Literatur

Ein sprachbesessener Amerikaner

John E. Woods erhielt 2008 die Goethe-Medaille (hier von der ehemaligen Präsidentin des Instituts).
John E. Woods erhielt 2008 die Goethe-Medaille (l. die ehemalige Präsidentin des Instituts). © dpa / picture alliance / Martin Schutt
Von Gabi Wuttke |
Bücher von Günter Grass, Christoph Ransmayr, Patrick Süßkind oder Ingo Schulze sind nur eine Auswahl von Werken, die John E. Woods ins Englische übertragen hat. Aber seine größte Herausforderung war Arno Schmidts Opus Magnum "Zettels Traum".
„Wenn wir rübergehen... zu 'the big book', wie Arno Schmidt das nennt...“
Das Arbeitszimmer von John E. Woods in seiner Wohnung in Berlin: Schlicht möbliert und akkurat aufgeräumt.
"Der Übersetzer wie der Schriftsteller muss ein ziemlich einsamer Mensch sein. Man sitzt da allein und kämpft sich durch eine unmögliche Aufgabe."
Der 71-Jährige, mit weißem Haarkranz und Bart, die schlanke Figur in kariertem Hemd und sportlicher Hose, hievt die sieben Kilo schwere Originalausgabe von "Zettel’s Traum" vom Schreibtisch auf’s Sofa:
"Also... Lesebrille wäre ja vielleicht nützlich..."
"( ? - :ein langer Kerl – (? : grüne Leder-Jacke, braune Hose) – bum’lde vorbeyfürbaß): „Schöne-milde Luft, Herr PaschnSchdecher – “ / (? - : leck Mich am Arsch-Mensch !). – queer über der Uhr ein sandbrauner Fadn?“
Auf der letzten Seite scheint Arno Schmidt höchstpersönlich durch sein Opus Magnum zu spazieren. Elf Jahre hat es gedauert, bis John E. Woods sich an diese Stelle vorgearbeitet hatte. Begleitet von Frustration, aber auch viel Freude.
"Man hat die Freiheit eines Narren als Übersetzer von Arno Schmidt. Weil das so vielschichtig ist. Und dann fängt man an zu spielen. Man holt die Requisiten dafür, indem man versucht, auch gleichzeitig zu leben, zu erleben und zu lesen. Man muss ein Leser sein. Das bin ich. Aber ich hab auch Freunde, ich hab meine Liebe in der Musik und Oper, Kino, gut essen, gut kochen. Bin Baseballfan. Amerikaner, kann nix dafür.“
So offen wie er lacht, erzählt Woods auch. Von seiner Faszination für Sprache, dieser unendlich formbaren Masse mit einem unkontrollierbaren Eigenleben – das ihn als Übersetzer in immer neue Welten führte.
„Also jetzt muss ich zu der Schachtel hier, wo das alles noch drin ist. Ah: Zweidrittel.... mehr als ich dachte... Gut: 'a tall phello – green leather jacket, brown trousers – stroll’D paston) : Lovely = mild air, Herr PaschnSchdecher – kiss my ass = man – a sandybrown thread across the watch = face?"
Er legt die Blätter wieder in den Karton zurück. Wie ging es ihm, als er mit "Zettel’s Dream" fertig war? Woods, so belesen wie bescheiden, hält inne und überlegt:
"Relief... Also: Erleichterung... Bestimmt ein bisschen Freude und ein bisschen Stolz."
Er strahlt, seine braunen Augen funkeln vergnügt. 1971 war Woods aus Ohio nach Tübingen gekommen, um Theologie zu studieren. Dann lernte er die deutsche Literatur kennen.
"Vom Grimmelshausen bis Heinrich Böll"
Aber die Kraft und Macht der deutschen Sprache offenbarte sich dem sprachbesessenen Amerikaner erst, als er ein Buch von Arno Schmidt in die Hände bekam:
"Und auf der ersten Seite war ich dahin. Hier war die deutsche Sprache plötzlich explodiert. Mit Querschlag und alles mögliche. Es war wild, und ich war hingerissen.
Arno Schmidt (1914-1979)
Arno Schmidt (1914-1979)© Arno-Schmidt-Stiftung
Ich habe versucht, mich als Schriftsteller durchzusetzen. Und irgendeinmal kam dieser große, bekannte 'Writers-Block', also ich konnte nicht weiter. Es war mir klar: Dies ist nicht mein Beruf irgendwie. Ich war vier Jahre Lektor. Und es war klar, dass das auch nicht mein Metier war. Ich soll Übersetzer sein. Aber wie macht man das?"
John E. Woods wirkt zufrieden wie er da im Wohnzimmer seiner Neubauwohnung in Berlin-Mitte am dunklen Holztisch sitzt und sich erinnert. Fast 40 Jahre ist es her, dass er Arno Schmidts damals gerade erschienenes Buch „Abend mit Goldrand“ las.
"Mir sein liebstes Buch. Ich glaub auch sein großes Buch. Ich schaute auf diese große Din-A-3 Seiten und fragte: Wie wäre es, wenn man das übersetzt? Eines Tages fand ich mich im Hotelzimmer bei der Frankfurter Buchmesse mit Helen Wolff, die Grande Dame der europäischen Literaturübersetzung und sie sagte: Wir machen das. Das war der Anfang meiner Übersetzerkarriere.“
...zu der sich dann auch die vier dicksten Brocken von Thomas Mann gesellten. Aber Woods hat – wie er selbst sagt - nicht nur „tote, weiße, europäische Männer“ neu übersetzt, sondern auch Patrick Süßkinds „Parfüm“, Christoph Ransmayr oder Ingo Schulze. Gelassen konnte er sich an diese Übersetzungen machen, weil Arno Schmidts Nachlassverwalter Jan-Philip Reemtsma ihm existenzielle Sorgen nahm: Mit dem Auftrag, Schmidts gesamtes Werk ins Englische zu übertragen.
"Die meisten Übersetzer leben von Vertrag zu Vertrag. Ich hatte eine feste Aufgabe, es wurde jede drei Jahre erneuert. Aber ich wusste, dass ich konnte davon leben.
Der Übersetzer ist etwas wie der Geigenspieler: Plötzlich hörst du die Musik. In dem Sinn bin ich ein Performing Artist."
Woods war ein „darstellender Künstler“. Denn er hat sich an sein selbst gegebenes Versprechen gehalten: Mit dem letzten übersetzten Wort von „Zettel’s Traum“ verabschiedete er sich in den Ruhestand:
"Ja. Und radikal. Ich hab aufgehört. Ich hab das gemacht. Und ich hab kein Bedürfnis, das weiterzumachen.“
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