Der Film „Töchter“ nach dem gleichnamigen Roman von Lucy Fricke kam im Herbst 2021 in die Kinos und ist ab April 2022 digital verfügbar. „Der Roman hat sich über die Zeit 100.000 Mal verkauft“, erzählt die Autorin. „Den Trailer hatten innerhalb von drei Tagen eine Million Leute gesehen. Die Reichweite ist ganz anders.“
Der Reiz des filmischen Erzählens
„Funeral for a dog” nach dem Roman “Bestattung eines Hundes“ von Thomas Pletzinger läuft ab Mitte März 2022 auf Sky. Pletzinger sagt: „Die Realität ist, dass ich, seit ich damit angefangen habe, nur noch das mache. Ich denke zwar ab und zu an meine Romanprojekte und hier und da schreibe ich auch mal eine Seite. Aber dieses filmische Erzählen, das ist einfach sehr reizvoll.“
Die Verfilmung von Alina Herbings Roman „Niemand ist bei den Kälbern“ hatte ihren Kinostart im Januar 2022. Ihr Agent habe ihr irgendwann Bescheid gesagt, dass es Interesse von einer Produktionsfirma gebe und diese auch eine Regiesseurin habe. "Dann habe ich schnell gesagt, dass ich das gern an die geben würde.“
Enormer Bedarf an verfilmbaren Stoffen
Neben Klassikern wie Stefan Zweigs „Schachnovelle“, Thomas Manns „Felix Krull“ oder Erich Kästners „Fabian“ finden Verfilmungen von Gegenwartsromanen immer häufiger den Weg in die Kinos und auf die Streamingportale. Die Chancen für Autorinnen und Autoren, mit einem erfolgreichen Roman auch den Sprung auf die große Leinwand zu schaffen, waren selten so groß wie heute, meint Fricke.
Grund dafür sei unter anderem der enorme Bedarf der Streamingdienste an verfilmbaren Stoffen: „Natürlich gucken die sich auch die ganzen Romane an, die da sind. Man hat dann schon eine Geschichte. Diese ganze Drehbuchentwicklung verkürzt sich enorm, wenn es einen Roman gibt.“
Vom Roman lösen
Lucy Fricke entschied sich dafür, gemeinsam mit der befreundeten Regisseurin Nana Neul das Drehbuch zu schreiben. Sie brauchte jemanden, der ihr dabei half, sich von ihrem Roman zu lösen, die Geschichte für den Film neu zu durchdenken.
Der Vorteil bei „Töchter“ von Lucy Fricke war, dass der Roman schon viele, pointierte Dialoge enthielt. Doch er beinhaltet auch Reflexionen, Beobachtungen und innere Monologe der Icherzählerin, durch die der Leser erfährt, wie sie die Welt sieht, was sie umtreibt.
Die Möglichkeiten des Films
„Die größte Herausforderung war, diese Erzählstimme rauszunehmen, also irgendwann zu sagen, wir machen keine Off-Stimme“, erzählt die Autorin. „Das ist das Interessante, dass man beim Film eigentlich viel mehr Möglichkeiten hat. Man hat viel mehr Ebenen - die Motive, die Musik, die Einstellungen.“
Nach der Drehbucharbeit und dem Casting hat sich Fricke aus der Produktion des Filmes komplett rausgehalten. Erst ganz zum Schluss der Dreharbeiten besuchte sie ein Set.
„Größenwahn würde ich nicht sagen, na vielleicht doch“, sagt Thomas Pletzinger: „Ab und zu betritt man das Set und denkt natürlich, man wäre Gott - und ist man auch. Natürlich ist man für ein paar Momente irgendwie der Schöpfer des Ganzen.“
Pletzinger war im Gegensatz zu Lucy Fricke häufig vor Ort, als sein Roman „Bestattung eines Hundes“ unter dem englischen Titel „Funeral for a dog“ für Sky als Serie verfilmt wurde: „Aber dann sieht man diese tausend Leute, die da arbeiten, die Lichttechniker und die Kabelträger und die Frau vom Catering, alle machen ihren Job. Das ist toll.“
Serie statt Spielfilm
In „Bestattung eines Hundes“ oder „Funeral for a dog“ fährt der Journalist Daniel Mandelkern zu dem Schriftsteller Svensson, der höchst idyllisch an einem norditalienischen See lebt. Auf dem Weg dorthin trifft Mandelkern auf die attraktive Finnin Tuuli, die ebenfalls auf dem Weg zu Svensson ist, um mit ihrem Sohn ein paar freie Tage im Haus des Schriftstellers zu verbringen, den sie offenbar kennt.
Der Roman ist bereits 2008 erschienen. Mehrere Jahre lang hat Pletzinger versucht, gemeinsam mit einem interessierten Produzenten aus dem Stoff ein Drehbuch für einen Spielfilm zu machen. Er erzählt: „Dieser Roman ist sehr verschachtelt gebaut. Als ich mir die Spielfilmidee für diesen Stoff ausgedacht habe, ist mir klar geworden, dass der Spielfilm für diesen Romanstoff nicht die Form ist, die man wählen sollte, weil das einfach zu komplex ist. Dann habe ich die Möglichkeit in der Serie gesehen, weil man einfach stärkere Querverbindungen zwischen Erzählebenen herstellen kann.“
Pletzinger ist ein großer Fan des seriellen Erzählens. Deshalb war es für ihn bald klar, dass er am Drehbuch mitschreiben will, zumal seine beiden Co-Autoren, Bob Konrad und Hanno Hackfort, befreundete Büronachbarn waren.
Vertrauen in Regisseurin
In dem Debütroman von Alina Herbing „Niemand ist bei den Kälbern“ versucht Christin, eine junge Frau, dem freudlosen Alltag auf dem Bauernhof und den patriarchalen Strukturen zu entfliehen. Kurz nachdem der Roman erschienen war, wurden von ihrer Agentur auch schon die Filmrechte verkauft.
Als Drehbuchautorin wollte sich Herbing an der Verfilmung ihres Romans allerdings nicht beteiligen: „Ich fand das spannender zu sagen: Mach einfach mal, nimm mal diese Figuren und den Text. Ich bin eher die Expertin im Literaturbereich und vertraue der Regisseurin, was die filmische Umsetzung angeht."
Erzählen ohne Ichperspektive
Die Regisseurin Sabrina Sarabi war nach ihrem viel beachteten Spiefilmdebüt „Prélude“ für ihren zweiten Film auf der Suche nach einem Roman, der sich für eine Verfilmung eignen würde. Herbings Roman hatte die Regisseurin auf einer Zugfahrt von Berlin nach Kassel gelesen und wusste bei Ihrer Ankunft, dass sie das Buch verfilmen wollte.
Herbings Roman ist aus der Ichperspektive geschrieben. Er gibt der stillen Christin, die vieles einfach zu erdulden scheint, eine Stimme. Im Film fehlt die Erzählstimme der Protagonistin. So wird die Sprachlosigkeit, von der das Buch erzählt, in der filmischen Umsetzung direkt erlebbar.
„Das finde ich aber auch interessant“, sagt Herbing, „dass so ein Roman, der so komplett auf Sprache basiert, als Film fast ohne Sprache funktionieren kann.“
Hunger nach Geschichten
Auch für erfolgreiche Romanautorinnen und -autoren wie Fricke, Pletzinger und Herbing ist es nicht immer leicht, allein vom Verkauf ihrer Bücher und von Lesungshonoraren den Lebensunterhalt zu bestreiten. Zumal sich die Arbeit an einem Roman meist über Jahre erstreckt. Da bieten das Drehbuchschreiben und der Verkauf von Filmrechten reizvolle Verdienstmöglichkeiten.
Fricke hat nach der Zusammenarbeit mit der Regisseurin Neul Lust auf neue Filmprojekte bekommen. Pletzinger arbeitet bereits an der zweiten Staffel von „Funeral for a dog“ sowie an einer Verfilmung seines Buches „The Great Nowitzki“. Herbing hält das Drehbuchschreiben ebenfalls für eine spannende Herausforderung, denkt allerdings eher an Originaldrehbücher als an Adaptionen literarischer Stoffe.
Es scheint, als könnten sich Filmbranche und Literaturbetrieb ergänzen. Pletzinger findet: „Man beobachtet, dass die Leute nach Geschichten hungern. Die Buchbranche hat zwar an organisatorischen Dingen gelitten, aber die Tatsache, dass Leute Bücher lesen wollen, ist genauso geblieben wie die Tatsache, dass Leute sich Geschichten im Fernsehen angucken wollen oder an ihren Computern oder Handys. Das ist eine Stärkung des Geschichtenerfindens. Das finde ich gut.“
Sprecher: Sara Sommerfeldt und Matti Krause
Regie: Giuseppe Maio
Ton: Christiane Neumann
Redaktion: Dorothea Westphal
- "Töchter" ist ab dem 14. April bei gängigen Streaminganbietern digital erhältlich.
- "Funeral for a dog" startet am 17. März auf Sky.
- "Niemand ist bei den Kälbern" läuft derzeit in den Kinos.