durch große Romane wie "Teufelsbrück" oder "Die Frau in den Kissen", "Berittener Bogenschütze" dann tatsächlich eine Leserschaft erschrieben, die abseits dessen funktioniert, was so realistische Romane, pralle Gegenwartsstoffe bedeuten, sondern sie war sehr surreal, französisch angehaucht, sogar ein bisschen Nouveau Roman kann man sagen. Handlung spielt bei ihr eigentlich keine Rolle, sondern es sind sehr präzise Sprachbilder, die nebeneinander stehen - und die Zeit war jetzt zu kurz, ich hätte mich jetzt gerne ein bisschen in die langen Sätze Brigitte Kronauers eingelesen, um vielleicht einen zu zitieren. Also das sind sehr leichte, lange Sätze, die sehr assoziativ funktionieren und vor allem musikalisch und bildnerisch grundiert sind. Das ist nicht die übliche Prosa mit praller Handlung.
Meyer: Wenn man jetzt Brigitte Kronauer entdecken will, die Büchner-Preis-Trägerin: Zu welchem Buch würden Sie raten an erster Stelle?
Böttiger: Vielleicht das letzte Buch "Verlangen nach Musik und Gebirge", das ist, ich glaube, im letzten Herbst erschienen, und vielleicht hat auch die Resonanz auf dieses Buch den Ausschlag gegeben, dass Brigitte Kronauer jetzt tatsächlich mit diesem höchsten Adelstitel ausgezeichnet wird. Weil, es war auch recht umstritten. In diesem Buch hat sie ihre Schreibweise perfektioniert, hat sehr augenzwinkernd romantische Traditionen, bildnerische Traditionen beschrieben, eine Künstlergruppe mit vielen Andeutungen auf so künstlerische Spezies, Anspielungen auf die Kunst- und Musikgeschichte. Also es ist nicht leicht zu lesen. Und da hat sie auf der einen Seite ihre Schreibweise perfektioniert, auf der anderen Seite gab es erste Stimmen, die sagten, das ist nicht so handlungsträchtig, und es gab kritische Stimmen, dass sie nicht zum Punkt kommt. Und ich glaube, an dieser Stelle ist der Büchner-Preis genau richtig, um zu zeigen, dass hier eine sehr eigenständige Autorin existiert.
Meyer: Sagen Sie uns noch ein Wort zum Büchner-Preis. Man sagt immer, es ist der bedeutendste Preis für die deutschsprachige Literatur. Man kann ins Grübeln kommen, aber wenn man daran denkt, es könnte auch einen Goethe-Preis geben, es könnte einen Schiller-Preis geben - warum ist gerade der Büchner-Preis zum wichtigsten Preis geworden?
Böttiger: Es hängt sehr an der Institution Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, die nach dem Zweiten Weltkrieg wieder gegründet wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg in Darmstadt war das auch das Zeichen dafür, sich auf eine deutsche Kulturnation in gewisser Weise zu besinnen. Und Darmstadt als Sitz dieser Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung - da lag es nahe, den Georg Büchner als Namenspatron weiter zu pflegen, weil Georg Büchner ist eben aus Goddelau bei Darmstadt. Und es hat sich als sehr glückliche Wahl herausgestellt, die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung gilt von vornherein als so das intellektuelle Zentrum, ein bisschen wie die Académie française. Und dass der Preis Büchner-Preis heißt, steht auch in einer deutschen Tradition, die sich wohltuend abhebt von ein bisschen so verklausulierten, alten, katakombenartigen Literaturverehrern.
Service:
Zu den bekannten Romanen der 1940 in Essen geborenen und seit den siebziger Jahren in Hamburg lebenden Autorin gehören unter anderem "Die Frau in den Kissen" (1990), "Teufelsbrück" (2000) und "Verlangen nach Musik und Gebirge" (2004). Bereits mit ihrem Debütroman "Frau Mühlenbeck im Gehäus" (1980) erzielte sie den Durchbruch. Brigitte Kronauer wurde mit zahlreichen Literaturauszeichnungen wie dem Joseph-Breitbach-Preis (1998) bedacht.
Der Büchner-Preis, der mit 40.000 Euro dotiert ist, wird ihr am 5. November in Darmstadt verliehen. Im Jahr 2004 ging die Auszeichnung an den Schriftsteller Wilhelm Genazino.
Link:
Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung: Georg-Büchner-Preis