Ein Jude, ein Christ, ein Held
Religion war für Bob Dylans lebenslang bedeutsam: Er wuchs mit dem jüdischen Glauben auf und betrieb in den Sechzigern intensive jüdische Studien. Dann konvertierte er zum Christentum. In seinen Werken finden sich zahlreiche religiöse Motive.
"Als Dylan 1961 nach New York kam, war er sehr auf Guthrie fokussiert. Er klang sogar wie Guthrie. Dylans Slang war unnatürlich für einen Kerl aus Minnesota, er war stattdessen typisch für Guthrie aus Oklahoma. Er kopierte sein Idol. Aber sehr schnell wuchs er weit darüber hinaus. Bereits 1963 erschuf er ganze Welten. Alle seine großen Lieder hätte niemand außer ihm schreiben können. Woody Guthrie wäre nicht annähernd an ein Lied wie 'A hard rain is a gonna fall' herangekommen. Das ist Bob Dylan."
Der das sagt, kennt sich aus. Ben Sidran aus Chicago ist Musiker und Musikhistoriker und hat sich in seinem Buch "Jews, Music and the American Dream" eingehend mit der Rolle jüdischer Musik und Musiker in den USA auseinandergesetzt, von Irving Berlin, Anfang des 20. Jahrhunderts, bis hin zum Hip-Hop der Beasty Boys. Die Rolle Woody Guthries könne kaum überschätzt werden, sagt Ben Sidran weiter. Dylan sei der geistige Sohn von Woody Guthrie gewesen.
"Solche Leute waren sehr wichtig für Dylan, denn als er anfing in der Folk-Welt war er immer an den Geschichten hinter der Musik interessiert. Soziale Ideen beschäftigten ihn kaum, aber er mochte die Ideale dahinter. Woody Guthrie kam aus der Arbeiterbewegung, darum wurde er Dylans erste musikalische Bezugsperson. Dylan hatte zudem eine sehr jüdische Gesinnung. Sein Interesse an historischen Umbrüchen hat vermutlich auch damit zu tun."
Dylan auf Sinnsuche
Bob Dylans Großeltern waren Einwanderer aus Litauen und Ukraine. Er wuchs in einer Kleinstadt in Minnesota auf in einer eng verbandelten jüdischen Gemeinde. Religiöse Traditionen wurden dort wie im Elternhaus sehr gepflegt. Doch damit brach Dylan, als er 1961 nach New York kam. Aus Robert Allen Zimmerman wurde Bob Dylan. Es hielt ihn jedoch nicht davon ab, die Bar- und Bat Mitzwa, die Tage der jüdischen Religionsmündigkeit, mit seinen Kindern zu feiern.
Ende der 1960er entflammte sein Interesse wieder, er betrieb intensive jüdische Studien - und 1971 reiste Dylan erstmals nach Israel. Dann wieder ein Umschwung, Ende der 1970er konvertierte er zum Christentum. Dazwischen – säkulare Phasen. Ein Suchender, im wahrsten Sinne des Wortes. Über die genauen Beweggründe ist nicht viel bekannt. 1983 setzte Dylan erneut eine Zäsur mit dem Lied "Neighbourhood Bully", ein leidenschaftliches Plädoyer für das Existenzrecht Israels.
Konfuses Verhältnis zur Religion
Religiöse Motive hatten immer mal wieder ihren Platz in Bob Dylans Liedern. Doch sind sie Abbild seiner Zerrissenheit oder Widerhall seines Interesses an existenziellen Fragen? Dylans Verhältnis zur Religion war und ist konfus. Fest stehe, so noch einmal Ben Sidran, dass es viel spezifisch Jüdisches in Dylans Liedern gebe.
"Absolut. Nehmen wir 'Highway 61': Gott sagt zu Abraham, töte deinen Sohn. Das ist direkt aus der Tora, wie viele von Dylans Bildnissen und Metaphern. Es ist offensichtlich, dass er sich sehr damit beschäftigt hat, nicht nur gelegentlich. Und ich liebte 'Knockin on heavens door' vom ersten Hören an. Die bildliche Vorstellung fand ich wunderbar. Interessanterweise entstand es in seiner 'Born again'-Phase, seiner christlichen Periode. Dabei ist das doch ein sehr jüdisches Bild, an die Himmelspforte zu klopfen."
Große Liebe zum Geld
Sehr irdisch hingegen war schon immer Bob Dylans Interesse an materiellen Gütern, Religion hin oder her. Er schloss unter anderem einen Exklusivvertrag mit der nicht eben gewerkschaftsfreundlichen Kaffeehauskette Starbucks und machte Werbung für die Damenunterwäsche von Victoria's Secret.
"It was shocking. But he is Bob Dylan. He can do whatever he wants to do."
Es sei schockierend gewesen, sagt Ben Sidran, aber wenn man Bob Dylan sei, könne man machen, was man wolle. Das hat, wie man weiß, auch das Nobelpreiskomitee zu spüren bekommen. Dylan ließ sich in Stockholm nicht blicken. An Ben Sidrans Fazit ändert das allerdings nichts.
"Er ist eindeutig eines der musikalischen Genies Amerikas. Bob Dylan ist ein Held, vielleicht sogar einer der wichtigsten zehn Amerikaner im 20. Jahrhundert."