Ein Tagebuch wird aus dem Safe geholt
Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch hatte vor seinem Tod verfügt, dass das "Berliner Journal" 20 Jahre unter Verschluss gehalten werden sollte. Es umfasst die Zeit 1973 bis 1980, als er in Westberlin wohnte. Er erlebte eine geteilte Stadt, Schaffenskrisen, Depressionen und Ehestreitereien. Ab 20. Januar ist der Suhrkamp-Band erhältlich.
1973 zog Max Frisch mit seiner Ehefrau Marianne nach Berlin-Friedenau in die Sarrazinstraße. In der Zeit, in der das "Berliner Journal" entstand, traf er seine Kollegen Günter Grass, Uwe Johnson, Jurek Becker und Christa Wolf, die er darin kritisch porträtiert. Er schuf sein Werk "Montauk" (1975) und arbeitete an "Der Mensch erscheint im Holozän" (1979).
Obwohl Max Frisch seine Aufzeichnungen als ein Werk ansah, hat sich der Stiftungsrat der noch vom Autor selbst gegründeten Max-Frisch-Stiftung nur für eine auszugsweise Publikation entschieden. Der ehemalige Freund und Präsident der Stiftung Peter von Matt sagte gegenüber Deutschlandradio Kultur: "Er hat eine ganze Reihe von Briefwechseln gesperrt und er hat diese sehr persönlichen Aufzeichnungen gesperrt, weil er wusste, dass die Leute, von denen da zum Teil sehr direkt und unverblümt die Rede ist, erwartungsgemäß viel länger leben werden als er. Und er wollte, dass eine beträchtliche Zeitspanne dazwischen verfließt."
Die Aufzeichnungen aus dem Nachlass des Autors enthielten viele pikante Beobachtungen über andere Schriftsteller, sagt von Matt. Der persönliche, meist vielschichtige Blick mache die Notizen erst spannend. "Am großartigsten ist das bei Uwe Johnson", sagt von Matt. Frisch respektiere ihn, "er akzeptiert ihn sogar als Autorität in Sachen Literatur. Aber dann gibt es daneben wieder Porträts, die wirklich beben vor Ironie".
Auch der amtierende Präsident der Max Frisch-Stiftung und Herausgeber des "Berliner Journals",
Thomas Strässle
, hält die veröffentlichten Texte für reichlich polemisch und brisant. Dass insgesamt zwei Ringbücher mit Notizen nicht gedruckt werden, hänge mit den Persönlichkeitsrechten der skizzierten Menschen zusammen. "Das betrifft auch Leute, die noch am Leben sind", sagte Strässle im Deutschlandradio Kultur. Zudem sei das Konvolut in sich sehr unterschiedlich: Einige Niederschriften seien unvollständig und nicht ausformuliert. Es sei die Aufgabe des Stiftungsrats, über den Umfang der Veröffentlichungen zu entscheiden.
Suhrkamp Verlag lobt "lustvoll scharfen Blick"
Der Suhrkamp Verlag lobt die Publikation als eine der "großen Schätze in Max Frischs Nachlass". "Illusionslos" und "mit lustvoll scharfem Blick" spiegelte der Schweizer während der Zeit des Kalten Krieges nicht nur seine eigenen Befindlichkeiten, sondern auch die deutsch-deutschen Verhältnisse diesseits und jenseits der Mauer.
Berühmt wurde der 1991 in Zürich verstorbene Schriftsteller mit seinen Romanen "Stiller" (1954), "Homer faber" (1957) und "Mein Name sei Gantenbein" (1964). Früh entdeckte er das Tagebuch als literarische Form. Bekannt wurden sein "Tagebuch 1946 – 1949" (1950) sowie das "Tagebuch 1966 – 1971" (1972). Für Schlagzeilen sorgte seine Beziehung mit der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann von 1960 bis 1965 in Rom.
cosa