Emmanuèle Bernheim: Alles ist gut gegangen
Aus dem Französischen von Angela Sanmann
Hanser Verlag, Berlin 2014
208 Seiten, 18,90 Euro
Hilfe zum Sterben
Ein schwerkranker Vater bittet seine Tochter, ihm beim Freitod zu helfen. Von den extremen Auswirkungen dieser Entscheidung erzählt die Schriftstellerin Emmanuèle Bernheim in ihrem persönlichen Bericht "Alles ist gut gegangen".
Über dem Ganzen schwebt ein deutsches Wort. Es fällt etwa in der Mitte des schmalen, locker gesetzten Bandes und lautet: Selbstbestimmung. Das ist es, was eine Schweizer Gesellschaft bis zum Ende bieten möchte, an die sich die Autorin wendet, nachdem ihr Vater ihr mitgeteilt hat, dass er "Schluss machen" will.
Das Thema Sterbehilfe ist kein Tabu mehr, bleibt aber heftig umstritten, wie die öffentliche Diskussion der letzten Monate wieder einmal gezeigt hat. Emmanuèle Bernheims Buch ist nicht etwa ein Beitrag zu dieser Debatte, sondern vielmehr ein sehr persönlicher literarischer Erfahrungsbericht, das Protokoll von erlebter Verantwortung und der dabei erlittenen Not einer Tochter, die dem Willen ihres Vaters nach Selbstbestimmung gerecht werden will. Das ist nicht einfach in unserer Gesellschaft - organisatorisch nicht, juristisch nicht und schon gar nicht emotional.
Man kann den alten Bernheim verstehen. Fast 89, Schlaganfall, Inkontinenz, Lähmungen. Und da war immer schon dieser melancholische Zug des homosexuell veranlagten Lebemanns, der im Krankenhaus den Pflegern hinterherschaut. Er hat sich entschieden und verlangt von der Tochter, ihm zu helfen. Eine Zumutung, der die sich nicht entziehen kann. Immerhin hat sie eine Schwester, Pascale, ihr ist das Buch gewidmet, sie steht ihr bei, weitgehend zumindest.
Emotional nicht sentimental
Emmanuèle Bernheim, Jahrgang 1955, ist ein versierter Profi im Beschreiben von Emotionen und im Evozieren von Bildern. Sie arbeitet als Drehbuchautorin ("Swimming Pool"), ihre bisher erschienenen Romane (zuletzt "Stallone", 2003) wurden vor allem in ihrer Heimat Frankreich gefeiert. Die vielerprobte Kunstfertigkeit schützt die Autorin weitgehend davor, den emotionalen Extremsituationen der persönlichen Geschichte allzu sentimental auf den Grund zu gehen. Eingebettet in die umtriebigen Monate der Erfüllung des letzten väterlichen Wunsches sind Erinnerungen an die Kindheit, die Familie, das Leben. Wie in einem wohl kalkulierten Drehbuch sind überraschend viele komische Momente gesetzt und absurde Situationen pointiert. Bernheim schreibt in knappen, klaren Sätzen, sie setzt auf Tempowechsel und auf das Gegeneinander von gefühlsgesättigten Reflexionen und akribisch notierten Details wie beispielsweise das flackernde Neonlicht im Krankenhaus. Überhaupt leuchtet sie ihre Szenen gern aus wie Filmsets, gerade dann, wenn es emotional ans Eingemachte geht.
Dass es "gut gehen" wird, verrät schon der Titel. Und doch ist das Buch spannend wie ein fiktionaler Stoff. Bernheim legt falsche Fährten, wenn es um die Frage geht, wer sie bei der Polizei angezeigt hat. Und die Fahrer des Krankenwagens, der den Todeskandidaten in die Schweiz befördert, wollen sich als gläubige Muslime dem Vorhaben im letzten Moment noch verweigern.
Die Spannung zwischen Professionalität und Intimität verleiht dem Text einen eigenwilligen Status und Charakter. Am Ende bleiben eher die Personen in Erinnerung als das Thema. Das macht den autobiografischen Bericht zum lesenswerten literarischen Versuch.