Literatur aus dem Pop-Up-Store

Schreiben für den guten Zweck

05:48 Minuten
Drei SchriftstellerInnen sitzen am Fenster in einem Ladengeschäft und schreiben auf alten Reiseschreibmaschinen.
Im Berliner Brecht-Haus sitzen die SchriftstellerInnen und sammeln mit ihrer Arbeit Spenden für Pro Asyl. © Étienne Roeder
Von Etienne Roeder |
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Gegen eine Spende für Pro Asyl schreiben junge Literaturschaffende Liebesbriefe, individuelle Horoskope, Gedichte oder einen Kurzkrimi. Beauftragen kann sie jeder. Im Berliner Brecht-Haus haben sie ihre Schreibwerkstatt eingerichtet.
Ein riesiger Samtvorhang im Farbton Safran leuchtet an der Wand des Literaturforums im Brecht-Haus. Hier befand sich einst der Laden, in dem Bert Brecht und seine Frau Helene Weigel ihre Rauchwaren erwarben, gleich nebenan, der Dorotheenstädtische Friedhof, auf dem sie begraben liegen.
"Oh nein, jetzt gibt´s die Null wieder nicht!", sagt die Autorin Lea Schneider. Ihre Kollegin Isabell Wanger weiß Rat: "Das große O ist die Null und für die eins ein kleines L oder großes I."

"Schmähreden schreiben wir besonders gern"

Vor dem eindrucksvollen Vorhang stehen auf vier karg ausgestatteten Schreibtischen alte Schreibmaschinen, Remineszenzen an die Zeit, als Brecht hier wirkte. Während seiner Jahre im Exil war er zeitweilig auf Spenden angewiesen, und so passt der Pop-Up-Store ziemlich gut in das ehrwürdige Gebäude in der Berliner Chausseestraße 125. Worum es dabei geht, erklärt die Schriftstellerin Paula Fürstenberg.
"Man kann einfach herkommen oder uns eine Mail schreiben oder uns anrufen und sich einen Text wünschen, entweder für sich selber oder für jemanden, dem man diesen Text schenken möchte. Es funktioniert so, dass man sich eine Textsorte aussucht, also es kann ein Brief sein, eine Geschichte, ein Gedicht, eine Horoskop, ein Orakelspruch, eine Schmährede - Schmähreden schreiben wir besonders gerne - zudem wir dann ein paar Stichworte brauchen. Und dann legen wir los und innerhalb von 30 bis 45 Minuten entsteht ein Text."
Texte, die in ihrer Spontaneität Literatur und Aktionskunst miteinander verweben. Die Idee dazu hatten die beiden Schweizer Autorinnen Gianna Molinari und Julia Weber, die das Projekt bereits 2015 in Zürich gegründet haben. Gemeinsam mit der Autorin Isabell Wanger hat Paula Fürstenberg die Schreibwerkstatt als Pop-Up-Store nun ins Berliner Literaturforum im Brecht-Haus geholt.
Eine junge Frau sitzt am Tisch vor einer Schreibmaschine und macht sich handschriftlich Notizen.
Die Schriftstellerinnen treffen sich täglich sechs Stunden und schreiben Texte für verschiedene Auftraggeber.© Étienne Roeder
Insbesondere das Erstarken rechtspopulistischer Positionen hat die LiteratInnen motiviert, ihren Schreibtisch zu verlassen, und unter dem Namen "Literatur für das, was passiert" schreibt das Kollektiv nicht zum ersten Mal für einen guten Zweck. Dieses Mal geht der Erlös der Texte als Spende an die Organisation "Pro Asyl", erzählt Paula Fürstenberg.
"Jetzt war es uns wichtig, eine Organisation zu unterstützen, die sowohl sehr konkrete Hilfe leistet als auch ´ne breite politische Arbeit macht. Wir unterstützen gerne auch lokale Initiativen, Nachbarschaftsinitiativen. Wir haben auch schon für die Seenotrettung geschrieben, also wir schauen auch immer, wo es gerade brennt, oder in dem Fall auch jetzt, wo es gesellschaftlich zu wenig brennt."

Die analoge Schreibmaschine ist eine Herausforderung

Der Geschäftsführer von "Pro Asyl", Günter Burkhardt, verwies bei der Eröffnungsveranstaltung darauf, dass es momentan um viel mehr gehe, als um offene oder geschlossene Grenzen, sondern um die Frage, ob in Europa noch individuelle Menschenrechte gelten.
Für die Schriftstellerinnen gilt es zu Beginn vor allem noch, sich auf das analoge Medium Schreibmaschine einzulassen, um die spontanen Textwünsche in eine Form zu bringen. Auf Lea Schneiders Arbeitsplatz wackelt der Milchkaffee in der Tasse, während sie an einer Maschine Typ Hermes Baby gerade einen Auftrag bearbeitet.
Eine junge Frau schreibt an einer alten Reiseschreibmaschine.
Das Erstarken rechtspopulistischer Positionen hat die LiteratInnen motiviert, ihren Schreibtisch zu verlassen und sich zu engagieren.© Étienne Roeder
"Die macht es einem nicht so einfach, die hat weder eine eins, noch eine Null, noch einen Akzent. Und ich habe vorhin eine französische Adresse getippt, weil ich eine Vorladung an Horst Seehofer an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg geschrieben hab. Und das war natürlich ohne Akzent relativ schwierig, eine Allee zu schreiben, aber man hilft sich halt."
Der Wunsch zu genau diesem Text kam von "Pro Asyl", und bei Wünschen mit konkreter politischer Message, so beschreibt es Lea Schneider, einen eigenen Ton zu finden, sei die größte Herausforderung.
"Ich hab mir dann überlegt, ob ich versuche zu argumentieren, Fallgeschichten zu erzählen, oder an seine christlichen Werte zu appellieren. Aber das war mir viel zu ernst genommen. Und das was Literatur kann, im Gegensatz zu politischem Aktivismus, ist ins Fiktionale zu gehen und etwas Utopisches zu machen. Und mich selber zu ermächtigen eine Vorladung von der Adresse des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu machen, ist dann genau das, was funktioniert. Ja, und jetzt schreibe ich ein Horoskop mit sehr vielen Stichworten für eine Schreibwerkstatt für Jugendliche in Marzahn."