Sprecher: Nina Weniger und Alexander Ebeert
Regie: Giuseppe Maio
Ton: Christiane Neumann
Redaktion: Dorothea Westphal
Buch und Barrikade
29:49 Minuten
Die Proteste gegen den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko dauern seit Monaten an. Der Staat reagiert mit Repressionen, die auch die Schriftstellerinnen und Schriftsteller treffen. Doch sie erheben ihre Stimmen immer lauter.
Die im Exil lebende belarussische Schriftstellerin Volha Hapeyeva hat ihrer Heimatstadt das Gedicht "Meine dunkle dunkle dunkle Stadt" gewidmet. Es handelt von Minsk, der Hauptstadt von Belarus, mit ihren knapp zwei Millionen Einwohnern. Die Dunkelheit steht für die Diktatur des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko.
Die Hoffnung ist größer als die Angst
Seit den manipulierten Präsidentschaftswahlen im August 2020 und den anschließenden Protesten versucht Alexander Lukaschenko mit allen Mitteln, die kritischen Stimmen zum Schweigen zu bringen. Inzwischen treffen die gewalttätigen Repressionen auch vermehrt Journalistinnen und Journalisten sowie die Literaturszene.
Noch ist die Hoffnung größer als die Angst. Vom Verleger bis zur Übersetzerin, vom Lyriker bis zur Schriftstellerin. Sie alle erheben ihre Stimmen. Wie etwa die 1991 geborene und im deutschen Exil lebende Lyrikerin, Linguistin und Kinderbuchautorin Volha Hapeyeva, die erzählt, dass sie mehr Distanz zu der Situation brauche, um darüber ausführlicher als in Gedichtform schreiben zu können.
Thomas Weiler lebt bei Leipzig und übersetzt aus dem Belarussischen. Er meint, dass literarische Texte über die gegenwärtige Situation ihre Zeit brauchen werden: "Literarische Texte zu erwarten, die verhandeln, was dort gerade passiert, ist, glaube ich, nicht angebracht. Das dauert. Das wird mit zeitlicher Verzögerung kommen."
Der Verleger Leif Greinus, der Mitglied der Interessensgruppe Meinungsfreiheit im Börsenverein des Deutschen Buchhandels ist, hofft, auf seine Art die Proteste unterstützen zu können: "Was wir tun können, ist, Öffentlichkeit herstellen. Also immer wieder darauf zeigen, wenn es wieder Verhaftungen gab, und einfach die Stimmen von dort hier veröffentlichen."
Eine dunkle Zeit für die Literatur
Yaraslava Ananka, Literaturwissenschaftlerin aus Belarus und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität, erzählt: "Meine Einschätzung der heutigen Situation ist ganz unerfreulich und sehr pessimistisch. Ich würde sagen, dass es wirklich eine dunkle Zeit in Belarus ist. Es ist auch eine dunkle Zeit für die Literatur."
In Belarus lebt der Schriftsteller Viktor Martinowitsch mit der täglich drohenden Gefahr einer Verhaftung durch das Regime. Er sagt: "Niemand ist inkognito, wenn das Smartphone eingeschaltet ist. Und ich rede hier über WhatsApp. Das lässt sich sehr einfach von der Staatssicherheit überwachen. Mir ist sehr bewusst, dass der Geheimdienst und die Miliz genau wissen, wo ich jetzt bin und mit wem ich über Internet Kontakt habe."
Und über seine Erlebnisse des letzten Jahres erzählt er: "Dass es die Menschen endlich satt haben, Angst zu haben. Die wollen nicht mehr. Die versuchen, dagegen bewusst zu kämpfen. Und ich bin auch eigentlich einer davon. Ich kämpfe bewusst gegen meine Ängste."
Nach den Wahlen 2020 ist in Belarus eine revolutionäre Bewegung entstanden, geprägt von starken Frauen und von Aktivistinnen und Aktivisten aus allen Bevölkerungsschichten — und eben auch von Schriftstellerinnen und Schriftstellern.
Viktor Martinowitsch unterrichtet an der Europäischen Geisteswissenschaftlichen Universität in Vilnius. Er lebt weiterhin ganz bewusst in Minsk, auch wenn das für ihn lebensgefährlich ist. Sein offizieller Status seitens der Regierung: Dissident. Er erzählt: "Mein deutscher Verleger und meine litauischen Kollegen an der Universität haben mir geraten, ich solle doch nach Litauen oder Deutschland gehen, um in Sicherheit zu sein. Das war eine große Versuchung für mich. Aber ich habe mich entschieden zu bleiben, weil es nicht möglich ist, vor seiner Angst wegzulaufen. Also bin ich geblieben. Und bin immer noch da."
Roman über Macht
Ein halbes Dutzend Bücher hat Viktor Martinowitsch in Belarus veröffentlicht. Seine Romane erscheinen nach und nach auch auf Deutsch beim Verlag Voland & Quist. In "Revolution" entwickelt er in schmissiger, temporeicher Sprache eine postapokalyptische Story mit enormer Sogwirkung. Ein Buch wie ein Kinothriller. Obwohl früher entstanden, schildert Martinowitsch im übertragenen Sinn auch die politische Situation in Belarus, wie er selbst sagt.
Das Buch ist eine düstere Parabel auf die Machtstrukturen in einer Gesellschaft im Allgemeinen und auf die totalitären Verhältnisse in seiner Heimat Belarus im Besonderen.
"Der augenscheinlichste Bezug zu Belarus ist das Hauptthema Macht und die damit einhergehenden Probleme und Veränderungen, die wir gegenwärtig beobachten", sagt der Autor. "Diese Macht ist keine politische Macht, weil sich in der Politik nichts in den letzten 25 Jahren geändert hat. Aber die momentanen Ereignisse spiegeln die beschriebene, sehr tiefgreifende zwischenmenschliche Macht — die nietzscheanische, übermenschliche Macht —, die den einen befehlen und den anderen gehorchen lässt. Ich denke, dass das Buch eine gute Illustration ist, was Macht an sich bedeutet."
Konfiszierte Bücher
Viktor Martinowitsch hat die Repressionen des Regimes in Belarus am eigenen Leib erfahren müssen. Nach der Veröffentlichung von "Paranoia", seinem ersten Roman, veränderte sich sein Leben dramatisch, wie er sagt:
"Ich war Redakteur einer auflagenstarken Zeitung, die der Regierung und der politischen Situation neutral gegenüberstand. Dann wurde mein Buch nach der Veröffentlichung verboten. Als dann mein belarussischer Verleger verhaftet wurde, hat die Miliz auch alle Exemplare des Romans "Revolution" im Verlagshaus konfisziert."
So wird das Buch in Belarus zu einer Art Barrikade. Viktor Martinowitsch wundert sich selbst, dass Literatur heute noch ein solches Protestpotenzial hat.
Mechanismen der Repression
"Es gibt zahlreiche Buchhändler, insbesondere sehr erfolgreiche Internet-Buchhändler, die auch verhaftet worden sind, wo auch die Bücher konfisziert worden sind", erzählt der Verleger Leif Greinus, der um die Mechanismen der Repressionen gegen die Literaturszene in Belarus weiß.
"Von den Verlegern sind natürlich auch die Konten eingefroren worden, was eben dazu führt, dass es kaum noch Austausch gibt. Man kann, wenn die Konten eingefroren sind, erstens keine Druckereien mehr bezahlen, um neue Bücher zu produzieren, man kann aber natürlich auch keine Gagen, Honorare an Autorinnen und Autoren ausschütten. Das führt dazu, dass das Leben dort — das literarische Leben —starke Einschränkungen erfährt."
Die Strategie des Regimes gegen belarussische Autorinnen und Autoren ist alles andere als subtil: Es soll Angst erzeugt werden, sagt Greinus. Wenn man beipielsweise weiß, dass die Kommunikation auch überwacht wird, "dann erzeugt das natürlich sehr großen Druck und eine sehr große Angst. Und das erzeugt eine Lähmung. Und das ist, glaube ich, genau das, was das System in Belarus haben möchte."
Die Suche nach der eigenen Identität
Die Literaturwissenschaftlerin und Slawistin Yaraslava Ananka findet, dass es eine neue Leserschaft in Belarus gebe, "die nach neuen Texten sucht und nach neuen Informationen über Belarus, über sich selbst. Belarussische Schriftsteller sind zu neuen Autoritäten geworden."
Ein Thema, das immer wieder auftauche, erzählt Thomas Weiler, sei die Suche nach dem Eigenen, nach der Identität. Was macht das Belarussische eigentlich aus?
Einer der stark engagierten jungen Aktivisten aus Belarus ist der in Deutschland lebende Dirigent Vitali Alekseenok. Im März 2021 veröffentlichte er das Buch "Die weißen Tage von Minsk", eine eindringliche Bestandsaufnahme der Proteste um das Wahljahr 2020 in seiner Heimat. Der Kampf um Gerechtigkeit hat aus dem Dirigenten auch einen Aktivisten und Autor gemacht. Er erzählt:
"Eigentlich habe ich das auch als eine Chance gesehen, diese Gattung, die Literatur, dafür zu nutzen, auf dieser Ebene etwas Wichtiges zu erzählen, was ich erlebt habe, weil ich davon überzeugt bin, es kann eine Botschaft für andere Menschen sein. Und man darf es nicht vergessen. Ich muss es als ein Testimonial, als ein Zeugnis, aufschreiben und weitergeben."
"Lest unsere Bücher"
Mithilfe der Literatur schaffen belarussische Autorinnen und Autoren eine Plattform für einen öffentlichen Diskurs. Eine Revolution, nicht nur auf den Straßen, auch in der Literatur. Und was können wir tun?
"Lest unsere Bücher, wenn ihr könnt", so der Appell von Viktor Martinowitsch: "Redet über unsere Bücher. Das ist uns sehr wichtig. Wenn man nämlich von Stille umgeben ist, hat man das Gefühl, man macht etwas Falsches, ein monkey business, einen Unfug."
Das Beste, was Europa und Deutschland tun können, sei, den Autorinnen und Autoren Aufmerksamkeit zu schenken.
"Je mehr Aufmerksamkeit Belarus bekommt, desto weniger Gewalt wird es hier geben."
(DW)