Literatur einmal anders

Von Andre Hatting |
<em>Perspektive</em> ist keine Zeitschrift. <em>Perspektive</em> ist ein "Projekt". Das Ziel: die literarische Avantgarde fördern. Das ist mittlerweile ein tapferer Versuch, denn es ist sehr still geworden um die Avantgarde. Inmitten der rund 350 deutschsprachigen Literaturzeitschriften fristet <em>perspektive</em> ein einsames Dasein.
Fast ein Wunder, dass sich der Staat Österreich und das Bundesland Steiermark noch immer die kleine Rebellin aus Graz leisten. Ohne die öffentlichen Gelder wäre das Projekt perspektive längst vorbei. Von den verkauften Exemplaren konnte sie noch nie leben.

Begonnen hat das Abenteuer perspektive 1978. Die ersten Ausgaben der in Bad Ischl als Schülerprojekt gegründeten Zeitschrift waren wenig mehr als ein Forum für junge Nachwuchsautoren. Wer entweder noch zu unbekannt oder noch zu schlecht für die großen österreichischen Zeitschriften war, der platzierte seine Texte eben in perspektive. Aus den Schülern in Bad Ischl wurden Studenten in Graz und aus der besseren Schülerzeitung ein Projekt, das anfangs so viel Konzepte hatte wie Redakteure: Vierzig innerhalb von zehn Ausgaben. Texte von und über die Grazer Hausbesetzerszene standen neben Widmungspostkarten Erich Frieds. Mal durchwehte das Heft der Geist feministischer Beifreiungstheorien, dann wieder dominierte ein pazifistischer Tonfall. Das Chaos endete mit einer Palastrevolution: Seit Ende der 80er Jahre leiten nur noch vier Redakteure das Blatt. Cover und Layout wurden professionalisiert, der Kampf um einen modernen Begriff von Avantgarde bildete von jetzt an den Fokus. Ein Kampf, den die vier Herausgeber sehr leidenschaftlich führen. 1999 luden die Autoren Ferdinand Schmatz und Franz Josef Czernin zu einer Konferenz auf Schloss Solitude bei Stuttgart ein. Das Thema: "Avantgarde – auslöschen oder verbessern?". Auslöschen oder verharmlosen, so interpretierte perspektive die Veranstaltung, stürmte mit Spielzeugpistolen das Podium, verlas ein Manifest und verteilte Flyer. Text, Material, Verfahren, darum kreisen auch die Auseinandersetzungen zwischen Redaktion, Autoren und Literaturwissenschaftlern, angeregt von den vier Herausgebern, dokumentiert in der Zeitschrift.

Zum Jubiläum gönnt sich die Gruppe perspektive eine 200 Seiten starke Doppelnummer. Aber ohne Feierlichkeitsschnickschnack. Kein Best-of aus 27 Jahren, keine prominenten Grußadressen. Stattdessen haben die Redakteure Helmut Schranz, Robert Steinle, Florian Neuner und Ralf B. Korte Autorinnen und Autoren eingeladen, sich noch einmal einen bereits in einer früheren Ausgabe veröffentlichten Text vorzunehmen. Und zu überarbeiten. Die Redaktion verstand ihre Idee als ein Experiment. Die beteiligten Autoren haben ganz unterschiedlich reagiert.


perspektive. hefte für zeitgenössische literatur
Heft 50/51
ISSN 1021-9242
198 S.
10 Euro
www.perspektive.at