Spezialist für amerikanische Literatur
Übersetzer bleiben meist im Verborgenen. Selten nur kennt man ihre Namen. Bei Ulrich Blumenbach war das auch so – bis er den amerikanischen Autor David Foster Wallace übersetzt hat. Seitdem ist sein Leben ein anderes.
"So hereinspaziert, dann kann es ja losgehen."
In der Tür des modernen Reihenhauses in Basel steht lachend ein großgewachsener, sportlich wirkender Mann. Vor zehn Jahren ist der Übersetzer Ulrich Blumenbach mit seiner Frau, einer Schweizerin, und den beiden Kindern hier eingezogen.
Sein Schreibtisch steht ganz oben unterm Dach, beim Blick aus dem großen Fenster lässt sich ein Streifen Rhein erhaschen. Die zwölf Meter lange seitliche Wand nimmt zur Gänze ein Bücherregal ein.
"Ich könnte nicht in einem Büro oder einer Bürogemeinschaft mit mehreren Leuten im gleichen Zimmer arbeiten. Ich muss mir beim Übersetzen manchmal Sachen vorsprechen, um zu gucken, ob der Rhythmus stimmt, was Leute, die mit dir zusammenarbeiten für neurotisch halten könnten, weil du Selbstgespräche führst. Und ich bauche (aber) tatsächlich meine Bücher um mich herum. Und zwar rein symbolisch als Vertrautheit, als meine literarische Heimat."
Sechs Jahre hat Ulrich Blumenbach in dem hellen, freundlichen Raum mit "Infinite Jest", dem Großroman des amerikanischen Kultautors David Foster Wallace, zugebracht - zuweilen auch mit dessen Lieblingsmusik von R.E.M.
Manchmal hat er einen ganzen Tag über einen der mit Fachvokabular gespickten Endlossätze gebrütet. Eine gigantische Anstrengung, vor allem aber eine große Lust. Über 1500 Seiten umfasst "Unendlicher Spaß" auf Deutsch.
"Ich konnte mich da dermaßen austoben sprachlich, dass ich das natürlich um keinen Preis der Welt missen möchte. Es ist schwieriger, hinterher zu normaler Literatur zurückzufinden. Wer einmal im Himmel war, dem passt es nicht auf Erden."
Mit Preisen ausgezeichnet
Der 1964 in Hannover in eine bildungsbürgerliche Familie hineingeborene Ulrich Blumenbach kam über die Beschäftigung mit Joyce während des Studiums in Berlin zum Übersetzen. Für die deutsche Fassung von "Unendlicher Spaß" ist er gerühmt und mit Preisen ausgezeichnet worden. Der Roman hat sein Leben verändert.
"Ich bin jetzt ein sichtbarer Übersetzer. Das war ich vorher nicht. Oder nicht in dem Maße. Nicht nur, dass ich Interviews geben muss, sondern es werden mir auch andere Bücher angeboten als früher. Um einen Unterhaltungsroman muss ich mich jetzt aktiv bemühen, muss ich mich bewerben bei Verlagen, weil in den meisten Lektoraten das Vorurteil herrscht, ich würde so was nicht machen wollen. Quatsch, es wird mir einfach nicht angeboten. Es werden mir seit Wallace nur noch schwierige Bücher angeboten und das Honorar für diese Bücher hält nicht Schritt mit dem Schwierigkeitsgrad."
Eines dieser Bücher ist der neue Roman des Amerikaners Jonathan Lethem, der jetzt auf Deutsch erscheint. "Der Garten der Dissidenten" erzählt die Geschichte der jüdischen Linken in den USA vom Zweiten Weltkrieg bis in die heutige Zeit. Die größte Herausforderung bestand anders als bei der Beschäftigung mit Wallace nicht in der überkomplexen Sprache, sondern in einer umfangreichen und peniblen Recherche.
"Er spickt seine Romane ja mit Populärkultur. Da musste ich oft erst mal rauskriegen, was überhaupt gemeint ist."
Experte für Baseball und amerikanische Musik
Ulrich Blumenbach ist so unter anderem zum Experten für Baseball und amerikanische Musik geworden. Für ihn ist es selbstverständlich, dass man sehr viel über ein Buch wissen muss, um es adäquat übersetzen zu können. Dem deutschen Text kommt diese Haltung zugute, problematisch ist sie jedoch hinsichtlich des finanziellen Ertrags.
Während Verleger und Übersetzerverband seit Jahren ergebnislos um die Höhe der Honorare streiten, behilft sich der Wahlschweizer notgedrungen mit besser bezahlter und zugleich weitaus weniger fordernder Arbeit: Noch bevor er sich regelmäßig ab neun Uhr auf Autoren wie Wallace oder Lethem einschwingt, übersetzt er Anlegerinformationen für eine Bank.
"Das sind ganz kurze Texte, sehr standardisiert, in einem sehr baukastenartigen Stil geschrieben."
Mittags steigt er hinab in den Keller und setzt sich ans Klavier. Einladend wirkt der Raum nicht, immerhin fällt durch ein Fenster etwas Tageslicht. Ulrich Blumenbachs Frau wollte das Instrument nicht im Wohnzimmer haben und er hat nicht entschieden widersprochen. Für ihn scheint der Ort ohnehin nebensächlich, wichtig nur die Musik. Sie ist sein Ausgleich zur Übersetzungsarbeit. Täglich übt er mindestens eine Stunde.
"Ist es angekommen, dass ich ein Impromptu von Schubert zu spielen versuche?"
Ich steige nicht auf so ein Gerät
Bach und Chopin heißen seine beiden anderen Favoriten. Und wenn der Freizeit-Pianist von der Liebe träumt, spielt er Edward MacDowells "To a Wild Rose". Neben dem Klavier steht ein Hometrainer, doch der ist kaum in Gebrauch.
"Ich gehe joggen, wenn ich glaube, mich sportlich betätigen zu müssen. Aber ich steige nicht auf so ein stupides Gerät."
Viel zu selten schnürt er die Laufschuhe, obwohl der Weg direkt am Rheinufer einladend nah ist - auf der gegenüberliegenden Seite die imposante Stadtsilhouette, in der Ferne rattern immer wieder Straßenbahnen über eine der alten Brücken. Dem Schreibtischarbeiter ist rasch anzumerken, dass er gern häufiger den Geruch des Wassers einatmen würde. Immerhin weiß er sich mit seinem Platz unterm Hausdach zu trösten.
"Ich bin heilfroh, dass ich aus meinem Bürofenster raus in die Weite gucken kann und nach oben gucken kann. Das heißt, auch den Himmel sehen kann. Beides finde ich unglaublich wichtig, diese Ausweitung der Perspektive."
Wallace, der sich 2008 umgebracht hat, lässt Ulrich Blumenbach nicht los. Bald schon wird er ein kleines Frühwerk des Meisters über Rap ins Deutsche bringen. Dieser Schriftsteller hat seine Wahrnehmung der Welt für immer verändert.