Raymond Queneaus Buch "Stilübungen"

Stiljunkies zwischen Spiel und Ernst

55:05 Minuten
Raymond Queneau posiert für ein Schwarz-Weiß-Porträtfoto
Der französische Schriftsteller Raymond Queneau (1903-1976): Anders als der Titel vermuten lassen könnte, sind seine "Stilübungen" kein Lehrwerk. © picture alliance / akg-images / Walter Limot
Von Sieglinde Geisel |
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In den „Stilübungen” jagt Raymond Queneau 1947 eine kurze Pariser Alltagsbegebenheit durch alle möglichen Stile – darunter auch einige, die es gar nicht gibt, also: bis dahin nicht gab. Durfte er das? Und warum ist das so vergnüglich? Von Stil und Spiel, Form und Vollinhaltlichem.
Form und Inhalt bedingen einander, so lautet die traditionelle ästhetische Auffassung. Erst wenn beide zusammenfinden und eine unverwechselbare Einheit bilden, entstünden Kunstwerke. Für manche Autoren ist der Stil das künstlerische Gewissen. Schopenhauer betrachtet ihn als Physiognomie des Autors, Tucholsky als Kleid des Gedankens, Karl Kraus gar als dessen Fleisch.
„Der Stil ist der Mensch”, lautet ein berühmter Satz aus dem 18. Jahrhundert. Im Stil gibt sich ein Autor zu erkennen. Oder eben nicht: Er kann sich auch hinter einem Stil verstecken, sich mit ihm maskieren, als ein anderer auftreten. Zum Stil als Spiel ist es dann nicht mehr weit.

Kein Lehrwerk, ein Feuerwerk

Anfang der 1940er-Jahre, unter der deutschen Besatzung, begann der französische Schriftsteller Raymond Queneau in Paris mit der Arbeit an „Exercices de style“. Die ersten „Stilübungen“ erschienen damals in Zeitschriften, die der Résistance nahestanden. 1947 veröffentlichte der Verlag Gallimard, dessen Lektor Queneau war, das Buch.
Die „Stilübungen“ sind, anders als der Titel vermuten lassen könnte, kein Lehrwerk: Man lernt nicht, wie man einen bestimmten Stil herstellt – man lernt, dass es Stil gibt. Vielmehr: dass es viele Stile gibt. Es werden keine Stilarten geübt, sondern vorgeführt, und Queneau schlägt dabei ständig über die Stränge.

Mögliche und unmögliche Stilübungen

Die Übersetzung der „Stilübungen“ ins Deutsche im Jahr 1961 war eine Pioniertat von Eugen Helmlé und Ludwig Harig. Ihre Ausgabe enthielt 99 Stilübungen.
In der Neuübersetzung von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel sind es mehr als 120: Die beiden Übersetzer haben auch eigene Stilübungen unter den Überschriften „Redensarten“, „Detektiv“ oder „Blind“ verfasst. Queneau führt die Titel als „Mögliche Stilübungen“ auf, als Inspiration für alle, die selber schreiben wollen.
Was zeigen ihre Texte und die von Queneau? Wenn einst der Stil der Mensch war, was sind dann heute die Stile?
(pla)

Das Manuskript der Sendung aus dem Jahr 2016 können Sie hier herunterladen. Raymon Queneaus "Stilübungen", übersetzt von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel, ist im Suhrkamp Verlag erschienen.

Es sprechen: Hanns Zischler, Frank Arnold und Sieglinde Geisel
Ton: Ralf Perz
Regie: Beatrix Ackers
Redaktion: Jörg Plath

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