Andor Endre Gelléri: "Stromern"
Aus dem Ungarischen von Timea Tanko
Mit einem Nachwort von György Dalos
Guggolz Verlag: Berlin 2018
272 Seiten, 24 Euro
Andor Endre Gelléri: "Stromern"
In den Dreißigerjahren ziehen mittellose Männer durch Ungarn. Den Reichen fürchten sie, doch Andor Endre Gelléri schreibt über sie einfühlsam und zugewandt. Voller Sympathie, Farbe und Geruch. Vielleicht auch weil Gelléri einst in Not geriet.
"Stromern" heißt der Erzählungsband des Ungarn Andor Endre Gelléri, denn Stromern ist die vorherrschende Bewegungsform in ihm. Die Menschen, von denen Gelléri erzählt, haben nämlich keine Muße. Daher spazieren sie nicht. Sie leiden auch nicht am Ich, deshalb flanieren sie nicht. Sie stromern, sie sind anderen ein wenig verdächtig, vor allem denen, denen es recht gut geht, die etwas zu verlieren haben.
Denn sie haben nichts, sie haben nichts zu tun und sie haben nichts im Bauch. Sie sind in den Dreißigerjahren, in den Jahren nach der Weltwirtschaftskrise, bitterarm, und ihren Schicksalen verleiht der Ungar Gelléri voller Sympathie, Farbe und Geruch, Individualität und Würde, und siehe da: Eintönig ist Armut nicht, abstoßend sowieso nicht. Dieser Andor Endre Gelléri muss ein überaus freundlicher Mensch gewesen sein, und diese Zugewandtheit zum oft und gern Übersehenen macht das schön und schlicht gestaltete Buch mit 31 Erzählungen sehr besonders.
Der hierzulande lange vergessene Autor kannte sich mit der Armut aus. Er hat Zeit seines Lebens selbst in verschiedensten Berufen geackert, neben dem Schreiben, und als Jude geriet er in den Dreißigerjahren zudem in Lebensgefahr. Einen "feenhaften Realisten" hat man Gelléri genannt, und tatsächlich sind seine Erzählungen gewirkt aus präzis beobachtetem Elend und einem manchmal märchenhaften Ton, der allerdings nichts beschönigt oder keine sagenhafte Errettung aus der Misere verspricht.
Das ist das richtige Buch für meinen Onkel, der gern zeithistorische Werke liest – hier kann er sozusagen das Innenfutter der großen Ereignisse wie der Weltwirtschaftskrise und des Faschismus betrachten, erzählt in einer klaren und warmen Sprache, voller Sympathie, aber ohne Sentiment angesichts der oft erschreckenden Armut.