Literarischer Einsiedler

Von Sigried Wesener |
Der Romancier, Essayist und Herausgeber Günter de Bruyn wird am 1. November 80 Jahre alt. Mitte der 60er Jahre zog sich de Bruyn in die Mark Brandenburg zurück. Hier wurde er von den argwöhnischen DDR-Kulturfunktionären in Ruhe gelassen und konzentrierte sich auf die Beobachtung von Menschen und Landschaft.
"In gewisser Weise ist das auch meine Position als Schriftsteller immer gewesen, dass ich mich, um genauer beobachten zu können, gerne im Abseits bewege."

De Bruyn hat - wie er schreibt - "in seiner Ecke geschwiegen", sich das Etikett eines "politisch Unbedarften" anhängen lassen, war von Kulturpolitikern beargwöhnt, aber in Ruhe gelassen, obwohl er den Brief gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 mit unterschrieben hatte.

Sein - wie er sagt - "persönlicher Kompromiss" führte ihn in die bewusst gewählte Einöde, die seinen Blick auf den Landstrich und seine Bewohner nicht getrübt hat. Er misstraute den Tageslosungen und schaute genau hin und unter die Oberfläche:

"Ja, historisches Denken zu fördern, nicht damit zufrieden zu geben, was heute ist, sondern es irgendwie in einen historischen Rahmen zu stellen."

De Bruyn wollte wissen, in welchem Maße die große Politik das Leben beeinflusste. Er entdeckte beispielsweise im Protokollbuch der Gemeindevertretung Notizen über das Wahlverhalten der Görsdorfer in den 30er Jahren.

"Über Endmoränen und slawische Scherben weiß man mehr", schreibt er, "als über die Hitler- und die DDR-Jahre". Wenn man sein schriftstellerisches Werk betrachtet, wird deutlich, dass Günter de Bruyn in den zurückliegenden Jahren vorrangig dokumentarische Prosa geschrieben hat: über Preußens Luise, über die Finkensteins, über Berlins Prachtstraße "Unter den Linden" und in seinen autobiografischen Notizen.

"Auf jeden Fall reizt mich heutzutage mehr als das Fiktionale das Dokumentarische und der Idealfall ist, indem ich das Dokumentarische erzählerisch aufbereiten kann. Das ist, was mir so vorschwebt."

De Bruyn zeigt in seinem Buch, wie man eine Landschaft sehen kann. Er schreibt es nicht vor. Fragend tastet der gebürtige Berliner die Umgebung ab, sieht verfallene Mauern, aufgegebene Wege, Windkrafträder.

Er reibt sich an seinem großen "Vorgänger" Fontane, der sich in der Beeskower Gegend mit dem Besuch von zwei Adelssitzen begnügte, an Tieck und Kleist, die die Umgebung "trostlos und langweilig" nennen.

"Ja, auch wenn ich durch Berlin gehe, da interessiert mich immer daran, wer ist da vor 100 Jahren mal gegangen oder, was ist hier passiert, dass ich mich dafür interessiere, was für Leute das waren, die vor mir mal in diesen Mauern gewohnt haben, das ist mir selbstverständlich. Und da ich das Glück hatte, dass ich noch schriftliche Überbleibsel finden konnte, da hat sich in mir so ein Bild gebildet, dass ich so 'n bisschen wie mit Verwandten mitlebe."