"Mond, Nebel & Regen erste Qualität“
Seit 1958 lebte der Schriftsteller Arno Schmidt in der niedersächsischen Heide. Nach brotlosen Jahren - seine Texte galten als "schwierig" - war er endlich zu etwas Geld gekommen, hatte sich in Bargfeld ein winziges Häuschen gekauft und wohnte dort mit Frau, Katzen, Zettelkästen und Büchern.
Zur Dorfbevölkerung und zu Verehrern seines Werks hielt der Einzelgänger unfreundliche Distanz. Doch in Bargfeld entstand sein Spätwerk mit Texten wie "Kaff" und "Zettel´s Traum", die ihn und ein wenig auch den Ort berühmt machten. Am 18. Januar 2014 wäre Arno Schmidt 100 Jahre alt geworden. Höchste Zeit, in Bargfeld nach seinen Spuren zu suchen.
Manuskript der Sendung:
"Früher, als junger Mensch, hab ich mir wohl auch eingebildet, die Mienen- und Gebärdensprache sei von Liebenden erfunden worden - so "Nachbarskinder", von "harten Eltern" vorsichtshalber auf Armlänge auseinander gehalten (obschon mir dunkel schwante, dass die sich nach und nach nachdenkliche Sachen telegrafiert, gewinkt, hin und her gezeigt haben würden, apart, apart). Später dacht' ich, es könnten kluge Diebe gewesen sein, nachts, in behelfsmäßig erleuchteten Juwelierläden; oder auch abhörgerätumstellte Politiker, in den Sieben Bergen, ruhend auf Rasengrund - zur Koalition bereit. Heute weiß ich, dass es zwei ältere Männer an der Kreissäge gewesen sein müssen, nach ungefähr 40 Minuten."
So beginnt die Erzählung "Kühe in Halbtrauer" von Arno Schmidt - vom Autor gelesen, unverkennbar. Aber dieser Titel? Na ja, der Text spielt in der Lüneburger Heide und da gibt es Kühe. Und wenn ein Autor mit der speziellen Wahrnehmung und dem Witz von Arno Schmidt schwarzweiße Kühe sieht, sind es eben …
"… Kühe in Halbtrauer!"
In der Lüneburger Heide verbrachte Schmidt, einer der großen deutschen Autoren nach dem Zweiten Weltkrieg, seine letzten Lebensjahre.
Winzig und einfach eingerichtet
"Wir stehen vor dem Wohnhaus von Arno und Alice Schmidt in Bargfeld in der Nähe von Celle. Schmidts sind 1958 hierher gezogen, nachdem sie länger nach einem Platz gesucht haben auf dem Land und in Norddeutschland, das war Schmidts wichtig. Das ist ein kleines Haus aus holzverschaltem Fachwerk, grau gestrichen …"
… sagt Susanne Fischer von der Arno Schmidt-Stiftung Bargfeld. 1958 hatte das Dorf etwa 350 Einwohner, inzwischen die Hälfte. Bis heute ist es mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zu erreichen. Das eineinhalbstöckige Haus ist winzig und sehr einfach eingerichtet. Die Schmidts hatten wenig Geld.
Schmidts hatten das Haus für 17.000 Mark gekauft und mussten erst mal für fließend Wasser, Toilette und Bad sorgen. Danach waren sie fast pleite.
"Es sitzt gerade eine Katze auf dem Veranda-Sessel. Schmidts hatten immer Katzen, wobei immer nur ein oder zwei Lieblingskatzen ins Haus durften, weil die auch viel Unfug angestellt haben. Da gibt es durchaus auch Klagen von Schmidt, dass sie auf seinen Büchern sitzen und daran herum nagen oder irgendwohin pinkeln. Wir füttern jetzt immer noch Katzen, aber die bleiben jetzt alle draußen vor der Tür, die dürfen nicht mehr rein."
Die armen Katzen.
Das Arbeitszimmer - wie zu Schmidts Lebzeiten
Die Arno Schmidt-Stiftung wurde 1981 von Jan Philipp Reemtsma und Alice Schmidt gegründet, zwei Jahre nach dem Tod des Autors. Die Stiftung verwaltet seinen Nachlass, betreut Garten und Haus, das noch eingerichtet ist wie zu seinen Lebzeiten - nach Anmeldung kann man es besichtigen. Im Flur hängt Arno Schmidts grüne Lederjacke, auch sein Arbeitszimmer ist unverändert. Knarrende Dielenböden mit dünnen Teppichen …
"Sie sehen ganz viele alte Bücher, Schmidt hat sehr viel antiquarisch gekauft, da sein Hauptinteressens-Gebiet Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts war. Sie sehen viele Lexika: Wir sind auf dem Land, man kann nicht mal eben in die nächste Bibliothek fahren. Man muss nachschlagen, Internet gab's noch nicht."
Auf dem Schreibtisch steht eine riesige alte Schreibmaschine, Marke "Adler". Schmidt schrieb seine letzten Bücher im großen DIN-A-3-Format, aufgeteilt in mehrere Text-Spalten. Daneben liegen zwei dicke Brillen und noch dickere Lupen. Er sah schlecht und konnte kleingedruckte Texte kaum lesen, auch die eigene Handschrift nicht. Die Lupen und Brillen waren nötig, doch sonst wurde bei Schmidts gespart.
"Es wurde immer alles wieder verwertet in diesem Haushalt, man kann das auch in den Zettelkästen sehen."
Ja, die berühmten Zettelkästen … Der Autor notierte tausende Einfälle, Wortspiele, Assoziationen, die in die Werke eingingen. Zwei Kästen aus Schmidts späten Jahren sind erhalten.
"Einige der Notizzettel, die Schmidt gemacht hat, sind zum Beispiel auf abgelösten Konservendosen-Ettiketten notiert. Auch die Lesezeichen sind geschnitten aus festerem Papier, das ist durchaus auf einer Seite bedruckt, waren vielleicht Antiquariats-Kataloge oder so was. Was man nicht mehr brauchte, wurde dann zu Streifen geschnitten und verwendet."
Ebenfalls im Erdgeschoss eine winzige Küche mit Zwei-Flammen-Herd im Bonsai-Format, kein Tisch. Meist aß Alice auf einem Hocker, Arno im Stehen. Im Obergeschoss das kleine Wohnzimmer, wo auch der Fernseher steht. Dadurch hatte der zurückgezogene Autor Kontakt zur Außenwelt - und leicht geschürzte Eiskunstläuferinnen konnte er auch gucken.
Kein großer Menschenfreund
"Die beiden haben sich das Haus nach Stockwerken aufgeteilt - weil sie, jedenfalls bis Arno Schmidt so krank wurde, einen ganz unterschiedlichen Lebensrhythmus gehabt haben. Arno Schmidt hat in der Nacht gearbeitet, er stand sehr früh auf, nämlich um 1, 2 Uhr morgens, um dann zu schreiben, wenn alles ganz ruhig war. Bargfeld ist an sich nicht so laut, aber tagsüber war ihm das immer noch zu viel. Dann hat er geschrieben bis um morgens 7 vielleicht, 7, 8, und hat dann im Winter Feuer gemacht und seiner Frau Kaffee gemacht und ihn ihr ans Bett gebracht, hat sich nochmal hingelegt und den restlichen Tag für Nachschlage-Arbeiten, Lesen, Übersetzen, so was, benutzt. Und Alice Schmidt hatte eben einen ganz normalen Tagesablauf, die ist zu ner normalen Zeit aufgestanden und auch zu ner normalen Zeit ins Bett gegangen."
Arno Schmidt war kein großer Menschenfreund und schätzte die abgeschiedene Lage seines Hauses. "Mond, Nebel & Regen erste Qualität", schrieb er einmal. 1964, zum 50. Geburtstag, besuchte ihn Rainer Hagen vom Norddeutschen Rundfunk:
"Herr Schmidt, Sie leben hier am Rande eines kleinen Dorfs in der Lüneburger Heide. Sie verlassen dieses Dorf selten, Sie lassen auch nur ungern Besucher an sich heran, ich kann das bezeugen … Sie leben fast wie ein Einsiedler. Warum?"
"Das ist letzten Endes eine Frage der geistigen Ökonomie und auch der Gesundheit. Nicht nur weil mein Credo lautet: "Flachland und Nachschlagewerke!" Sondern auch, weil ich Tiefdruckgebiete am besten vertrage. Dass ich wie ein Einsiedler lebe, möchte ich gar nicht einmal sagen. Aber die großen Spaziergänge im Sommer und dieses Gemisch aus Heide und Moor, was ich hier finde, ist genau die Kulisse, die ich für meine nächsten Bücher brauchte."
"Herr Schmidt, wenn man Geburtstag hat, darf man sich etwas wünschen. Gesetzt den Fall, es gäbe eine gütige Fee, die ihnen irgendeinen Wunsch freigebe - was wäre es?"
"Die Frage ist so nett und unrealistisch, Herr Hagen, dass ich sie eigentlich gar nicht beantworten dürfte. (…) Wenn ich wünschen könnte, würde ich sagen, eine feste Monatsrente von 1000 Mark - und dann mal zehn Jahre lang keinen Besucher."
"Vielen Dank, Herr Schmidt - und entschuldigen Sie bitte die Störung."
Unterstützung durch Jan Philipp Reemtsma
Die gütige Fee kam 13 Jahre später, in Gestalt des Literaturwissenschaftlers Jan Philipp Reemtsma. Der Millionen-Erbe eines Tabakimperiums war und ist literarischer Mäzen und gründete auch das Hamburger Institut für Sozialforschung. Ohne Schmidt persönlich zu kennen, fuhr er im Sommer 1977 nach Bargfeld, traf ihn am Badeteich und bot ihm an, ihn zu unterstützen. Jetzt ist bei Hoffmann und Campe der Mitschnitt einer Veranstaltung über Schmidt in Bargfeld erschienen, bei der auch Reemtsma teilnahm:
"Und dann hab ich ihn angesprochen, hab gesagt: "Herr Schmidt." "Ja?" "Darf ich Ihnen eine Frage stellen?" Und er sagte: "Fragen können Sie immer, ob ich sie Ihnen beantworte, ist etwas anderes ..." Dann sagte ich: "Herr Schmidt, Sie haben geschrieben …" Ich sagte das etwas zögernd, er guckte mich an und sagte: "Ich habe viel geschrieben ..." Ich sag: "Ja, aber Sie haben einen Aufsatz geschrieben, wo Sie über Ihre Situation am Schreibtisch sprechen und die vielen Brotarbeiten, die Sie zu erledigen haben. Ist das noch so?"
Es war noch so. Und Reemtsma schlug vor, Schmidt jeden Monat einen Betrag zu überweisen, damit der sich nur noch literarischer Arbeit widmen könne.
"Interessant war seine Reaktion, weil er sagte: "Das wollen Sie machen? Und Sie müssen sich nicht einschränken?" Das war seine erste Reaktion. Da sag ich: "Nein, machen Sie sich keine Sorge ..."
So lebte Schmidt zumindest die letzten Jahre in finanzieller Sicherheit in der Lüneburger Heide. Mit Katzen, Natur und Kühen, die er auch fotografierte, zu sehen in dem Bildband "Vier mal vier" aus dem Suhrkamp Verlag. Und mit Schafen, also Heidschnucken, hinterm Zaun. Die aber wenig sagen, wenn man ihnen ein Mikrofon hinhält.
"Er hatte eine völlig singuläre Stellung in der deutschen Nachkriegsliteratur"
Arno Schmidt wurde am 18. Januar 1914 in Hamburg geboren. Er wuchs dort und in Schlesien auf, machte Abitur, eine Lehre als Buchhalter und lernte seine spätere Frau Alice kennen. Im Krieg hatte er Glück, saß in Schreibstuben im Elsass und in Norwegen, kam kurz in Kriegsgefangenschaft und 1946 zurück. Dann arbeitete er fürs Radio und schrieb Erzählungen und Romane, die mit ihrer Form und Kritik an Adenauer-Deutschland Aufsehen erregten. Bernd Rauschenbach von der Arno Schmidt-Stiftung:
"Er hatte eine völlig singuläre Stellung in der deutschen Nachkriegsliteratur - die nicht nur in seiner Person und seiner auf den ersten Blick etwas schroffen und abwehrenden Haltung zu sehen ist, sondern die auch durchaus literarische Gründe hat. Was er beschreibt, ist in den seltensten Fällen mehrheitsfähig und eigentlich bewusst darauf angelegt, sich zwischen alle Stühle zu setzen und nicht den Mainstream zu bedienen. Schmidts Sprache ist sicherlich nach 1945 völlig einzigartig. Er knüpft auf den ersten Blick an die durch den Nationalsozialismus unterbrochene Tradition des Expressionismus an, er benutzt viele Neuschöpfungen in seiner Sprache, er hat überraschende Bilder, überraschende Wendungen, benutzt oftmals nicht Grammatik-konforme Satzkonstruktionen, hält sich nicht an Duden-Rechtschreibung. Er hat in sehr vielem seinen eigenen Kopf und macht das auf eine hochpoetische Weise, die sich bei nur wenigen seiner Kollegen findet."
Womit wir wieder in der Lüneburger Heide sind, bei der Erzählung …
"… Kühe in Halbtrauer!"
Genau. Carlos und Otje, zwei Herren um die 50, haben ein kleines Stück Land gepachtet. Sie arbeiten an einer ohrenbetäubenden Kreissäge und wollen für sich und ihre Frauen eine Hütte bauen, für Sonntags-Ausflüge etc. Wie meist bei Schmidt passiert äußerlich nicht viel, der Witz liegt im sprachlichen Detail.
"Hinten ein schütterer Wald (in dem es aber tapfer zwizerte); vorn kurios dürre Büsche; dann GrabenGeradheit in Grüne. Fern u-bootete eine lange Limousine durch Getreidemeere. "So früh?" - "'n Jäger vielleicht", proponierte Otje lustlos. Ich griff gleich zum Fernrohr, das, armlang, immer neben uns zu liegen hatte (Städtebewohner eben, die jede Krähe für 1 Naturschauspiel ästimieren); und spähte streng hindurch. Wolkeniglus überall (vermutlich standen uns weitere "gewittrige Schauer" bevor). Am Hintern schmerzte das feinsinnige Birkenbänkchen …"
Pornografie und Gotteslästerung
"Feinsinnige Birkenbänkchen" waren nicht jedermanns Sache - Schmidts Kirchenkritik und erotische Szenen in seinen Büchern auch nicht. Heute wirkt das völlig harmlos, doch 1955 erhielt er eine Anzeige wegen Pornografie und Gotteslästerung. Sie wurde schließlich fallen gelassen, wegen "Freiheit der Kunst" und so, immerhin.
"Erst, leeren Blicks, endlose Rübenfelder durchschreiten; Kartoffeln (Marke "Saskia"), Serradella, Lupinen, Graminosen. Alles Dinge, wovon man den Teufel etwas verstand (eigentlich abscheulich. Die Unwissenheit, mein ich). Mit wütend-flachen Händen die Bremsen an sich breitklatschen: Arme, Bauch, Brust, ach, scheiß "frisches Oberhemd"! (Die Hoden kloppt man sich noch platt wegen den Mistviechern! Na egal, taugten ohnehin nich mehr viel.) Einziger Trost: dann & wann hinter die Weg-begleitende Hecke treten. Dort jedoch, statt seiner, das Fläschchen mit "Kirsch" ziehen: Aaah …"
Gegen ein Fläschchen Kirsch hatte auch Schmidt nichts einzuwenden.
"Ja, Arno Schmidt hat beim Schreiben getrunken, um sich in Stimmung zu trinken, um "den Zugang zum Wortzentrum ins Gehirn zu öffnen" - so ähnlich hat er das mal formuliert. Er hat sich nicht dumm getrunken, sondern auf so ein Level der Inspiration ..."
"Das Leben des Menschen ist kurz; wer sich betrinken will, hat keine Zeit zu verlieren! Und die Abende in "Ziebigs Gasthof" waren ja gar nicht unlebhaft. (Wir am Ecktisch für die vornehmen Personen; dem einzigen, der etwas wie 'ne Decke drauf hatte. Und Bier & seriöse Stumpen.) 11’32: Und immerfort das Gemurmle der Herren Landwirte. Manches vielleicht gar nicht dumm; (obwohl sie natürlich andauernd her guckten, wie wir unser Bier verzehrten…)"
Der Schriftsteller als Nachbar
Was hält man heute in Bargfeld von Schmidt? Beim Besuch des Länderreporters ist kein Mensch auf der Straße ... Doch im Nachbarort Eschede wird er fündig. Renate Fergel, Wirtin vom "Deutschen Haus", erzählt, dass Schmidt hierher zum Essen kam - zehn Kilometer, zu Fuß.
"Meine Schwiegermutter sagte früher immer: Groß ins Gespräch gekommen ist man mit ihm eher nicht. Wenn man nicht auf seiner Ebene lag, war's wahrscheinlich ohnehin schwierig, das ist ja dann manchmal so. Er war ein ruhiger Vertreter, also, nicht so emotional …"
Was haben die Leute über ihn gedacht?
"Für die Bevölkerung war es sicher schwierig, sich mit den Themen zu identifizieren, weil sie hart gearbeitet haben und der Alltag einfach viel abverlangt. Und am Ende geht es da um Dinge wie Schöngeist und Mond und Landschaft - Dinge, die eben nur das Auge sieht, das es eben auch sehen möchte. Und Leute, die fest arbeiten müssen, tun sich halt schwer mit solchen Sachen, die sind zu sehr in der Realität verwurzelt …"
Schmidt - die Kultfigur
Arno Schmidt erhielt den ein oder andren Literaturpreis, Kollegen schätzten ihn, ein großes Publikum fand er nie. Seine anspielungsreichen, vieldeutigen Texte waren was für Spezialisten. Im Lauf der Jahre entwickelte sich ein regelrechter Kult um ihn. Auch Bernd Rauschenbach gehörte zu den frühen Fans. Anfang der 70er-Jahre gelang es dem Student, zum großen Meister vorzudringen.
"Zittrigen Knies kam ich dann ins Haus rein. Nach paar Sekunden war das aber alles weg. Ich war erleichtert und erfreut, wie freundlich und unkompliziert die Gespräche waren. Ich weiß inzwischen, dass Schmidt in den 50er-Jahren durchaus anders mit Besuchern umgegangen ist. Da musste man durchaus kleine Examina ablegen, wurde ausgefragt, was man denn von dem und dem Autor wisse und halte. Das war im Alter offensichtlich nicht mehr so, ich weiß nicht, ob er da altersmilde geworden ist, keine Ahnung."
Das grimmig-arrogante Gesicht, das Schmidt auf vielen Fotos zeigt, und sein Image sogar förderte, war eine Maske?
"Alle, die ihn kannten, sagen, im Leben hätte er ganz anders ausgesehen. Wenn jemand ne Kamera gezückt hätte, sei sofort das Gesicht versteinert. Und diese Pose des ernsten Dichters, so nimmt man es ja zumindest wahr, ich weiß nicht ob es von ihm auch so gedacht war, oder ob ihm das einfach unangenehm war, fotografiert zu werden - die kommt dann auf diesen Fotos raus, aber so soll er überhaupt nicht gewesen sein."
Nur - zu früh freuen durfte man sich nach einem Treffen mit den Schmidts nicht.
"Gänzlich unbefangen und locker war das allerdings in den Gesprächen dann doch nie. Zum Beispiel, ich erinnere mich, auf einem Feldweg in der Nähe von Bargfeld. Ich fuhr mit dem Auto auf Bargfeld zu und sehe das Ehepaar Schmidt mir entgegen kommen. Ich überlege: Höflich wäre es, anzuhalten, Motor auszustellen, auszusteigen und guten Tach zu sagen. Schien mir aber zu aufdringlich, dann sieht das aus, als wenn ich unbedingt in ein Gespräch verwickeln will. Ich blieb also sitzen, machte den Motor natürlich aus, kurbelte das Fenster runter und wechselte ein paar Worte mit den beiden. Das hat nicht länger als eine Minute gedauert. Zehn Jahre später dann, als ich dabei bin, den Nachlass in der Stiftung zu sichten und zu ordnen, stoße ich auf eine förmliche Aktennotiz Alice Schmidts. Darin stand, dass der Leser Rauschenbach "wie ein fetter Pächter" in seinem Auto sitzen geblieben sei und sich durchs Fenster mit Arno Schmidt "im Sitzen" unterhalten habe, während Schmidt dagestanden habe und sich habe "runter beugen müssen". Glücklicherweise, und das beruhigt mich doch bis heute, geht diese Aktennotiz so weiter, dass Frau Schmidt völlig konsterniert ist, dass ihr Mann diese Impertinenz überhaupt nicht bemerkt hatte …"
Grab im eigenen Garten
Ob Arno Schmidt die letzten Jahre in finanzieller Sicherheit genießen konnte, weiß man nicht. Die Arbeit am 1300-seitigen Hauptwerk "Zettel's Traum" hatte ihn erschöpft, ein Herzinfarkt war die Folge. Auch die Ehe litt, er lebte fast nur noch für seine Buchprojekte. Arno Schmidt starb nach einem Hirnschlag am 3. Juni 1979 in Celle, vier Jahre später seine Frau. Beide sind im großen Garten ihres Hauses begraben.
"Hier ist das Grab von Arno und Alice Schmidt, unter diesem Findling sind die Urnen beigesetzt. Er trägt keine Aufschrift, weil Schmidt es so wollte, weil seine Frau es so wollte, man weiß es nicht genau. Steht inmitten von großen Wacholdern. Aber sowohl die Wacholder als auch der Findling waren schon lange vor Arno Schmidts Tod da, die haben sie sich hier nämlich als Heide-Ecke im Garten angelegt."
Und vor dem Findling reckt und streckt sich gern mal eine Katze in der Sonne - was den Schmidts gefallen hätte.