Schreiben, um unbekannte Zonen zu ergründen
Obwohl sie großen Erfolg habe, kenne sie das Gefühl des Gelingens nicht, sagt die französische Schriftstellerin Yasmina Reza. Auch deshalb interessiere sie sich für die Katastrophen des Lebens. Auch in ihrem neuen Buch "Glücklich die Glücklichen" wird so gut wie niemand glücklich.
Susanne Führer: Die französische Dramatikerin und Autorin Yasmina Reza seziert menschliche Beziehungen, ob in ihren Theaterstücken oder Romanen, und das macht sie so erfolgreich, dass sie die weltweit meistgespielte Theaterautorin der Gegenwart ist. Kurz: Sie selbst ist ein Weltstar, aber einer, der sehr ungern selbst in der Öffentlichkeit auftritt. Als wir uns in einem Berliner Hotel zum Gespräch getroffen haben, da habe ich ihr dann erst mal meine Nervosität gestanden, weil Yasmina Reza nämlich dafür bekannt ist, weder Journalisten, noch Interviews zu mögen.
Yasmina Reza: Das sagen mir alle, ja, aber es stimmt nicht, dass ich Journalisten nicht mag. Ich mag nur keine Interviews.
Führer: Warum?
Reza: Aus meiner Sicht bringen sie nicht viel. Man sollte besser die Bücher lesen, das reicht doch. Ich habe einfach nicht das Gefühl, dem Geschriebenen noch etwas hinzufügen zu müssen. Ich habe das nie!
Führer: Dann lassen Sie uns trotzdem mal über Ihr Werk sprechen. Sie sind ja in Berlin, um aus Ihrem neuen Roman "Glücklich die Glücklichen" zu lesen. Das finde ich erstaunlich, denn normalerweise machen Sie doch gar keine öffentlichen Lesungen. Warum diese Ausnahme?
Reza: Es stimmt, ich lese in der Regel nicht öffentlich aus meinen Büchern. Aber in Frankreich und anderen Ländern werden die Lesungen mit Schauspielern veranstaltet, und dagegen habe ich absolut nichts.
Führer: Diesmal machen Sie das ja selbst.
Reza: Es wird mehr eine Begegnung mit dem Publikum sein und mit meinen Übersetzern. Ich werde wahrscheinlich eine kleine Passage von fünf Minuten lesen, aber den Hauptteil bestreite nicht ich. Vielleicht kennen Sie ja diesen tollen Satz von Emil Cioran: "Wenn man immer Nein gesagt hat, rutscht einem schließlich ein verhängnisvolles Ja heraus.“ – Nein, ich fahre keine ganz strenge Tour.
Führer: Das Buch heißt wie gesagt "Glücklich die Glücklichen". Aber so gut wie niemand ist glücklich in diesem Buch, obwohl wir es mit wohlhabenden und erfolgreichen Menschen zu tun haben. Vielleicht mit einer Ausnahme: Es gibt einen jungen Mann, Jacob Hutner, der sich für Céline Dion hält und deswegen in der Psychiatrie lebt. Das ist ja wirklich eine Ironie der Geschichte.
"Illusionen machen einen nicht unbedingt glücklich"
Reza: Für mich ist er ganz und gar nicht glücklich. Es ist seltsam, denn auch andere Journalisten haben mir diese Frage schon gestellt, weil sie die Figur für die einzig glückliche halten. Jacob Hutner ist nicht die Spur glücklich. Illusionen machen einen nicht unbedingt glücklich, und ein Verrückter ist auch weit entfernt davon.
Führer: Er ist nun der einzige, der nicht selbst von sich erzählt. Aber die Außenstehenden, seine Eltern scheinen, ihn für glücklich zu halten.
Reza: Es ist kein Buch über das Glück oder das Unglück. Dem Titel darf man da wirklich nicht trauen. Das Buch schematisiert das Unglück von Paaren sehr stark. Jacob Hutner befindet sich in einer Situation, in der er den anderen nicht begegnen kann. Mehr als er interessieren mich seine Eltern. Als Chantal Antoine ihn in der psychiatrischen Anstalt trifft, empfindet sie Zärtlichkeit für diesen Jungen, denn er bewegt sich in einer Sphäre, in der man den anderen gar nicht braucht.
Führer: Da Sie jetzt über die Paare sprechen, Jean-Paul Sartre hat ja geschrieben, die Hölle, das sind die anderen, und ich dachte, für die Figuren in Ihrem Roman müsste es heißen, die Hölle, das sind die Paare. Es gibt nur ein Ehepaar, das eine glückliche Beziehung hat, eben die Eltern dieses Jacob Hutner, die nun aber doch wieder unglücklich sind, weil ausgerechnet ihr Sohn in der Psychiatrie ist. Warum ist für Ihre Figuren die Liebe, das Zusammenleben, das Zusammensein mit anderen so schwierig?
Reza: Ich habe einfach keine Antwort darauf. Warum? – Ich weiß es nicht. Ein Schriftsteller gibt keine Antworten. Er nimmt Dinge wahr, er notiert, was er sieht und was seiner Ansicht nach gesagt und gezeigt werden sollte. Er schafft ein Bild. Einen Maler fragt man auch nicht, warum malen Sie das. Man könnte mich fragen, warum schreiben Sie das, aber darauf würde ich nicht antworten. Warum die Figuren sich so verhalten? - …, weil sie sind, wie sie sind. Sie sind Teil des Lebens. Ich besitze keinen Schlüssel dazu und wenn es einen Grundgedanken gab, dann wäre er wohl eher banal.
Führer: Ich habe ja nicht gefragt, warum das im Leben so ist, sondern warum das für Ihre Figuren so schwierig ist.
"Bei mir läuft nichts ohne Schwierigkeiten"
Reza: Es geht, glaube ich, nicht darum zu beschreiben, was alles klappt. Ich bin nicht der Typ Schriftstellerin, die so schreiben kann wie zum Beispiel Elisabeth von Arnim über ihren verwilderten Garten. Ich schätze sie, aber meine Inspiration beziehe ich doch aus anderen Quellen. Bei mir läuft nichts ohne Schwierigkeiten, Hindernisse, Katastrophen, lauter Dinge eben, die das Leben auf die Probe stellen. Das trifft das Emotionale genauso wie die Verhältnisse am Arbeitsplatz. Ich analysiere nicht, was in meinem Leben, in meinen persönlichen Beziehungen den Anschub dazu gibt. Ganz ehrlich: Ich glaube, ich käme nicht darauf. Man schreibt ja, um unbekannte und dunkle Zonen zu ergründen.
Führer: Sie scheinen, sich auf jeden Fall für das Scheitern und nicht für das Gelingen zu interessieren. Warum das?
Reza: Ja, das stimmt, wobei mich nicht das Scheitern an sich interessiert, sondern die menschliche Lage beim Scheitern. Das Gelingen, glaube ich, gibt es doch so gut wie gar nicht. Ich wüsste nicht, wie ich das zu packen bekommen sollte. Anders als das Scheitern verstehe ich das Gelingen nicht. Ich persönlich habe es nie gespürt.
Führer: Das ist schon erstaunlich für die erfolgreichste, meistgespielte zeitgenössische Dramatikerin.
Reza: Ja, man sollte meinen, dass ich Erfolg kenne. Aber ich erkenne mich selbst überhaupt nicht darin. Der öffentliche Erfolg ist angenehm, aber das Gefühl von Gelingen gibt er einem trotzdem nicht.
Führer: Sie beobachten auf jeden Fall genau die kleinen Katastrophen des Lebens, die lügen, den Betrug, die Wut, die Demütigung, die Enttäuschung. Sie haben gerade gesagt, Sie interessieren sich für die Menschen in der Situation des Scheiterns. Und trotzdem hat Ihr Werk ja auch immer etwas Humorvolles, man kann lachen. Würden Sie sagen, dass man nur über das Unglück lachen kann und nicht über das Glück?
Reza: Ich glaube, dass das Wort Unglück übertrieben wäre. Aber Desaster, Katastrophen sind unendlich komischer, denn in ihnen steckt auch Boshaftigkeit und Lächerliches, auch Fatalismus, der zum Lachen reizt. Freude, alle positiven Gefühle blitzen auf. Es braucht in gewisser Weise kein Lachen mehr. Für mich ist es ganz natürlich, so zu schreiben. Ich lege es nicht auf Lacheffekte an. Aber ich habe ganz sicher einen Blick für das Komische. Über Trauriges in einem traurigen, pessimistischen Ton zu schreiben, das bringt doch nichts. Ich mag die Mischung von Genres, denn das Leben selber ist eine große Gemengelage. Man ist zutiefst erschrocken und im nächsten Moment lacht man. Ich folge beim Schreiben dem getriebenen Rhythmus des Lebens, und der lebt vom Zusammenspiel alles Möglichen.
Führer: Deutschlandradio Kultur, ich spreche mit der Autorin Yasmina Reza über ihr neues Buch "Glücklich die Glücklichen". – Madame Reza, Sie zeigen die Menschen mit all ihren Schwächen, all ihrer Bedürftigkeit und Beschränktheit. Trotzdem schimmert für mich auch immer Ihre Sympathie für diese Figuren, für diese beschränkten Menschen durch.
"Mir gelingt es nicht, die Figuren von mir fern zu halten"
Reza: Ja, ich empfinde wirklich große Sympathie, und vielleicht ist das sogar ein Mangel meines Schreibens. Mir gelingt es nicht, die Figuren völlig von mir fern zu halten. Ich habe Mitgefühl. Ich glaube, fürs Schreiben bedeutet das eher eine Schwäche.
Führer: Warum?
Reza: Alle großen Schriftsteller, die ich bewundert habe, Tschechow vielleicht nicht, aber ganz sicher Shakespeare und Molière, die waren fähig, wirklich unerträgliche Charaktere zu schaffen, und mir ist das bisher noch nicht gelungen.
Führer: Der Roman "Glücklich die Glücklichen" wird von 18 verschiedenen Figuren erzählt und nach und nach wird dann dem Leser klar, dass diese Figuren durch vielfältige Beziehungen miteinander verbunden sind. Ich musste an den "Reigen“ von Arthur Schnitzler denken, sozusagen eine moderne Version dieses Reigens. Ist das eine Assoziation, die Ihnen behagt?
Reza: Schnitzlers Werk mag ich sehr. Es missfällt mir natürlich nicht, wenn man mich in seiner Linie stehend sieht. Der "Reigen“ ist ein System: Eine Szene ist vorbei, eine Figur tritt ab, das ist das Prinzip des Reigens. Bei mir geht es um Konstellationen. Die Bindungen treten nach und nach zu Tage. Im "Reigen“ kennen sich die Leute nicht. Sie gehen von einem zum anderen. Für meinen Roman würde ich eher das Bild eines Baumes mit vielen Ästen benutzen. Jeder kennt jeden, man ist verwandt und bekannt miteinander, alles ist verwoben. Ja, Konstellation ist das treffende Wort.
Führer: Auch so etwas wie das Bild der aktuellen Gesellschaft?
Reza: Sicher. Man hat mir oft gesagt, dass ich gesellschaftliche Bilder in meinen Stücken und Prosatexten entwerfe. Aber ich habe beim Schreiben wirklich überhaupt keinen sozialen Hintergedanken.
Führer: …, sagt die Autorin Yasmina Reza. Ihr Roman "Glücklich die Glücklichen" ist bei Hanser erschienen.
Das Interview wurde übersetzt von Sigrid Brinkmann.
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