Literatur

Entdecker der unbekannten Seiten der menschlichen Existenz

Der Schriftsteller Milan Kundera auf einem Bild von 2005
Der Schriftsteller Milan Kundera auf einem Bild von 2005 © picture-alliance/ dpa/dpaweb
Von Christian Linder |
Mit dem Roman "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" ist Schriftsteller Milan Kundera so berühmt geworden, dass er sogar auf der Liste der Kandidaten für den Literaturnobelpreis auftauchte. Am 1. April 1929 wurde er geboren.
Ein Tscheche in Paris, der mit einem seiner berühmtesten Romantitel verkündete: "Das Leben ist anderswo"; der einst, in den späten 1960er-Jahren, in den politischen Aufbruch des Prager Frühlings verstrickt war, bis er aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen wurde und Publikationsverbot erhielt; der seit 1975 in Frankreich lebt, längst französischer Staatsbürger ist und seine Bücher auch auf Französisch schreibt – gut die Hälfte seines bisherigen Lebens hat Milan Kundera mittlerweile in Paris verbracht und fühlt sich dort zuhause:
"Die Existenz eines Daueremigranten deprimierte mich. In unserem dümmlicherweise politisierten Jahrhundert verstehen die Leute nicht mehr, einen Roman wirklich als einen Roman zu lesen. Sie wollen vielmehr im Roman die Illustration vereinfachter politischer Thesen sehen. Und auch deshalb muss der Romanschriftsteller auch von Zeit zu Zeit schweigen können, um seine Romanschöpfungen gegen vereinfachte, politisierende Interpretationen zu schützen."
Ein karges Dementi
Seit dem Erscheinen seines Romans "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" ein weltberühmter Schriftsteller, hat Milan Kundera mehr und mehr die Anonymität gesucht – in der Pariser Öffentlichkeit tritt er nicht auf und von seinem Heimatland hält er sich fern, um so mehr, als vor einiger Zeit das Gerücht gestreut wurde, er habe Anfang der 1950er-Jahre einen Kommilitonen als amerikanischen Spion an den Geheimdienst seines Landes verraten. Kundera begnügte sich mit einem kargen Dementi und erinnerte einmal mehr an seine Aufgabe als Schriftsteller:
"Der Romancier ist nicht der Laufbursche von Historikern. Seine Sache ist es weder, die Geschichte zu erzählen oder zu kommentieren, sondern die unbekannten Seiten der menschlichen Existenz zu entdecken."
"Das Leben ist anderswo" - diese Parole Arthur Rimbauds hat den am 1. April 1929 in Brünn geborenen Kundera früh geprägt. Nach einem Literaturstudium in Prag begann er selbst, zu schreiben: Gedichte, Dramen, Essays, Romane, auch, um die unbekannten Seiten seiner eigenen Existenz auszukundschaften. Kindheit, Heimat, Liebe, Erwachsenwerden, Sexualität, revolutionäre Begeisterung für Ideen vom Fortschritt – das sind bis heute Kunderas Themen in Romanen wie "Der Scherz", "Abschiedswalzer" oder dem "Buch vom Lachen und Vergessen". Wiederholungen fürchtet er nicht:
"Ich liebe die Wiederholungen und Variationen eines grundsätzlichen Themas, aber natürlich unter der Bedingung, dass ich immer etwas ganz Neues zu sagen habe."
Der Blick, den Kundera aufs Leben und die Gesellschaft wirft, weiß immer:
"Totalitarismus ist nicht bloß die Hölle, sondern auch der Traum vom Paradies – der uralte Traum von einer Welt, in der alle in Harmonie miteinander leben, ohne irgendwelche Geheimnisse voreinander. Wird der Traum vom Paradies aber Wirklichkeit, trifft er hier und da auf Menschen, die ihm im Wege stehen, weshalb die Herrscher des Paradieses einen kleinen Gulag neben dem Garten Eden errichten müssen. Im Laufe der Zeit wird dieser Gulag immer größer und vollkommener, während das angrenzende Paradies immer kleiner und ärmlicher wird."
Wenn Milan Kundera in seinem Schreiben einen persönlichen Traum verfolgt hat, dann war es der Wunsch, sich nicht von außen leben zu lassen.
Ein eigener langsamer Rhythmus
"Vom Rhythmus der Kulturindustrie will ich mich nicht beherrschen lassen. Ich werde immer meinen eigenen Rhythmus beibehalten, der in der Regel sehr langsam ist."
Der Tscheche in Paris, wenn er sich heute definieren müsste, würde sich als Mitteleuropäer beschreiben.
"Mir wurde das eines Tages klar, als ich Musik von Bartok hörte. Wenn ich zum Beispiel Debussy höre, bin ich zwar angetan, aber nicht bewegt. Wenn ich aber Bartok höre, werden auf einmal meine Erinnerungen wach – obwohl er doch Ungar ist und ich Tscheche. Aufgrund dieses Gefühls, dieser Sehnsucht wurde mir auf einmal klar, dass Mitteleuropa eine kulturelle Einheit ist. Vorher hatte ich das nie gesehen. Ich habe Mitteleuropa mit den Gefühlen entdeckt, dann erst habe ich mich intellektuell mit dem kulturellen Phänomen Mitteleuropas auseinandergesetzt."